Dipl.-Kffr. Christina Vosseler, Francoise Dammertz
Rz. 7
Die Ableitung des künftigen Jahresertrags aus den Betriebsergebnissen der letzten drei Wirtschaftsjahre führt in einem sich dynamisch entwickelnden wirtschaftlichen Umfeld dann zu unzutreffenden Ergebnissen, wenn sich der Charakter eines Unternehmens und damit seine Ertragsaussichten nachhaltig verändert haben. Von einer Charakteränderung kann im Zweifel bei einer mengenmäßigen Ausweitung des Handels oder Produktionsvolumens eines Unternehmens ausgegangen werden. Die daraus resultierende Betriebsergebnisveränderung stellt dann das Kriterium für die Charakteränderung des Unternehmens dar (nach Wollny, Unternehmensbewertung für die Erbschaftsteuer, 495; Eisele in R/T, § 201 Rn. 5). Ist dies der Fall, ist für die Ableitung des Durchschnittsertrags von einem verkürzten Ermittlungszeitraum auszugehen. Maßgebend ist der Zeitraum ab dem Beginn der nachhaltigen Veränderungen.
Rz. 8
Die Summe der Betriebsergebnisse ist in den Fällen eines verkürzten Ermittlungszeitraums abweichend von § 201 Abs. 2 BewG durch zwei zu dividieren, weil der verkürzte Ermittlungszeitraum stets zwei volle Wirtschaftsjahre umfasst (s. R B 200 Abs. 4 Satz 1 und R B 200 Abs. 2 Satz 3 ErbStR). Als Konsequenz müsste die Änderung im drittletzten Jahr geschehen sein, da sonst nicht zwei Ermittlungszeiträume vorliegen. Ob stattdessen auch eine Berücksichtigung des noch nicht abgelaufenen Wirtschaftsjahres zulässig ist, ist nicht eindeutig klar (dazu: Wollny, Unternehmensbewertung für die Erbschaftsteuer, 495). Auch für neu gegründete Gewerbebetriebe, die am Bewertungsstichtag noch nicht drei Jahre bestanden haben (s. § 201 Abs. 3 Satz 1 BewG), gilt, dass zwei Ermittlungszeiträume vorliegen müssen. Bei Neugründungen ist R B 199.1 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 ErbStR zu beachten, wonach kein vereinfachtes Ertragswertverfahren bei Neugründungen innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag möglich ist (s. R B 201 Abs. 2 Satz 3 und 4 ErbStR). Diese Vorgehensweise lehnt sich an die damalige Anlaufbewertung gem. R 102 Abs. 1 ErbStR 2003 an, die der Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen an KapG diente (s. Eisele in R/T, § 201, Rn. 5).
Rz. 9
Beispiel (in Anlehnung an Wollny, Unternehmensbewertung für die Erbschaftsteuer, 495):
Ein Unternehmen wird zum 22.04.2019 übertragen. Ab dem Jahr 2017 verzeichnete das Unternehmen ein sehr starkes Wachstum, da es durch eine strategische Neuausrichtung in der Lage war, mit einem neuen Produkt zusätzliche Kundenfelder zu erschließen.
Das Jahr 2016 wird aufgrund der starken Veränderung des Unternehmens nicht betrachtet. Der durchschnittliche Jahresertrag beträgt im Beispiel 462.217 (924.434 / 2 Jahre).