Rz. 7
Die deutsche Erbschaftsteuer ist seit jeher als Erbanfallsteuer konzipiert (s. BVerfG vom 06.11.2006, DStR 2007, 235, 240; BVerfG vom 22.06.1995, BVerfGE 93, 165, 167). Besteuert wird daher nicht der Nachlass des Erblassers, sondern der Vermögensanfall beim Erben (zu den beiden Systemstrukturen s. Crezelius, FR 2007, 613, 616 m. w. N.). Gleiches gilt für Schenkungen unter Lebenden. Dies hat zur Folge, dass bei mehreren Erben/Beschenkten jeweils deren konkreter Vermögenszuwachs erfasst wird. Damit wird eine individuelle Besteuerung unter Berücksichtigung des Verwandtschaftsverhältnisses zwischen Erblasser/Schenker und Erben/Beschenktem ermöglicht. In der durch den Vermögenszuwachs entstandenen gesteigerten Leistungsfähigkeit des Erwerbers findet die Erbschaftsteuer ihre innere Rechtfertigung. Sie beruht daher auf dem Bereicherungsgrundsatz des Erwerbers, der als solcher das Erbschaftsteuerrecht beherrscht.
Rz. 8
Sofern der Vermögensanfall einem der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ErbStG genannten steuerpflichtigen Vorgänge zuordenbar ist, spielt es keine Rolle, worauf der Vermögensanfall beruht. Er kann beispielsweise auf Gesetz, Vertrag oder Testament beruhen, dem Zivil- oder Öffentlichen Recht entstammen (s. Hannes/Holtz in M/H/H, § 1 Rn. 3). Regelmäßig wird er sich allerdings nach zivilrechtlichen Regeln vollziehen. Der Bereicherungsgrundsatz hat zur Folge, dass beim Erwerb von Todes wegen übernommene Verbindlichkeiten bereicherungsmindernd zu berücksichtigen sind (§ 10 Abs. 5 ErbStG). Fehlt es daher an einer Bereicherung durch den Vermögensanfall, tritt auch keine Besteuerung ein.
Rz. 9
Bei der Zweckzuwendung (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) kann nur dann von einem Vermögensanfall ausgegangen werden, wenn man den Zweck als bereichert ansehen wollte (so RFH vom 07.02.1923, RFHE 11, 257, 258). Dies scheint bereits deshalb zweifelhaft, da nach allgemeinem Begriffsverständnis zwar Personen, nicht aber Zwecke bereichert sein können. Ähnliches gilt für die Erbersatzsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Auch hier kann nur dann eine Bereicherung angenommen werden, wenn man davon ausgeht, dass die Familienstiftung (Familienverein) jeweils nach 30 Jahren erlischt und ihr Vermögen auf eine im gleichen Zeitpunkt neu entstandene Familienstiftung (Familienverein) überträgt. Während demnach beim Erwerb von Todes wegen und der Schenkung unter Lebenden der auf die Bereicherung des Erwerbers abstellende Grundsatz konsequent eingehalten ist, sind bei der Zweckzuwendung Abstriche zu machen, bei der Familienstiftung ist der Bereicherungsgrundsatz nur noch schwer zu erkennen.
Rz. 10
Das Abstellen auf die Bereicherung konnte jedenfalls vor der Einführung des ErbStRG zur Minderung der Bemessungsgrundlage genutzt werden. Schenkte beispielsweise der Vater dem Sohn zeitgleich und auf einem einheitlichen Schenkungsversprechen beruhend zwei Gegenstände, von denen der eine einen positiven und der andere einen negativen steuerlichen Wert besaß, so konnten sich die beiden Werte derart neutralisieren, dass per Saldo keine Bereicherung gegeben war und somit auch keine Steuer anfiel (s. Schuck in V/S/W, § 7 Rn. 90 ff.). Voraussetzung für eine Saldierung ist allerdings, dass ein einheitlicher Erwerbsvorgang gegeben ist (vgl. FG Münster vom 18.05.2017, ZEV 2017, 731). Mit der Einführung des ErbStRG zum 01.01.2009 wurden die steuerlichen Werte, insbesondere im Bereich des Grundbesitzes und des Betriebsvermögens, an die Verkehrswerte/gemeinen Werte angepasst. Negative Steuerwerte können seither allenfalls in Ausnahmefällen im betrieblichen Bereich entstehen.