2.1.1 Begriff
Rz. 2
Der Erblasser kann einen Erben (Nacherbe) in der Weise einsetzen, dass dieser Erbe wird, nachdem zunächst ein anderer Erbe (Vorerbe) geworden ist (§ 2100 BGB). Beide, Vorerbe wie Nacherbe, sind Erben des Erblassers, allerdings in einer zeitlichen Reihenfolge. Sie bilden daher keine Erbengemeinschaft. Zunächst erbt der Vorerbe. Als Vollerbe ist er Träger aller Rechte und Pflichten, die zum Nachlass gehören. Seine Stellung ist allerdings zeitlich begrenzt auf den Eintritt einer Bedingung oder eines Ereignisses – meist seines Todes. Mit Eintritt der Bedingung/des Ereignisses erbt der Nacherbe den Nachlass und zwar unmittelbar vom Erblasser. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Nacherbe lediglich ein Anwartschaftsrecht (Vorstufe zum Vollrecht; Einzelheiten vgl. Rn. 17) auf den Nachlass. Im Gegensatz zum Vorerben, der zeitlich begrenzter Erbe ist, wird der Nacherbe mit Eintritt des Nacherbfalls endgültiger Erbe des Erblassers (s. Weidlich in Grüneberg, § 2100 BGB Rn. 1 ff. m. w. N.).
Rz. 3
Da der Nacherbe unmittelbar vom Erblasser erbt, aber nicht der Erbe des Vorerben ist, sind zwei Vermögensmassen zu unterscheiden: Zum einen das vom Erblasser herrührende Vermögen, das in der Hand des Vorerben ein von seinem übrigen Vermögen rechtlich getrenntes Sondervermögen darstellt, und zum anderen das sonstige Vermögen des Vorerben. Während Ersteres auf den Nacherben übergeht, vererbt sich Letzteres nur dann auf den Nacherben, wenn dieser gleichzeitig auch Erbe des Vorerben ist. Auch in diesem Fall sind beide Vermögensmassen voneinander zu trennen, da sie von verschiedenen Erblassern stammen (ursprünglicher Erblasser und Vorerbe; Weidlich in Grüneberg, § 2100 BGB Rn. 2).
2.1.2 Zweck und Bedeutung der Vor- und Nacherbfolge
Rz. 4
Die Regelungen der Vor- und Nacherbfolge eröffnen dem Erblasser die Möglichkeit, durch eine mehrfache zeitlich hintereinander gereihte Erbeinsetzung seine Vermögensverhältnisse über längere Zeit hinaus zu regeln. Sie dienen damit der Erhaltung des Familienvermögens durch Bindung des zunächst zum Erben berufenen Vorerben (zu Besonderheiten i. R.d. HöfeO s. Harder/Wegmann in Soergel, Vor § 2100 BGB Rn. 26). So kann, beispielsweise durch Einsetzung jeweils des erstgeborenen Kindes einer Generation als Vor- bzw. Nacherbe – innerhalb der Grenzen des § 2109 BGB – das Vermögen über mehrere Generationen hinweg in der Familie gehalten werden (Grunsky in MüKo, § 2100 BGB Rn. 3; Harder/Wegmann in Soergel, § 2100 BGB Rn. 21).
Rz. 5
Weitere Bedeutung hat das Rechtsinstitut der Vor- und Nacherbschaft durch die Möglichkeit des Vorbeisteuerns des Nachlassvermögens an den Erben des/der Vorerben und dessen/deren Pflichtteilsberechtigten. So kann bspw. beim Geschiedenentestament ein geschiedener Ehegatte ein eheliches Kind als Vorerben einsetzen und für den Fall des Todes des Kindes die Nacherbfolge anordnen. Damit wird vermieden, dass beim Ableben des Vorerben der Ex-Ehegatte das vom Erblasser stammende Vermögen erbt. Ein weiterer Anlass, Vor- und Nacherbschaft anzuordnen, besteht im Schutz des Nachlasses vor Gläubigern des Vorerben. Wird nämlich die Vor- und Nacherbfolge mit einer Testamentsvollstreckung (§§ 2115, 2214 BGB) kombiniert, so besteht die Möglichkeit, dem Vorerben den Nachlass zukommen zu lassen, ohne dass Gläubiger des Vorerben auf diesen zugreifen können. Die gleiche Intention ist beim Behindertentestament gegeben. Auch dort besteht ein Bedürfnis, das Nachlassvermögen vor dem Zugriff durch den Sozialhilfeträger zu schützen. So besteht die Möglichkeit, ein behindertes Kind zum Vorerben mit einer über der Pflichtteilsquote liegenden Erbquote einzusetzen. Beim Tod des Kindes tritt die Nacherbfolge ein. Zu Nacherben werden weitere Familienmitglieder, speziell die "gesunden" Kinder eingesetzt. Gleichzeitig wird während der Dauer der Vorerbschaft eine Testamentsvollstreckung angeordnet mit der Maßgabe, dass der Stamm des verwalteten Vermögens und seine Erträge dem Behinderten nur insoweit zur Verfügung gestellt werden sollen, als es sich um Schonvermögen i. S. d. § 90 Abs. 2 SGB XII handelt (s. BGH vom 21.03.1990, BGHZ 111, 36; BGH vom 20.10.1993, BGHZ 123, 368; BGH vom 19.01.2011, ZEV 2011, 258 m. Anm. Leipold, ZEV 2011, 528; OLG Hamm vom 27.10.2016, ErbR 2017, 418; Zehentmeier, NWB 2017, 1740; Spalt, ZEV 2017, 26; Litzenburgerin B/R/H/P, § 2100 BGB Rn. 12 ff.; Damrau, ZEV 1998, 1; eingehend hierzu auch Ruby, ZEV 2006, 66 mit zahlreichen Formulierungsvorschlägen sowie Griesel, ErbBstG 2008, 306; Beckervordersandfort/Lüeßen, ErbBstg 2010, 269; Dietz/Spall, ZEV 2012, 456 und Reich, ZEV 2012, 639.
Ein weiterer Grund für die Anordnung der Vor- und Nacherbfolge besteht in der Reduktion von Pflichtteilsansprüchen Pflichtteilsberechtigter des Vorerben. Würde der Vorerbe nicht lediglich als Vorerbe, sondern als "klassischer" Erbe eingesetzt, so träte bei ihm eine Vermögenskumulation auf, die zur Folge hätte, dass seine Pflichtteilsberechtigten auch hierauf im Rahmen ihres Pflichtteils zugreifen könnten. Ist dagegen lediglich eine Vorerbschaft angeordnet, so bleibt das...