Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Rz. 11
In die Rechtsstellung eines Erben rücken ein:
- der gesetzliche Erbe,
- der gewillkürte Erbe,
- der Erbe kraft Vertrags,
- bei mehreren Erben die Miterbengemeinschaft.
Ausgeschlossen sind die Personen, die vom Erblasser enterbt bzw. als erbunwürdig angesehen wurden, oder die zu Lebzeiten auf das Erbe verzichtet haben.
Aus der Gesamtschau von § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bilden nur diejenigen erbrechtlichen Vorgänge einen Erwerb durch Erbanfall ab, bei denen es zu einer unmittelbaren Erbfolgeregelung kommt.
Rz. 12
Sonstige Zuwendungen im Rahmen letztwilliger Verfügungen wie die Anordnung eines Vermächtnisses, einer Auflage oder die erbrechtliche Stellung eines Pflichtteilsberechtigten sind abgestufte Erwerbstatbestände innerhalb von § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.
Die weiteren Tatbestände von § 3 Abs. 1 ErbStG haben jeweils eine andere – und keine erbrechtliche – Rechtsgrundlage wie z. B. eine Schenkung auf den Todesfall oder ein Vertrag zugunsten Dritter.
2.1.1 Der/die gesetzliche/n Erbe/n
Rz. 13
Für den Fall einer fehlenden letztwilligen Erbeinsetzung oder bei einem nichtigen Testament definiert § 1922 BGB i. V. m. §§ 1924 ff. BGB sowohl den Erwerbsvorgang als auch die Personen des Erbfalls. Zum Übergang selbst (gesetzliche Gesamtrechtsnachfolge) s. Rn. 20. Als Personengruppen und damit (Erbschaft-)Steuerpflichtige kommen die Abkömmlinge (s. Rn. 91 ff.) und der Ehegatte (s. Rn. 94 ff.) in Betracht. Zusammen bilden sie eine rechtliche Koexistenz, die als Erbengemeinschaft zu qualifizieren ist (s. Rn. 152 ff.). Ist zur Zeit des Erbfalls kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner vorhanden, so erbt der Fiskus; der Erbanfall ist gem. § 13 Abs. 1 Nr. 15 ErbStG steuerfrei.
2.1.2 Der/die gewillkürte/n Erbe/n
Rz. 14
Dem Grundsatz der Privatautonomie folgend, haben letztwillige Verfügungen Vorrang vor der gesetzlichen Erbfolge (s. § 1937 BGB). Ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, folgt auch das ErbStG diesem Prinzip. Alle Erwerbsvorgänge auf der Grundlage einer wirksamen testamentarischen oder vertraglichen Anordnung unterliegen daher dem Grundtatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 1, 1. Fall ErbStG.
Rz. 15
Ein Erwerb kraft gewillkürter Erbfolge wird auch – und ohne ausdrückliche Erwähnung – für den Nacherben angenommen, der aufgrund § 2139 BGB die Erbschaft antritt, da § 6 ErbStG insoweit nur eine Ergänzungsfunktion hat (s. § 6 Rn. 23 f.). Gewillkürte Erben sind ebenfalls die aufgrund einer besonderen "Klausel"-Regelung eingesetzten Nachfolger in einer Personengesellschaft. Anders als im gesetzlichen Konzept der Erbengemeinschaft, die als solche in die "Fußstapfen" des Erblassers tritt, findet hier eine unmittelbare Nachfolge der Einzelpersonen statt, die individuell als Gesellschafter-Nachfolger vorgesehen sind. Dieser Anwendungsfall der sog. "Sondererbfolge" (oder Sonderberechtigten-Erbfolge; s. Rn. 80 ff.) wird aus Gründen des Sachzusammenhangs im Rahmen der Gesamtkommentierung der Vererbung einer Beteiligung an einer Personengesellschaft (bei § 3 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) dargestellt, da das ErbStG an dieser Stelle einen einschlägigen Fall der Sondererbfolge bei Personengesellschaft behandelt.
2.1.3 Erbe kraft Vertrag
Rz. 16
Im Unterschied zur einseitigen letztwilligen Verfügung besteht die Möglichkeit, zu Lebzeiten durch Vertrag seine Vermögensverhältnisse nach dem Tode zu regeln. Der Vertragserbe unterliegt im Unterschied zu dem Angehörigen, der im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge Vermögensgegenstände zu Lebzeiten des Übergebers erhält (Anwendungsfall des § 7 ErbStG), ebenfalls § 3 Abs. 1 Nr. 1, 1. Fall ErbStG (s. Rn. 150 f.). Vertragspartner eines Erbvertrages sind der Erblasser und meistens dessen Ehegatte; auch ein Verlobter, ein Lebenspartner oder Dritte kommen als Vertrags-"Gegner" (so Weidlich in Grüneberg, § 2275 Rn. 3; s. auch Nieder in Münchener Vertragshandbuch Band 6, 7. Aufl., München 2018, Ziff. XVI.31 und Ziff. XVI.32) in Betracht. Neben der Einsetzung als "Vertragserbe" können auf diesem Wege Vermächtnisse oder Auflagen angeordnet werden.
2.1.4 Mehrere Erben
Rz. 17
Eine Sonderstellung in allen Rechtsdisziplinen (Erbrecht: s. §§ 2032 ff. BGB; Einkommensteuerrecht: s. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG i. V. m. der Realteilung, s. § 16 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG) nehmen mehrere Erben ein. Diese Personengruppe ist – als Gesamthandsgemeinschaft – immer unmittelbarer Rechtsnachfolger des Erblassers, deren einzelne Mitglieder erst bei der Auseinandersetzung Alleineigentümer der Aufteilungsmasse werden. Dennoch behandelt die Finanzverwaltung häufig die einzelnen Erben – in bedenklicher Weise – schon vor der Auseinandersetzung als alleinige steuerliche Zurechnungssubjekte gem. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO (d. h. wie Bruchteilseigentümer). Die Bedenken sind deshalb angebracht, da das FA die Anwendung der §§ 741 ff. BGB (Bruchteilsgemeinschaft) im Einzelfall begründen müsste (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO: "… soweit dies steuerlich erforderlich ist"). Im Unterschied zur gesellschaftsrechtlichen Gesamthand (alle Personengesellschaften wie OHG, KG oder BGB-Gesellschaft) "firmiert" der erbrechtliche Zusammenschluss als eine atypische Gesamthand, die durch den Tod des Erblassers ...