Dipl.-Kffr. Christina Vosseler, Dr. Christoph Regierer
Rz. 34
Folge der Anwendung von § 29 ErbStG ist, dass die Steuer für die ursprüngliche Zuwendung rückwirkend erlischt. Es liegt ein rückwirkendes Ereignis vor, sodass der ursprüngliche Steuerbescheid unter Durchbrechung einer evtl. bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern ist. Dies hat auch zur Folge, dass evtl. Säumniszuschläge und Stundungszinsen rückwirkend erlöschen (s. Hannes/Holtz in M/H/H, § 29 Rn. 2; a. A. FG Hessen vom 07.05.2018, BeckRS 2018, 15851; Jülicher in T/G/J/G, § 29 Rn. 76). Ungeklärt ist, ob durch den rückwirkenden Entfall der Schenkungsteuer auch eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung, die im Zusammenhang mit der ursprünglichen Schenkung begangen wurde, rückwirkend entfällt (gegen ein rückwirkendes Entfallen: FG Hessen vom 07.05.2018, a. a. O.; a. A. Götz, DStR 2001, 417). Die Steuer ist an den ursprünglich Zahlenden zu erstatten. Hat der Schenker die Zahlung der Steuer übernommen, hat die Erstattung an ihn zu erfolgen. Ist die rückabgewickelte Schenkung als Vorschenkung in die Besteuerung eines nachfolgenden Vorgangs eingegangen, ist diese Steuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern (s. Schleswig-Holsteinisches FG vom 09.10.2008, EFG 2009, 40).
I.R. einer Ausgleichszahlung an einen Insolvenzverwalter kommt es nicht zum Erlöschen der Steuerschuld nach § 29 ErbStG (FG Schleswig-Holstein vom 24.05.2018, EFG 2020, 133; Revision anhängig beim BFH: II R 8/19). Eine derartige Ausgleichszahlung kann entstehen, wenn eine Schenkung i. R. von § 134 InsO vom Insolvenzverwalter angefochten wird. Um die Herausgabe des Zuwendungsgegenstandes zu verhindern, leistet der Beschenkte an den Insolvenzverwalter eine Ausgleichszahlung. Maßgeblich gegen ein Erlöschen der Steuerschuld spricht, dass keine tatsächliche Herausgabe des Zuwendungsgegenstandes stattgefunden hat (s. FG Schleswig-Holstein vom 24.05.2018, a. a. O.).
Rz. 35
Die Steuer erlischt auch dann mit Wirkung für die Vergangenheit, wenn die Herausgabe aufgrund einer Weiterleitungsverpflichtung an einen Dritten erfolgt (s. BFH vom 24.05.2000, BFH/NV 2001, 39). Entscheidend ist nicht, dass der beschenkte Gegenstand an den ursprünglichen Schenker wieder herausgegeben wird, sondern dass er nicht beim Beschenkten verbleibt.
Rz. 36
So findet § 29 ErbStG auch Anwendung, wenn beispielsweise
- der Nacherbe nach § 2113 BGB einen Herausgabeanspruch aufgrund beeinträchtigender Schenkungen durch den Vorerben geltend macht. Die Herausgabe findet in diesem Fall nicht mehr an den Vorerben, als ursprünglichen Schenker, sondern an den Nacherben statt;
- der Vertragserbe einen Herausgabeanspruch im Falle beeinträchtigender Schenkungen nach § 2287 BGB geltend macht;
- nach § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB der Empfänger einer unentgeltlichen Verfügung durch einen Nichtberechtigten seiner Verpflichtung zur Herausgabe nachkommt.
Rz. 37
§ 29 ErbStG ist auch anwendbar, wenn vertragliche Regelungen zur Herausgabe nicht an den ursprünglichen Schenker, sondern an einen Dritten zwingen. In diesen Fällen kommt allerdings ein steuerpflichtiger Vorgang zwischen dem ursprünglichen Schenker und dem Dritten in Betracht.
Rz. 38
Anstatt der Steuer für die ursprüngliche Zuwendung schuldet der ursprünglich Beschenkte nun eine Steuer für die zwischenzeitlichen Nutzungen nach § 29 Abs. 2 ErbStG.
Rz. 39
Auch wenn § 29 ErbStG unmittelbar nur zu den Steuerfolgen der ursprünglichen Zuwendung Stellung nimmt, ergibt sich aus der Vorschrift außerdem, dass auch die Rückübertragung nicht steuerpflichtig ist. Die Rückübertragung erfolgt im Regelfall nicht freiwillig bzw. nicht in Bereicherungsabsicht, sodass in der Rückübertragung kein steuerpflichtiger Vorgang gesehen werden kann.
Im Falle, dass keine Schenkungsteuer festgesetzt wurde und die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen ist, kann durch § 29 ErbStG die Festsetzungsfrist nicht neu beginnen. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO bezieht sich nur auf eine Korrektur bereits erlassener Bescheide (s. FG Düsseldorf vom 30.11.2016, EFG 2017, 142).
Rz. 40–42
vorläufig frei