Rz. 86
Eine Geltendmachung des Pflichtteils ist auch noch nach der Verjährung des Pflichtteilsanspruchs möglich. In diesem Fall hängt die Erfüllung des Pflichtteils und damit die Bereicherung des Pflichtteilsberechtigten jedoch davon ab, dass der Pflichtteilsverpflichtete dazu bereit ist, den Pflichtteilsanspruch trotz der Verjährung zu erfüllen. Die herrschende Meinung im Schrifttum vertritt die Ansicht, in diesem Fall könne die Steuer erst dann entstehen, wenn der Anspruch erfüllt werde oder der Pflichtteilsverpflichtete sich zur Erfüllung in Kenntnis der Verjährung bereit erkläre (s. Gebel in T/G/J/G, § 3 Rn. 232; Hannes/Holtz in M/H/H, § 9 Rn. 35; Weinmann in M/W, § 9 Rn. 18a; Schuck in V/S/W, § 9 Rn. 32). Geck in K/E (§ 9 Rn. 42) ist hingegen der Ansicht, auch in diesem Fall müsse die Steuer mit der Geltendmachung entstehen und beruft sich hierfür auf ein BFH-Urteil vom 23.08.1978 (BStBl II 1978, 675), in dem es jedoch um die Frage ging, ob ein Antrag auf Aussetzung der Erbschaftsteuer gem. § 34 ErbStG a. F. zurückgenommen werden kann. In diesem Urteil führte der BFH aus, dass eine einmal vorgenommene Rechtsgestaltung nicht durch Rücknahme des Antrags rückwirkend beseitigt werden könne. Dieser Fall ist mit dem der Geltendmachung eines verjährten Pflichtteilsanspruchs nicht vergleichbar. Denn ansonsten müssten in sämtlichen Fällen, in denen nicht bedachte Pflichtteilsberechtigte vorhanden sind, für diese eine Steuerfestsetzung und ggfs. später eine Korrektur erfolgen. Eine Rechtssicherheit für den Pflichtteilsberechtigten wäre nicht gegeben. Dieser hätte zudem ebenfalls die volle Steuerlast zu tragen; der Staat würde zunächst doppelt festsetzen. Allenfalls ließen sich Parallelen zu einem nachträglichen Verzicht auf den Pflichtteil nach dessen Geltendmachung ziehen, der jedoch nach keiner Ansicht zum Erlöschen der Steuerpflicht führt. Ist der Pflichtteilsanspruch bereits verjährt, so hängt die Frage, ob es überhaupt zu einer Bereicherung des Pflichtteilsberechtigten kommt, allein davon ab, ob der Pflichtteilsverpflichtete bereit ist, den Anspruch zu erfüllen. Mangels gerichtlicher Durchsetzbarkeit hat der verjährte Anspruch gegen einen nichtzahlungswilligen Pflichtteilsverpflichteten keinen wirtschaftlichen Wert. Würde man bereits die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs ausreichen lassen, so müsste der Pflichtteilsberechtigte auch dann Steuern bezahlen, wenn sich der Pflichtteilsverpflichtete weigert, den verjährten Anspruch zu erfüllen. Dies entspricht nicht dem Bereicherungsprinzip des ErbStG. Zwar ist auch bei einem bereits zu unverjährter Zeit geltend gemachten Pflichtteil nicht ausgeschlossen, dass dieser später verjährt, weil es der Pflichtteilsberechtigte versäumt, im weiteren Verfahren seine Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen. In diesem Fall hatte der Pflichtteilsanspruch jedoch im Zeitpunkt der Steuerentstehung einen Wert, den er erst später durch die Verjährung verloren hat, also durch ein Ereignis nach Steuerentstehung. Ist die Pflichtteilsforderung bereits zum Zeitpunkt der Geltendmachung verjährt, so kann nur die Erfüllung des Anspruchs oder ein Verzicht des Pflichtteilsverpflichteten auf die Einrede der Verjährung die Steuer auf den Pflichtteilsanspruch entstehen lassen.
Rz. 87
Zutreffend weist Wälzholz darauf hin, dass sich durch die Erfüllung verjährter Pflichtteilsansprüche auch die persönlichen Freibeträge mehrfach nutzen lassen, wenn der Pflichtteilsberechtigte zunächst nur einen Teilbetrag geltend macht und nach Ablauf von zehn Jahren einen weiteren Teilbetrag fordert. Bei dem Pflichtteilsberechtigten scheidet in diesem Fall eine Zusammenrechnung nach § 14 ErbStG aus, da zwischen den Zeitpunkten der Steuerentstehung mehr als zehn Jahre vergangen sind. Beim Pflichtteilsverpflichtenden ist immer noch eine Korrektur möglich, da die Zahlung ein rückwirkendes Ereignis gem. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO darstellt (s. Wälzholz, ZEV 2007, 162, 164). Auch wenn dies eine Steuersparmöglichkeit darstellt, muss der Pflichtteilsberechtigte sich darüber im Klaren sein, dass dieses Gestaltungsmodell für ihn riskant ist, da die Erfüllung des Pflichtteils nach Verjährung allein vom Willen des Pflichtteilsverpflichteten bzw. dessen Erben abhängt.
Erblasser E hat mit seiner Frau ein sog. Berliner Testament errichtet. Erbin ist seine Ehefrau F, Schlusserben der Sohn S und die Tochter T. Das Vermögen hat einen Wert von 3,2 Mio. EUR. E stirbt in 01, S und T machen keinen Pflichtteil geltend. In 09 verschlechtert sich der Gesundheitszustand der F, sie würde gerne einen Teil ihres Vermögens bereits auf ihre Kinder übertragen.
- F schenkt S und T jeweils 400.000 EUR.
- S und T machen ihren Pflichtteilsanspruch nach E i. H. v. jeweils 400.000 EUR geltend, der von F erfüllt wird.
Lösung:
- Unter Anwendung von § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG müssen T und S keinen Erwerb versteuern. Stirbt F innerhalb der nächsten zehn Jahre, so steht ihnen dann für den Erwerb von Todes wegen jedoch kein persönlicher Freibetrag meh...