Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Rz. 481
Mit dem Tode des Erblassers erwirbt der Nacherbe ein Anwartschaftsrecht auf die Erbschaft. Das Anwartschaftsrecht erstreckt sich auf den Nachlass insgesamt, nicht aber auf einzelne Nachlassgegenstände. Es ist als absolutes Recht ausgewiesen, das gegenüber jedermann gilt. Außerdem kann über das Anwartschaftsrecht grundsätzlich frei verfügt werden. Es kann folglich übertragen und vererbt werden (zur ausnahmsweisen Einschränkung der Vererbbarkeit s. § 6 Rn. 2). Stirbt der Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalls, geht das Anwartschaftsrecht auf seine Erben über, wenn kein Ersatznacherbe bestimmt ist.
Rz. 482
Weitere Folge dieser Rechtsposition ist, dass der Nacherbe ab Eintritt des Vorerbfalls die Erbschaft ausschlagen kann (s. § 2141 Abs. 1 BGB). Schlägt der Nacherbe aus, so tritt ein eventuell berufener Ersatzerbe an seine Stelle, ansonsten verbleibt die Erbschaft beim Vorerben, dessen Stellung sich sodann in eine unbeschränkte Erbenstellung wandelt (s. § 2142 Abs. 2 BGB). Sind mehrere Nacherben berufen, so führt die Ausschlagung eines von ihnen zur Anwachsung bei den verbleibenden Nacherben (s. § 2094 BGB).
Rz. 483
Der Nacherbe kann aber auch seine Anwartschaft verkaufen. Die Übertragung des Anwartschaftsrechts bedarf in analoger Anwendung der §§ 2033, 2371, 2385 BGB der notariellen Beurkundung. Das Entgelt für diesen Erbschaftskauf erfasst § 3 Abs. 2 Nr. 6 ErbStG im Zeitpunkt der Übertragung der Anwartschaft (s. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. i ErbStG).
Rz. 484
Der Verkauf führt dazu, dass das Entgelt als ein vom Erblasser herrührender Erwerb von Todes wegen erfasst wird. Dies hat Auswirkungen auf alle persönlichen Merkmale (Steuerklasse nach dem Verwandtschaftsgrad zum Erblasser, persönliche Freibeträge gem. § 15 ErbStG, Versorgungsfreibetrag nach § 16 ErbStG).
Verschenkt der Nacherbe seine Anwartschaft, so ist der unentgeltliche Übergang des Anwartschaftsrechts zu Lebzeiten ebenso wenig steuerbar wie die Vererbung (s. § 10 Abs. 4 ErbStG analog).
Rz. 485
Beim Erwerber (Dritten) kommt es in beiden Fällen (entgeltlicher wie unentgeltlicher Erwerb) erst bei Eintritt des Nacherbfalls (Tod des Vorerben bzw. ein sonstiges Ereignis) zur steuerlichen Erfassung des Erwerbsvorgangs (nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. ErbStG). Steuerklasse, Steuersatz und Höhe des persönlichen Freibetrages nach § 16 ErbStG 1974 richten sich in diesem Fall nach dem Verhältnis des Erwerbers zum Vorerben (s. § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG 1974) bzw. zum Erblasser (s. § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG 1974), nicht hingegen nach dem Verhältnis des Nacherben zu den genannten Personen (so der BFH vom 28.10.1992, BStBl II 1993, 158).