Rz. 241
Die Vermögenshingabe (Entreicherung) geschieht im Regelfall durch eine rechtsgeschäftliche Handlung, kann aber auch durch eine tatsächliche Handlung erfolgen. Sie muss in einem Bestandteil des Vermögens des Zuwendenden bestehen, z. B. in Sachen, Rechten oder anderen geldwerten Vermögensgegenständen. Selbst die Hingabe einer nahezu wertlosen Forderung führt zu einer Entreicherung, da nicht auszuschließen ist, dass diese wieder an Wert gewinnt (RFH vom 29.10.1937, RStBl 1937, 1303; vom 23.06.1938, RStBl 1938, 749). Dem hingegen fehlt es an einer Entreicherung, wenn eine Angestellte vom Konto ihres Arbeitgebers unautorisiert Überweisungen an Gläubiger ihres Freundes tätigt, da es bei der Angestellten nicht zu einer Vermögensverschiebung kommt, die sich auf ihre Vermögenssubstanz bezieht (BFH vom 25.11.2020, ZEV 2021, 457).
Rz. 242
Eine Entreicherung des Zuwendenden ist allerdings dann ausgeschlossen, wenn die Vermögensminderung durch einen mit der Vermögenshingabe verbundenen Vermögensvorteil ausgeglichen wird. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn auf eine wertlose Forderung nur zum Zwecke der Sanierung eines notleidenden Unternehmens mit Besserungsabrede verzichtet wird. Zwar liegt auch hier ein Forderungsverzicht vor, da die Besserungsabrede lediglich eine auflösende Bedingung i. S. d. § 158 Abs. 2 BGB darstellt, die bestehende Entreicherung des Zuwendenden wird hier allerdings durch eine zukunftsorientierte Ertragserwartung ausgeglichen. Der Gläubiger, der auf eine wertlose Forderung gegen Besserungsabrede zum Zwecke der Sanierung des Schuldners verzichtet, gibt nichts aus seinem Vermögen heraus, vielmehr schichtet er uneinbringbare Werte gegen Erwerbsaussichten lediglich um (FG Rheinland-Pfalz vom 15.09.2005, EFG 2005, 1890; ebenso Griesel in D/H/R, § 7 Rn. 15, 87). Insoweit unterscheidet sich die schenkungsteuerrechtliche Beurteilung von der ertragsteuerrechtlichen Beurteilung, die (lediglich) von einem auflösend bedingten Untergang der Forderung ausgeht, mit der Folge, dass die Forderung bis zum eventuellen Bedingungseintritt nicht mehr zu passivieren ist (s. zur ertragsteuerrechtlichen Beurteilung BFH vom 29.01.2003, BStBl II 2003, 768; vom 20.10.2004, BStBl II 2005, 581 sowie BMF vom 02.12.2003, BStBl I 2003, 648). Wird eine mit einer Besserungsabrede versehene Forderung unentgeltlich abgetreten, liegt erst dann eine Schenkung vor, wenn der Fall der Besserungsabrede eintritt und die Forderung wieder werthaltig wird (BFH vom 21.04.2009, BStBl II 2009, 606; Anmerkungen Hartmann, ErbStB 2009, 236). Ein weiterer Fall der Kompensation der Vermögensminderung ist dann gegeben, wenn die Gesellschafter einer GmbH dieser entsprechend ihren Gesellschaftsanteilen Zuschüsse gewähren. Die Vermögenshingabe wird hier durch die Werterhöhung des Gesellschaftsanteils kompensiert. Steht der Vermögenshingabe eine Gegenleistung gegenüber, so fehlt es an der objektiven Unentgeltlichkeit (Einzelheiten zur Unentgeltlichkeit s. Rn. 285 ff.).
Rz. 243
Bloße Erwartungen des Zuwendenden stellen allerdings keinen Vorteilsausgleich dar, der die Entreicherung entfallen lässt. Bei einer Schmiergeldzahlung oder Gewährung einer Incentive-Reise an einen Geschäftspartner liegt daher selbst dann eine Entreicherung des Zuwendenden vor, wenn dieser sich hierdurch die Anbahnung oder Verbesserung geschäftlicher Beziehungen oder gar einen konkreten Auftrag verspricht (s. OFD München vom 02.10.2003, DStR 2003, 2225 zu freigebigen Zuwendungen im Geschäfts- und Wirtschaftsleben; s. Rn. 570 ff.).
Rz. 244
Des Weiteren fehlt es an einer entreichernden Vermögenshingabe, wenn der Zuwendende auf bloße Erwerbsaussichten verzichtet, da diese keinen steuerlich bewertbaren Vermögensbestandteil darstellen. Ein Verzicht hierauf führt demnach nicht zu einer Vermögensminderung und damit auch nicht zu einer Entreicherung. Erwerbsaussichten können in verschiedensten Lebensbereichen auftreten. So ist zunächst an den geschäftlichen Bereich zu denken, beispielsweise an die Abgabe eines Angebots im Bieterverfahren, aber auch im Familien- und Erbrecht sind Erwerbsaussichten keine Seltenheit. So stellt z. B. die Zugewinnausgleichsforderung eines Ehegatten, die diesem nach Beendigung der Zugewinngemeinschaft zusteht, eine bloße Erwerbsaussicht dar, solange die Zugewinngemeinschaft besteht. Der Verzicht auf einen zukünftigen Zugewinnausgleich gegen Abfindung stellt daher eine freigebige Zuwendung des Abfindungsbetrags dar (BFH vom 28.06.2007, BStBl II 2007, 785). Gleiches gilt für das Erbrecht. Auch dieses stellt lediglich eine Erwerbsaussicht dar. Der (unentgeltliche) Verzicht auf ein Erb- oder Pflichtteilsrecht führt daher mangels Entreicherung zu keiner freigebigen Zuwendung. Gleiches gilt für die Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses (s. § 517 BGB). Zum entgeltlichen Verzicht auf das Erb- oder Pflichtteilsrecht vgl. Rn. 616 ff.
Rz. 245
Auch ein Anwartschaftsrecht stellt noch keinen gesicherten und bewertbaren Vermögensbestandsteil dar...