2.1 Nettoprinzip (Abs. 1 Satz 1)

 

Rz. 10

§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG normiert das Nettoprinzip, das der deutschen Erbschaftsteuer ihre Prägung als Erbanfallsteuer verleiht. Entscheidend ist nicht, welches Vermögen der Erblasser hinterlässt, sondern welches Vermögen der jeweilige Erwerber erwirbt. Nur die Bereicherung des Erwerbers unterliegt der Besteuerung, also der Saldo aller vermögenswerten Vor- und Nachteile, die sich für ihn aus einem steuerpflichtigen Vorgang ergeben.

 

Rz. 11

Dabei kommt es, anders als bei § 7 ErbStG, für die Frage einer Bereicherung nach § 10 ErbStG allein darauf an, ob auch bei einer Bewertung mit den Steuerwerten gem. § 12 ErbStG ein positiver Saldo und damit eine Bereicherung verbleibt. Bei der gemischten Schenkung und der Schenkung unter Auflage ist dabei zu beachten, dass die früher angewendete Trennungstheorie durch die Finanzverwaltung aufgegeben wurde (Einzelheiten bei § 7 Rn. 316 ff., 323). Bei der Berechnung der Bereicherung werden Gegenleistungen des Beschenkten und von ihm übernommene Auflagen aller Art vom Steuerwert der Zuwendung abgezogen. § 10 Abs. 6 ErbStG ist dabei zu beachten (s. Rn. 81 ff.).

 

Rz. 12

Liegt keine Bereicherung und damit auch kein steuerpflichtiger Erwerb vor, so handelt es sich um einen Vorgang, der für die Erbschaftsteuer keine Relevanz hat. Dies hat Auswirkungen insbesondere auf die Zusammenrechnung nach § 14 ErbStG, denn gem. § 14 Abs. 1 Satz 4 ErbStG bleiben frühere Erwerbe, für die sich kein positiver Wert ergeben hat, unberücksichtigt, so dass anders als z. B. bei der Einkommensteuer kein Ausgleich negativer Erwerbe mit früheren oder späteren positiven Erwerben stattfinden kann (s. § 14 Rn. 36).

2.2 Der Begriff des Erwerbs

 

Rz. 13

Sind mehrere Tatbestände von § 3 und/oder § 7 ErbStG erfüllt, so stellt sich die Frage, ob nur ein Erwerb oder ob mehrere Erwerbe vorliegen. Sind die Vermögensanfälle aus allen Erwerbsgründen positiv, so ist diese Frage i. d. R. ohne praktische Auswirkung, da ohnehin eine Zusammenrechnung gem. § 14 ErbStG erfolgen muss. Anders ist die Lage jedoch, wenn einer der Vermögensanfälle negativ ist. Handelt es sich um einen selbständigen Erwerb i. S. v. § 10 ErbStG, so verbietet § 14 Abs. 1 Satz 4 ErbStG eine Saldierung. Liegt nur ein (1) Erwerb vor, so ist zu saldieren.

 

Rz. 14

Soweit die Steuer gem. § 9 ErbStG zu unterschiedlichen Zeitpunkten entsteht, liegen unzweifelhaft mehrere Erwerbe vor (s. BFH vom 02.03.06, BFH/NV 2006, 1480 (1481)). Gleichfalls liegen zwei (oder mehrere) Erwerbsvorgänge vor, wenn keine Personenidentität besteht, wenn also mehrere Personen bereichert sind, oder das Vermögen von unterschiedlichen Personen stammt.

 

Rz. 15

Schwieriger ist die Beurteilung, wenn Personenidentität vorliegt und die Steuer auch im gleichen Zeitpunkt entsteht. Da es sich auch zivilrechtlich um verschiedene voneinander unabhängige Vorgänge handelt, und es z. B. durchaus möglich ist, die Erbschaft auszuschlagen, den Anspruch aus dem Lebensversicherungsvertrag aber anzunehmen, ist es überzeugender, in jedem einzelnen Vorgang einen gesonderten Erwerb zu sehen (so auch Weinmann in M/W, § 10 Rn. 8; a. A. Gebel in T/G/J/G, § 10 Rn. 55 und Hannes/Holtz in M/H/H, § 10 Rn. 10). Formal wird man die verschiedenen Erwerbe dennoch in einem Steuerbescheid zusammenfassen können, da aufgrund von § 14 ErbStG ohnehin eine Zusammenrechnung erfolgen muss.

 

Rz. 16–19

vorläufig frei

2.3 Wertermittlung beim Erwerb von Todes wegen (Abs. 1 Satz 1, 2 und 6)

 

Rz. 20

Für Erwerbe von Todes wegen gibt § 10 Abs. 1 ErbStG ein Berechnungsschema vor und legt zugleich Legaldefinitionen für bestimmte Begriffe fest.

Im ersten Schritt sind die einzelnen positiven Vermögensgegenstände gem. § 12 ErbStG zu bewerten und es ist zu prüfen, ob sachliche Steuerbefreiungen (§§ 13, 13a ff. ErbStG) auf diese anwendbar sind. Die sich hieraus ergebende Summe bezeichnet das Gesetz als Wert des gesamten Vermögensanfalls.

 

Rz. 21

Im zweiten Schritt sind die Nachlassverbindlichkeiten (Abs. 5) zu ermitteln und zu bewerten und es ist zu prüfen, inwieweit Abzugsverbote (Abs. 6) für diese eingreifen. Die Differenz zwischen dem Wert des gesamten Vermögensanfalls und der Summe der Nachlassverbindlichkeiten ergibt die Bereicherung des Erwerbers.

 

Rz. 22

Im nächsten Schritt ist ein eventueller Freibetrag nach § 5 ErbStG (Zugewinnausgleich) abzuziehen, Vorerwerbe innerhalb eines Zehnjahreszeitraums sind gem. § 14 ErbStG hinzuzurechnen und die persönlichen Freibeträge (s. §§ 16, 17 ErbStG) sind abzuziehen. Das Ergebnis bezeichnet das Gesetz als steuerpflichtigen Erwerb, der gem. § 10 Abs. 1 Satz 6 auf volle 100 EUR nach unten abzurunden ist.

 

Rz. 23

Daraus ergibt sich folgendes Berechnungsschema (s. R E 10.1 ErbStR 2011):

 

Rz. 24–29

vorläufig frei

2.4 Einzelfälle der Bestimmung des Werts des gesamten Vermögensanfalls beim Erbfall

 

Rz. 30

§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. ErbStG verweist auf § 1922 BGB. Welche Vermögensgegenstände bei der Bewertung des Vermögensanfalls berücksichtigungsfähig sind, richtet sich daher in erster Linie nach zivilrechtlichen und nicht nach steuerrechtlichen Grundsätzen (vgl. z. B. BFH vom 26.02.2008, BFH/NV 2008, 1051). Es kommt mithin darauf an, ob der Erblasser zivilrechtlicher Eigentümer war bzw. ob ihm die...

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