Rz. 7

Der einheitliche Steuertarif ist insoweit problematisch, als er eine gleichmäßige Besteuerung nur dann sicherstellt, wenn auch die Vermögenswerte, auf die er angewendet wird, auf einem einheitlichen Bewertungsmaßstab beruhen. Da dies beim ErbStG vor dem ErbStRG nicht der Fall war, hat das BVerfG das Gesetz als gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßend verworfen (s. BVerfG vom 07.11.2006, DStR 2007, 235 ff.). Es ist allerdings umstritten, ob es möglich wäre, durch die Anwendung verschiedener Steuertarife auf einen einheitlichen Steuertarif zu verzichten, da eine einheitliche Besteuerung auch dann nur gegeben wäre, wenn das Verhältnis der Steuertarife dem der Bewertungsmaßstäbe entspricht. Der Gesetzgeber hat auch durch das ErbStRG am einheitlichen Steuertarif festgehalten und ist deswegen den Weg gegangen, eine stärkere Orientierung der Bewertung am Verkehrswert vorzunehmen, um so eine gleichmäßige Besteuerung zu gewährleisten.

 

Rz. 8

Es war umstritten, ob es auch klare verfassungsrechtliche Grenzen für die absolute Obergrenze des Erbschaftsteuertarifs gibt, insbesondere ob der sog. Halbteilungsgrundsatz, den das BVerfG aus Art. 14 Abs. 2 GG abgeleitet hat, dazu führt, dass der Steuersatz nicht mehr als 50 % betragen darf. Der Halbteilungsgrundsatz wurde erstmals vom BVerfG in dem Beschluss vom 22.06.1995 zur Verfassungswidrigkeit der Vermögensteuer erwähnt (s. BVerfG vom 22.06.1995, BStBl II 1995, 655). In dem am gleichen Tag zur Erbschaftsteuer ergangenen Beschluss hat das BVerfG betont, dass die Möglichkeiten des Gesetzgebers zur Einschränkung des Erbrechts weitgehender seien als bei einer Beschränkung des Eigentums, da an einen Vermögensübergang angeknüpft werde (s. BVerfG vom 22.06.1995, BStBl II 1995, 671). Trotzdem wurden im ErbStG 1997 die Erbschaftsteuersätze so geändert, dass der Tarif maximal 50 % betrug.

 

Rz. 9

Das BVerfG hat in 2006 darauf hingewiesen, dass es sich bei den Ausführungen zum Halbteilungsgrundsatz im Beschluss vom 22.06.1995 um ein obiter dictum gehandelt habe, dem keine Bindungswirkung zukomme und ist davon abgerückt, dass man Art. 14 Abs. 2 GG eine absolute Obergrenze der Belastung entnehmen könne (s. BVerfG vom 18.01.2006, DStR 2006, 555). Damit ist geklärt, dass es keine 50-%-Obergrenze für den Tarif bei der Erbschaftsteuer gibt. Es gelten vielmehr das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip und der Grundsatz, dass die Erbschaftsteuer das Vererben von einem wirtschaftlichen Standpunkt aus nicht sinnlos machen darf.

 

Rz. 10

Das BVerfG hatte in seinem Urteil vom 17.12.2014 (1 BvL 21/12, BStBl II 2015, 50) entschieden, dass §§ 13a, 13b ErbStG i.V.m § 19 Abs 1 ErbStG (Privilegierung des Betriebsvermögens im Erbschaftssteuerrecht) mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind, jedoch die Fortgeltung des (insoweit) verfassungswidrigen Erbschaftsteuergesetzes angeordnet und den Gesetzgeber verpflichtet, bis spätestens zum 30.06.2016 eine Neuregelung zu schaffen. Während des Gesetzgebungsverfahrens kam es zu Verzögerungen. Die Neuregelung wurde erst am 09.11.2016 mit Wirkung zum 01.07.2016 verkündet. In seinem Urteil vom 06.05.2021 (II R 1/19, BStBl II 2022, 77) befasste sich der BFH mit der Frage, ob dadurch eine sog. Erbschaftsteuerpause eingetreten sei. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Regelungen des ErbStG betreffend des Steuersatzes auch über den 30.06.2016 hinaus weiter anwendbar sind. I.R. eines Einspruchsverfahrens wurde geltend gemacht, dass am Todestag (28.08.2016) kein mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang stehendes ErbStG existiert habe, sodass der Erwerb nicht der Erbschaftsteuer unterliege. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die dagegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg.

Begründung: Stellt das BVerfG die Verfassungswidrigkeit einer Norm fest, führt dies nicht zwangsläufig zur Nichtanwendbarkeit der Norm. Maßgeblich ist der Tenor der Entscheidung. Entscheidet das BVerfG, dass das bisherige Recht bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar und der Gesetzgeber bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einer Neuregelung verpflichtet ist, sind die verfassungswidrigen Regelungen entsprechend der Tenorierung unabhängig vom Fristlauf für den Gesetzgeber bis zu der tatsächlichen Neuregelung anwendbar. Die Regelungen des ErbStG waren im Hinblick auf den Erwerb von Privatvermögen sowie den zugrunde zu legenden Steuersatz über den 30.06.2016 hinaus anwendbar, ohne durch eine spätere rückwirkende Regelung ersetzt zu werden. Die Anwendbarkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG ergibt sich jedenfalls daraus, dass das BVerfG angeordnet hat, das bisherige Recht bleibe bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar. Diese Regelung stellt eine unbefristete Fortgeltungsanordnung dar. Die Frist bezieht sich lediglich auf die Verpflichtung des Gesetzgebers, eine Neuregelung zu schaffen und ändert an der Wirksamkeit der Fortgeltungsanordnung auch dann nichts, falls die Neuregelung pflichtwidrig nicht oder verspätet geschaffen wird.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Preißer, Erbschaft- und Schenkungsteuer (Schäffer-Poeschel) enthalten. Sie wollen mehr?