Rz. 90
Tritt der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteilsanspruch an einen Dritten ab, was gem. § 2317 Abs. 2 BGB möglich ist, so muss dennoch der Pflichtteilsberechtigte und nicht der Erwerber den Anspruch der Erbschaftsteuer unterwerfen. Umstritten ist, ob eine solche Abtretung des Anspruchs bereits die Geltendmachung des Anspruchs darstellt und damit die Steuerpflicht auslöst. Diese Frage stellt sich auch im Zivilrecht, da gem. § 852 Abs. 1 ZPO eine Pfändung des Pflichtteilanspruchs erst möglich ist, wenn dieser durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist. Als vertragliche Anerkennung gilt eine Vereinbarung, in der der Schuldner erkennen lässt, dass er den Anspruch geltend macht. Hierzu soll schon die Abtretung des Anspruchs ausreichen (s. Smid in Münchner Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2012, § 852 Rn. 3 m. w. N.; s. BGH vom 08.07.1993, NJW 1993, 2876 m. w. N.). Die erbschaftsteuerliche Literatur hierzu ist uneinheitlich. Muscheler lehnt die Annahme einer Geltendmachung durch Abtretung ab (ZEV 2001, 377, 379). Auch Hannes/Holtz sind der Ansicht, nicht schon die Abtretung, sondern erst die Geltendmachung durch den Zessionar löse die Erbschaftsteuer aus (Hannes/Holtz in M/H/H, § 9 Rn. 35). Diese Ansicht vertritt auch das FG Hessen. Abtretung bedeute, dass der Gläubiger vom Schuldner selbst keine Leistung verlangen, sondern diese Entscheidung einem Dritten überlassen wolle (s. FG Hessen vom 07.03.1990, EFG 1990, 587). Gebel meint hingegen, es komme auf die Umstände des Einzelfalls an. In den Fällen, in denen die Abtretung noch nicht als Geltendmachung des Anspruchs anzusehen sei, könnte auch die Geltendmachung durch den Zessionar nicht zur Steuerentstehung führen, da eine steuerbegründende Zurechnung des Verhaltens Dritter stets einer besonderen Begründung bedürfe. Erst die Leistung des Pflichtteilsverpflichteten an den Zessionar lasse in diesem Fall die Steuer entstehen (s. Gebel in T/G/J/G, § 3 Rn. 230).
Dieser Meinungsstreit hat gravierende Konsequenzen für den Fall, dass der Zessionar den Pflichtteilsanspruch nicht einfordert.
A hat einen Pflichtteilsanspruch i. H. v. 100.000 EUR gegenüber dem B. Er tritt diesen an C ab. C verzichtet gegenüber B auf den Pflichtteilsanspruch.
a) Die Abtretung erfolgt unentgeltlich.
b) Die Abtretung erfolgt gegen ein Entgelt i. H. v. 50.000 EUR.
Lösung:
a) Folgt man der Ansicht, dass die Abtretung bereits eine Geltendmachung des Pflichtteils darstellt (M1), so muss A 100.000 EUR versteuern, B kann 100.000 EUR gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG abziehen. Gleichzeitig kann eine steuerpflichtige Schenkung unter Lebenden von A an C i. H. v. 100.000 EUR vorliegen. Mit dem Verzicht auf die Zahlung des bereits geltend gemachten Pflichtteils liegt eine weitere steuerpflichtige Schenkung von C an B i. H. v. 100.000 EUR vor. § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG kann nicht zur Anwendung kommen, da der Pflichtteil ja bereits geltend gemacht wurde.
Folgt man hingegen der Meinung, nach der erst die Geltendmachung durch den Zessionar einen steuerpflichtigen Vorgang darstellt (M2), so muss A keinen Pflichtteilsanspruch versteuern, B kann keine Last abziehen. Der Verzicht auf den nach dieser Ansicht noch nicht geltend gemachten Pflichtteil ist dann gem. § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG steuerfrei. Zweifelhaft ist lediglich, ob zwischen A und C eine steuerpflichtige Schenkung vorliegt. Hier sollte man konsequenterweise aus dem Rechtsgedanken des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG folgern, dass auch insoweit die Steuerpflicht erst mit der Geltendmachung des Anspruchs durch C, also in diesem Fall gar nicht, eintritt. Bringt man diesen Rechtsgedanken nicht zur Anwendung, so würde aus § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG folgen, dass die Steuer für die Schenkung schon entstanden ist, da mit der Abtretung der Leistungserfolg bereits eingetreten ist.
b) M1: wie bei a), jedoch liegt eine steuerpflichtige Schenkung von A an C nur i. H. v. 50.000 EUR vor.
M2: wie bei a).
Rz. 91
Das Beispiel zeigt, dass beide Meinungen zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. Meinung 1 überzeugt im Fall der unentgeltlichen Übertragung nicht, da hier 3 × 100.000 EUR versteuert werden müssen, obwohl im Endeffekt kein Geld fließt. Meinung 2 ist problematisch im Fall der entgeltlichen Abtretung des Pflichtteilsanspruchs, da hier die offenkundig intendierte Bereicherung des B durch C nicht erfasst wird. Sachgerecht erscheint daher eine Differenzierung danach, ob es sich um eine unentgeltliche oder eine entgeltliche Abtretung des Pflichtteilsanspruchs handelt. Dies lässt sich auch damit begründen, dass die entgeltliche Übertragung des Pflichtteilsanspruchs diesen bereits realisiert, die unentgeltliche jedoch nicht.
Rz. 92
Da eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Problematik bislang fehlt, sollte eine eindeutigere Gestaltungsvariante gewählt werden. Im Fall a) sollte daher eine Abtretung von A an C nur dann vorgenommen werden, wenn der C den Anspruch auch tatsächlich geltend machen will, im Fall b) sollte C dem B 50.000 EUR schenken und...