Rz. 270
Unter Kettenschenkungen sind mehrere, in kurzem Zeitabstand hintereinander geschaltete Zuwendungen des gleichen Zuwendungsgegenstandes oder zumindest eines Teils davon zu verstehen. Wirtschaftlicher Hintergrund ist regelmäßig die Ausnutzung günstigerer Freibeträge und Steuertarife. Will z. B. der Schwiegervater dem Schwiegersohn ein Grundstück zuwenden, so würde die unmittelbare Zuwendung unter Steuerklasse II fallen. Hingegen lägen bei der Zuwendung zunächst an die Tochter und einer weiteren Zuwendung der Tochter an den Ehegatten (Schwiegersohn) zwar zwei Zuwendungen vor, diese unterfielen jedoch der Steuerklasse I, was infolge der bestehenden Freibeträge und des anzuwendenden Steuertarifs selbst in der Summe regelmäßig günstiger ist. Eine solche Vorgehensweise ist allerdings unter verschiedenen Aspekten Gefahren ausgesetzt. So stellt sich zunächst die Frage, ob die Zwischenschaltung einer (oder mehrerer) Mittelsperson(en) keinen Gestaltungsmissbrauch gem. § 42 AO darstellt, da bei unbefangener Betrachtung letztlich eine Zuwendung an den Letztbedachten (Schwiegersohn) angestrebt ist. Zum anderen stellt sich die Frage, ob die Erstzuwendung eine Zuwendung unter Weitergabeauflage darstellt. Dies hätte zur Folge, dass der Erstbedachte (Tochter) nur insoweit bereichert wäre, als er nicht durch die Weitergabeauflage belastet ist. Die Weiterleitung der Zuwendung an den Letztbedachten (Schwiegersohn) wäre dann nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG im Verhältnis zwischen Erstzuwendendem (Schwiegervater) und Letztbedachtem (Schwiegersohn) zu versteuern.
Rz. 271
Während RFH und BFH zunächst die Kettenschenkung eher restriktiv beurteilten und in verschiedenen Urteilen (RFH vom 02.02.1934, RStBl 1934, 918; BFH vom 11.11.1955, BStBl III 1955, 395; vom 30.11.1960, BStBl III 1961, 21) einen Gestaltungsmissbrauch angenommen haben, lockerte der BFH beginnend mit seinem Urteil vom 14.03.1962 (BStBl III 1962, 206) seine Rechtsprechung zusehends und greift nur noch ausnahmsweise auf § 42 AO bzw. eine Zuwendung unter Weitergabeauflage zurück (Einzelheiten zur Rechtsprechungsentwicklung s. Schuck in V/S/W, § 7 Rn. 91 f. sowie Weinmann in M/W, § 7 Rn. 147 ff.). Gesichert gelten kann nach heutiger Rechtsprechung, dass die Durchführung einer Kettenschenkung im Grundsatz keinen Gestaltungsmissbrauch i. S. d. § 42 AO darstellt, da dem Steuerpflichtigen die Wahl des günstigsten Übertragungsweges freigestellt ist (BFH vom 16.01.1992, BStBl II 1992, 541; FG Hamburg vom 20.08.2019, ZEV 2019, 735). Einer Kettenschenkung haftet daher gleichsam durch ihre Vornahme nicht bereits die Vermutung einer Steuerumgehung an (so aber noch der BFH im (überholten) Urteil vom 11.11.1955, BStBl III 1955, 395). Auch reicht hierfür nicht aus, dass der Erstbedachte mit Wissen und Einverständnis des Erstzuwendenden das ihm übergebene Vermögen seinerseits für eine freigebige Zuwendung verwendet (BFH vom 14.03.1962, BStBl III 1962, 206; FG Rheinland-Pfalz vom 18.02.1999, EFG 1999, 617; FG Hamburg vom 20.08.2019, ZEV 2019, 735; s. dazu Fromm, DStR 2000, 455). Die heutige Rechtsprechung (BFH vom 13.10.1993, BStBl II 1994, 128; vom 22.12.2004, BFH/NV 2005, 705; vom 10.03.2005, BStBl II 2005, 412; vom 18.07.2013, BStBl II 2013, 934; FG Hamburg vom 20.08.2019, ZEV 2019, 735; ebenso die Literatur: Weinmann in M/W, § 7 Rn. 147; Hannes/Holtz in M/H/H, § 7 Rn. 70; Gebel in T/G/J/G, § 7 Rn. 237; Esskandari in vO/L, § 7 Rn. 147) geht davon aus, dass erst dann die Kettenschenkung zu versagen ist, wenn der Mittelsperson kein eigener Entscheidungsspielraum und keine Dispositionsmöglichkeiten über den Zuwendungsgegenstand zustehen. Ist demhingegen der Zwischenerwerber im Innenverhältnis zum Erstzuwendenden an eigenen Dispositionen gehindert und muss er die auf ihn übertragene Zuwendung unmittelbar im Anschluss an den Letztbedachten weitergeben, ist eine Kettenschenkung zu versagen. Es liegt dann eine freigebige Zuwendung des Erstzuwendenden an den Letztbedachten vor, da sodann eine Zuwendung unter Weitergabeverpflichtung anzunehmen ist. Der Erstbedachte ist wegen der Auflage nicht bereichert und der Letztbedachte wird nach seinem Verhältnis zum ursprünglichen Zuwendenden gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG besteuert, wenn ein eigenes Forderungsrecht des Letztbedachten besteht bzw. nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG, wenn kein eigenes Forderungsrecht besteht (Einzelheiten zur Abgrenzung s. Rn. 585). Unterschiede ergeben sich hieraus jedoch keine, da die Weitergabeverpflichtung in solchen Fallgestaltungen unmittelbar mit dem Erwerb vollzogen wird und daher der Besteuerungszeitpunkt mit und ohne Begründung eines eigenen Forderungsrechts des Letzterwerbers sich nicht verändert (s. auch Gebel in T/G/J/G, § 7 Rn. 237 sowie Weinmann in M/W, § 7 Rn. 147).
Rz. 272
Wann ein ausreichender eigener Entscheidungsspielraum verbunden mit einer eigenen Dispositionsmöglichkeit der Mittelsperson besteht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, wobei nicht ausschließlich auf eine schriftlich fixierte Weiterg...