Rz. 11
Ein besonderes Augenmerk ist zunehmend auf die Frage zu richten, ob einzelne Steuerbefreiungen möglicherweise gegen die im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) garantierte Kapitalverkehrsfreiheit (s. Art. 63 AEUV) und die Niederlassungsfreiheit (s. Art. 49 bis 55 AEUV) verstoßen. Die Entscheidung des EuGH vom 17.01.2008 (BFH/NV Beilage 2008, 120) bezüglich der Ungleichbehandlung bei der Bewertung von inländischem und EU-ausländischem BV oder die Entscheidung vom 22.04.2010 (BFH/NV 2010, 1212) zur Frage des anzuwendenden persönlichen Freibetrags bei beschränkter Steuerpflicht bietet erste Anhaltspunkte. Vorsorglich wurde z. B. die Steuerbefreiung der Nr. 4a durch das Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts erstmalig auf das in Europäischen Mitgliedstaaten bzw. Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes gelegene Vermögen ausgeweitet. Gleiches gilt für die Befreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG (Gegenstände, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt, s. Rn. 35), die die FinVerw im Zuge der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011 auch auf in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums belegenes Vermögen anwendet. Dass dies vorausschauend war, zeigt das zwischenzeitlich wieder eingestellte Vertragsverletzungsverfahren 2012/2159, mit dem die EU-Kommission die damals geltende Version der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 16c ErbStG beanstandete (s. Rn. 254).
Rz. 12
Mit dem Austritt Großbritanniens verringert sich erstmals das Gebiet der Europäischen Union. Damit sich dies nicht nachteilig auf noch laufende Behaltensregelungen diverser Steuerbefreiungen auswirkt, wurde i. R.d. Brexit-Steuerbegleitgesetzes (Gesetz über steuerliche und weitere Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union vom 25.03.2019, BStBl I 2019, 223) in § 37 Abs. 17 ErbStG eine Regelung aufgenommen, wonach das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland für Erwerbe vor dem Brexit weiterhin als Mitgliedstaat der Europäischen Union gelten. Folglich löst also der Brexit zum Jahresanfang 2021 allein keine Nachversteuerung aus, indem bspw. ein nicht steuerbefreiter Kunstgegenstand in einen Drittstaat verbracht wird, sondern das Land, in dem sich dieser befindet, die Europäische Union verlässt. Betroffen sind die Steuerbefreiungen gem. § 13 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ErbStG für Kunstgegenstände und für Objekte der Volkswohlfahrt, das Familienheim gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4a bis c ErbStG und möglicherweise die Steuerbefreiung für Erwerbe von ausländischen Religionsgesellschaften gem. § 13 Abs. 1 Nr. 16c ErbStG.
Rz. 13–15
vorläufig frei