Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Rz. 104
Das BGB, das bekanntlich dem Grundsatz der Privatautonomie folgt, behandelt auch im Erbrecht persönliche Willensäußerungen (hier: letztwillige Verfügungen) als gegenüber dem gesetzlichen Erbrecht vorrangig (s. §§ 1939, 1941, 1953, 2088 und 2104 BGB). Danach geht eine wirksame letztwillige Verfügung dem gesetzlichen Erbrecht stets vor. Der testierende Erblasser ist jedoch an die vom Gesetz vorgegebenen Rechtsinstitute und die sie mittragenden Formvorschriften gebunden. Der Erblasser kann sich dabei des einseitigen Testaments (s. § 1937 BGB) oder des Erbvertrages (s. § 1941 BGB) bedienen. Wegen der Bindungswirkung nimmt das gemeinschaftliche Ehegattentestament (s. §§ 2265ff. BGB) eine Mittelstellung ein. Die Grenzen der Testierfreiheit liegen für den Erblasser im nicht disponiblen Pflichtteilsrecht (s. §§ 2303ff. BGB) sowie – allgemein – in der Sittenwidrigkeit der angeordneten gewillkürten Erbfolge (s. § 138 BGB).
Rz. 105
Einen ersten Überblick vermittelt die nachfolgende Übersicht, in der die wichtigsten Voraussetzungen und Rechtsfolgen enthalten sind.
Die vorangestellten Gliederungsziffern (0–7) werden im Anschluss kommentiert.
Die Erläuterungen im Einzelnen:
Rz. 106
(0) Verfügungen von Todes wegen
Eine wirksame letztwillige Verfügung liegt erst dann vor, wenn der Erblasser (EL) seinen Testierwillen dokumentiert hat (objektiver Tatbestand) und wenn die innere Willensgrundlage auf ein Handlungsbewusstsein schließen lässt, wonach sich der Erblasser über die rechtsgeschäftlichen Folgen im Klaren ist (subjektiver Tatbestand).
Am objektiven Tatbestand fehlt es z. B. bei einer bloßen Ankündigung (sog. "Brieftestamente") oder bei Einzelverfügungen, da eine letztwillige Verfügung immer einen ganzheitlichen Vermögensübergang impliziert. Bei Einhaltung der Form kann eine Einzelverfügung in ein Vermächtnis umgedeutet werden.
Der subjektive Tatbestand ist nicht gegeben, wenn der EL die Erklärung im Zustand der Bewusstlosigkeit abgibt oder wenn dem Handeln jedes Willensmoment fehlt (etwa bei "Reflexhandeln"). Irrt sich der EL bei Abgabe der testamentarischen Erklärung, so bleibt diese bis zur Anfechtung bestehen. Hieraus ergibt sich auch, dass bei der Abfassung eines Testaments die Kenntnis der konkreten Rechtsfolge oder der verwendeten Begriffe nicht zwingend erforderlich ist, da insoweit die Anfechtung (s. § 2078 BGB) das probate "Gegenmittel" darstellt.
Rz. 107
(1) Form
Bei beiden eigenhändigen Testamentsformen genügt die eigenhändige Handschrift und Unterschrift dem Mindestinhalt des § 2247 BGB (bzw. § 2267 BGB). Darunter ist zu verstehen, dass – im wörtlichen Sinne – die Unterschrift (kann auch ein Pseudonym sein, s. § 2247 Abs. 3 BGB) unter den ganzen Text der Urkunde gesetzt wird (Grenzfall: Testamente in einem verschlossenen Umschlag mit hierauf befindlicher Unterschrift entsprechen dem Kriterium). Das Merkmal der persönlichen Handschrift kann – wegen der Authentizitätsfeststellung – nicht ersetzt werden. Nach problematischer Rspr. (BayObLG vom 10.09.1985, NJW 1986, 389) soll es genügen, wenn die Hand "geführt" wird.
Beim gemeinschaftlichen Testament (s. § 2267 BGB) genügt die handschriftliche Abfassung der Urkunde durch einen Ehegatten (privilegierte Form) mit der Unterschrift beider Ehegatten.
Zeit-, Datums- und Ortsangaben sind gem. § 2247 Abs. 2 BGB reine Soll-Vorschriften. Werden diese nicht erwähnt, bleibt davon die Gültigkeit des Testaments unberührt, wenn sich diese Daten außerhalb der Urkunde ermitteln lassen (s. § 2247 Abs. 5 BGB).
Um Auslegungsstreitigkeiten im Vorfeld zu vermeiden, insb. um zu garantieren, welches die letzte testamentarische Verfügung war (s. nachfolgend (4)), empfiehlt sich immer die genaue Datumsangabe.
Daneben kann (und muss in bestimmten Fällen, s. § 2233 BGB) die letztwillige Verfügung zur Niederschrift des Notars erklärt werden (sog. "öffentliches Testament"); zum Erbvertrag s. Rn. 150 f.
Die außerordentlichen Testamente (das sog. Drei-Zeugen-, Bürgermeister- oder See-Testament) tragen der besonderen Testiersituation Rechnung, dass ein Notar nicht greifbar ist und ein handschriftliches Testament ebenfalls ausscheidet (s. §§ 2248 ff. BGB, dazu auch das Beispiel s. Rn. 115).
Rz. 108
(2) Höchstpersönliches Rechtsgeschäft
Nachdem eine Vertretung bei letztwilligen Verfügungen für nicht zulässig gehalten wird (s. §§ 2064f. BGB), tritt häufig das Problem auf, dass sich der Erblasser bei Abfassung seines letzten Willens in der Person eines Erben (noch) nicht sicher ist. Insbesondere bei umfangreichen Nachlassobjekten wie z. B. einem Unternehmen will der Erblasser die exakte Bestimmung des geeigneten Nachfolgers abwarten. Für diesen Fall lässt es die Rechtsprechung – ohne Verstoß gegen § 2065 BGB – genügen, wenn der Erblasser objektive Kriterien festlegt, aufgrund derer ein Testamentsvollstrecker – willkürfrei – den endgültigen Erben "bezeichnen" kann (s. BayObLG vom 16.07.1998, NJW 1999, 1119; früher bereits BGH vom 14.07.1965, NJW 1965, 2201).
Rz. 109
(3) Testierfähigkeit
Die uneingeschränkte ...