Dipl.-Kffr. Christina Vosseler, Francoise Dammertz
Rz. 7
Nachdem das BVerfG (Urteil vom 17.12.2014, BStBl II 2015, 50) insb. die Verschonungsregelungen für BV nach §§ 13a und 13b ErbStG a. F. als zu weitgehend betrachtet und Änderungen an dem bisher geltenden Recht angemahnt hatte, war der Gesetzgeber gezwungen, dieses neu zu regeln. Mit dem Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG vom 04.11.2016 (BGBl I 2016, 2464) wurden die Vorgaben des BVerfG umgesetzt.
Rz. 8
Ab 2016 sollte gemäß der ursprünglich geplanten Neufassung des § 203 Abs. 2 BewG ein Korridor vorgegeben werden, in dem sich der Basiszinssatz bewegen kann. Dabei sollte der Basiszinssatz 3,5 % nicht unter- und 5,5 % nicht überschreiten mit der Folge, dass sich der Kapitalisierungsfaktor immer zwischen 10 und 12,5 bewegt hätte. Infolgedessen hätte sich für 2016 ein Kapitalisierungsfaktor i. H. v. 17,8571 ergeben, wenn man einen Basiszinssatz von 1,10 % (BMF vom 04.01.2016, BStBl I 2016, 5) zugrunde gelegt hätte, der aber dann auf 100/8 = 12,5 begrenzt worden wäre. In Niedrigzinsphasen kann die Anknüpfung an den Basiszinssatz zu Überzeichnungen bei der Wertermittlung nicht börsennotierter KapG und von BV führen.
Rz. 9
I.R.d. Vermittlungsverfahrens einigte man sich jedoch auf einen gänzlich neuen Weg: Der Kapitalisierungsfaktor wird nunmehr mit einem einheitlichen Faktor von 13,75 gesetzlich vorgegeben (§ 203 Abs. 1 BewG). Als Folge ergibt sich ein Kapitalisierungszinssatz von 7,27 % (1/13,75; s. Erb/Regierer/Vosseler, Kap. 3 Rn. 36). Dieser Zinssatz dient der Ermittlung des Barwerts der zukünftigen Ertragsüberschüsse. Um aber auch in Zukunft die Zinsentwicklung einzubinden, wird nach § 203 Abs. 2 BewG das BMF ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats den Kapitalisierungsfaktor an die Entwicklung der Zinsstrukturdaten anzupassen. Die Tatsache, dass i. R.d. Neuregelung keine automatische Anpassung an die Kapitalmarktentwicklung erfolgt, wird mitunter kritisch gesehen (s. Erb/Regierer/Vosseler, Kap. 3 Rn. 37).
Rz. 10
§ 203 BewG n. F. gilt für Bewertungsstichtage bereits rückwirkend ab dem 01.01.2016 (§ 265 Abs. 11 BewG). Zu den Folgen der rückwirkenden Anwendung vgl. die gleichlautenden Ländererlasse vom 11.05.2017 (BStBl I 2017, 751). Eine rückwirkende Anwendung für Bewertungsstichtage vor dem 01.01.2016 scheidet hingegen aus (s. FG Sachsen vom 14.11.2018, EFG 2019, 677). Für die Bewertung von Erfindungen und Urheberrechten ist weiterhin ein Kapitalisierungszins nach der Vorgehensweise des § 203 BewG a. F. zu nutzen (s. FG Hamburg vom 20.02.2018 – S 3101 – 2017/001 – 53).
Rz. 11
Auf den ersten Blick erscheint die Neuregelung für den Steuerpflichtigen durchweg vorteilhaft. Der Unternehmenswert reduziert sich durch die Senkung des Kapitalisierungsfaktors beim nach wie vor geringen Zinsniveau um rund 25 % (s. Beznoska/Hentze, DB 2016, 2435). Allerdings kann ein reduzierter Unternehmenswert im Zuge der Ermittlung der VV-Quote i. R.d. bis zum 30.06.2017 geltenden Rechtslage zu Nachteilen führen. Für die Inanspruchnahme der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregelungen für BV durfte der Anteil des VV je nach Umfang der Begünstigung den Wert von 50 % bzw. 10 % (§ 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG a. F.) nicht übersteigen. Bleibt der Wert des VV gleich, führt ein niedrigerer Unternehmenswert zu einer höheren VV-Quote (s. Hannes, ZEV 2016, 555). Wegen dieser Nachteile werden im Hinblick auf die rückwirkende Anwendung Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit geäußert (s. Schnitter in W/J, § 203 Rz. 14). Für Erwerbe, die nach dem 31.12.2015 und vor dem 01.07.2016 stattgefunden haben, hat der Steuerpflichtige die Möglichkeit, für eine Anwendung des alten Faktors von 17,8571 zu optieren, wenn sich der festgestellte gemeine Wert i. R.d. Verschonung nach § 13a ErbStG a. F. bei der Festsetzung der Erbschaft- und Schenkungsteuer zum Nachteil des Erwerbers auswirkt (s. gleichlautender Ländererlass vom 11.05.2017 (BStBl I 2017, 751)).
Rz. 12
Beispiel zur Wirkung der Neuregelung:
Der alleinige Gesellschafter einer GmbH verstirbt am 02.01.2016. Der Wert der Anteile wird i. R.d. des vereinfachten Ertragswertverfahrens ermittelt. Dazu werden die Betriebsergebnisse der letzten drei Jahre betrachtet, die dem Bewertungsstichtag vorangehen (s. § 201 Abs. 2 BewG). Die notwendigen Korrekturen der Betriebsergebnisse (z. B. hinsichtlich des Ertragsteueraufwands, s. § 202 BewG) wurden bereits vorgenommen. Das VV beträgt 1,8 Mio. EUR.
Die Jahre 2015, 2014 und 2013 weisen folgende Betriebsergebnisse auf:
Jahr 2015 |
Jahr 2014 |
Jahr 2013 |
200.000 EUR |
250.000 EUR |
230.000 EUR |
Der Durchschnittswert beträgt (200.000 + 250.000 + 230.000) = 226.667 EUR
Dieser Wert wird nun mit dem Kapitalisierungsfaktor multipliziert.
Vergleich Rechtslage vor und nach der Gesetzesänderung 2016 |
|
2015 |
Rückwirkend ab dem 01.01.2016 |
Kapitalisierungsfaktor |
17,8571 |
13,75 |
Durchschnittliches Jahresergebnis |
226.667 EUR |
226.667 EUR |
Ertragswert |
4.047.615 EUR |
3.116.671 EUR |
VV |
1.800.000 EUR |
1.800.000 EUR |
VV-Quote |
44... |