Rz. 10
Ehegatten können – um eine Verringerung des Familienvermögens zu Lasten des überlebenden Ehegatten zu verhindern – durch Ehevertrag vereinbaren, dass die Gütergemeinschaft nach dem Tod eines Ehegatten zwischen dem überlebenden Ehegatten und dem bzw. den gemeinschaftlichen Abkömmlingen fortgesetzt wird (s. § 1483 BGB). Die gesetzlich erbberechtigten Abkömmlinge übernehmen insoweit kraft Güterrecht – und nicht im Wege der Erbfolge – den Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgut (Sonderrechtsnachfolge). Eine Auseinandersetzung findet nicht statt, da der Anteil des Gesamtguts somit nicht in den Nachlass fällt. Folglich kommt es bei den Abkömmlingen zu keinem steuerbaren Tatbestand i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Diese Besteuerungslücke wird durch die Regelung des § 4 Abs. 1 ErbStG als eigenem Steuertatbestand wieder geschlossen. Dies gilt jedoch nicht für das Sondergut und das Vorbehaltsgut des Verstorbenen, welches entsprechend den allgemeinen Regelungen der Feststellung der Erbfolge und der Erbquote verteilt wird und daher unverändert unter die Besteuerung des § 3 ErbStG fällt.
Rz. 11
Die fortgesetzte Gütergemeinschaft war bis in die fünfziger Jahre der gesetzliche Normalfall der Gütergemeinschaft und wurde später durch die Gütergemeinschaft nach §§ 1415 ff. BGB als gesetzlicher Normalfall ersetzt. Bei Erbfällen mit älteren Ehepaaren ist die fortgesetzte Gütergemeinschaft jedoch auch heute noch anzutreffen. Aktuell kann sie der Reduzierung oder gar der Vermeidung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs gem. § 2325 BGB dienen. Bei einer Schenkung aus dem Gesamtgut richtet sich die Zehnjahresfrist zur Abschmelzung eines eventuellen Pflichtteilsergänzungsanspruchs eines Kindes gem. § 2325 Abs. 3 BGB i. V. m. § 1505 BGB nach dem Zeitpunkt der Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft. Wird also beispielsweise ein Gegenstand aus dem Gesamtgut an nur eines von zwei Kindern verschenkt, entsteht der Ergänzungsanspruch des nicht bedachten Kindes erst bei Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft und somit regelmäßig mit dem Tod des länger lebenden Ehepartners (s. Rn. 16 f.), der dann an die Stelle des in § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB erwähnten Erbfalls tritt. Zu diesem Zeitpunkt können Pflichtteilsergänzungsansprüche entweder wegen Ablaufs der Zehnjahresfrist völlig erloschen oder aber zumindest in erheblichem Umfang abgeschmolzen sein (s. Milzer, ZEV 2015, 260).
Rz. 12
Per letztwilliger Verfügung des verstorbenen Ehegatten kann ein gemeinsamer Abkömmling von der fortgesetzten Gütergemeinschaft ausgeschlossen, sein Anteil am Gesamtgut entzogen bzw. auf die Hälfte herabgesetzt werden (s. §§ 1511, 1512, 1513 BGB).
Rz. 13
Der überlebende Ehegatte hat das Recht zur Ablehnung der Fortsetzung der Gütergemeinschaft (s. § 1484 BGB). Er hat die Stellung als alleinverwaltender Ehegatte inne (s. § 1487 Abs. 1 BGB).
Rz. 14
Sind neben den gemeinschaftlichen Abkömmlingen noch andere Abkömmlinge vorhanden, so bestimmen sich ihr Erbrecht und ihre Erbteile so, als wenn die fortgesetzte Gütergemeinschaft nicht eingetreten wäre (s. § 1483 Abs. 2 BGB).
Rz. 15
Das Vermögen, das ein gemeinschaftlicher Abkömmling zur Zeit des Eintritts hat oder später erwirbt, gehört nicht zum Gesamtgut. Es findet keine Vermischung mit dem restlichen Vermögen der Abkömmlinge statt, die fortgesetzte Gütergemeinschaft ist auf das Vermögen des überlebenden Ehegatten (Sondergut und Vorbehaltsgut) und das Gesamtgut der Eheleute beschränkt.
Die Ehegatten EM und EF leben im Güterstand der Gütergemeinschaft. Im Ehevertrag wurde festgelegt, dass der überlebende Ehegatte mit dem gemeinsamen Sohn S die Gütergemeinschaft im Todesfall eines Ehegatten fortsetzen soll. Beide Ehegatten besitzen jeweils ein Grundstück (Grundstück 1 und 2) als Vorbehaltsgut.
Dann verstirbt EF. Per Testament sind EM und S jeweils zur Hälfte als Erbe eingesetzt (ohne Bestimmung zum Vorbehaltsgut).
EM bekommt später von seinem Vater zwei Grundstücke geschenkt (Grundstück 3 und 4), wovon Grundstück 3 Vorbehaltsgut sein soll. Ein weiteres Grundstück 5 erhält der Enkel (= Sohn des EM) geschenkt.
Lösung:
Mit dem Tod der EF wird die Gütergemeinschaft zwischen EM und S mit folgendem Vermögen fortgesetzt.
Gesamtgut § 1416 BGB von EM und S |
Vorbehaltsgut überlebender EM § 1486 BGB |
Freies Vermögen des S Kein Bestandteil der fortgesetzten Gütergemeinschaft |
Bisheriges Gesamtgut |
wie bisher: Grundstück 1 |
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neu: 1/2 von Grundstück 2 |
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neu: 1/2 von Grundstück 2 |
neu: Grundstück 4 |
neu: Grundstück 3 |
neu: Grundstück 5 |
Grundstück 1: Wie bisher Vorbehaltsgut EM (s. § 1486 Abs. 1 BGB)
Grundstück 2: Fällt als Vorbehaltsgut der verstorbenen EF in den Nachlass und wird jeweils zur Hälfte entsprechend der gewillkürten Erbfolge auf den überlebenden EM und S aufgeteilt.
Die auf EM entfallende Hälfte geht in das Gesamtgut der fortgesetzten Gütergemeinschaft (s. § 1485 Abs. 1 BGB).
Grundstück 3: Vorbehaltsgut EM (s. §§ 1486 Abs. 1, 1418 Abs. 2 Nr. 2 BGB)
Grundstück 4: Gesamtgut der fortgesetzten Gütergemeinscha...