Rz. 470

Im Unterschied zur dogmatischen Begründung stellt sich in der Praxis die Frage des Vorliegens eines Willens zur Unentgeltlichkeit nur in Ausnahmefällen. Dies liegt daran, dass – ausgehend von der Rechtsprechung des BFH – das subjektive Tatbestandselement der Freigebigkeit stark zurückgedrängt ist und auf dieses beim Vorliegen der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen – widerleglich – geschlossen werden kann. In der Praxis kann daher wie folgt vorgegangen werden:

 

Rz. 471

  • Bei beurkundeten Schenkungen bestehen regelmäßig keine Zweifel an der Freigebigkeit des Zuwendenden, da schon in Folge der Amtspflichten des Notars eine Belehrung über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung zu erfolgen hat (§§ 10, 17 Abs. 1, 2 BeurkG).
 

Rz. 472

  • Ebenfalls kann man bei privatschriftlichen Schenkungsvereinbarungen regelmäßig von der Kenntnis des Zuwendenden über die Unentgeltlichkeit ausgehen, da selbst bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre Schenkungen als unentgeltliche Zuwendungen betrachtet werden. Sofern die Parteien einen anderen Geschehensablauf vortragen, z. B. Darlehen statt Schenkung, obliegt ihnen die Darlegungslast. Dieser werden sie regelmäßig nur dann nachkommen können, wenn sich aus sonstigen Anhaltspunkten, beispielsweise regelmäßigen Zinszahlungen, ergibt, dass etwas anderes beabsichtigt war und durchgeführt wurde, als in der privatschriftlichen Urkunde vereinbart ist. Dies gilt bei notariell beurkundeten Verträgen noch in verstärktem Maße.
 

Rz. 473

  • Handelt es sich um eine formlose Schenkung, so ist anhand der objektiven Umstände des Einzelfalls auf die Freigebigkeit des Schenkers zu schließen. Es kann im Regelfall das Vorliegen des Willens zur Unentgeltlichkeit unterstellt werden, sofern die objektiven Zuwendungsvoraussetzungen vorliegen.
 

Rz. 474

  • Fehlt es an einer Gegenleistung, wurde diese nachweisbar ausdrücklich ausgeschlossen (FG Sachsen-Anhalt vom 27.05.1999, EFG 2000, 24) oder wurde bei einer verdeckten Schenkung die vereinbarte oder erbrachte Gegenleistung einvernehmlich nicht ausgeführt (BFH vom 30.03.1994, BStBl II 1994, 580) oder rückerstattet (BFH vom 17.08.2005, BFH/NV 2006, 489; BFH vom 27.10.2005, DB 2006, 429), kann davon ausgegangen werden, dass der Schenker die objektive Unentgeltlichkeit seiner Leistung kannte, so dass der Fall so zu behandeln ist, als ob eine ausdrücklich verabredete Schenkung vorgelegen hätte.
 

Rz. 475

  • Bei gemischt-freigebigen Zuwendungen ergibt sich ebenfalls ein Anscheinsbeweis aus der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes. Dieser wird – zumindest in der Praxis – umso schwieriger zu widerlegen sein, je deutlicher die Wertdifferenz der sich gegenüberstehenden Leistungen ausfällt (dazu auch s. Rn. 312).
 

Rz. 476

  • Das Fehlen eines besonderen Näheverhältnisses zwischen Zuwendendem und Bedachtem schließt die Annahme der Freigebigkeit aufgrund des Vorliegens der objektiven Tatbestandsvoraussetzung nicht per se aus. Allerdings ist hier stets genauer zu prüfen, ob nicht doch eine Gegenleistung vorliegt. Auch werden dann Zweifel angebracht sein, wenn zwischen fremden Personen ein teilentgeltliches Geschäft (gemischt-freigebige Zuwendung) abgeschlossen wird und die Wertdifferenz der beiderseitigen Leistungen nur gering ausfällt (BFH vom 30.03.1994, BStBl II 1994, 580). Gleiches gilt für Fälle des Notverkaufs oder der Übervorteilung des Käufers z. B. wegen mangelnder Geschäftstüchtigkeit. War in derartigen Konstellationen seitens der Beteiligten keine explizite Schenkung (gemischt-freigebige Zuwendung) vereinbart, wird hier jedenfalls die Darlegung entsprechender Gründe möglich sein, die die Annahme des Willens der Unentgeltlichkeit des Zuwendenden ausschließen.
 

Rz. 477

  • Fällt allerdings bei einer gemischten Schenkung der Wertunterschied besonders deutlich aus und liegen keine sonstigen Anhaltspunkte (Notverkauf, Übervorteilung) vor, so ist auch beim Fehlen eines besonderen Näheverhältnisses zwischen den Beteiligten – zumindest im Regelfall – von der Kenntnis des Zuwendenden über die Teilunentgeltlichkeit auszugehen.
 

Rz. 478

  • Liegt zwischen den beteiligten Personen ein besonderes Näheverhältnis vor, so kann daraus per se zwar nicht auf den Willen zur Unentgeltlichkeit geschlossen werden, liegen aber die objektiven Zuwendungsvoraussetzungen vor, so kann das bestehende Näheverhältnis die Vermutung der Kenntnis der Unentgeltlichkeit verstärken. In der Praxis müssen daher in solchen Fällen substantiierte und durchgreifende Gründe vorgetragen werden, um die Annahme einer freigebigen Zuwendung zu widerlegen.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Preißer, Erbschaft- und Schenkungsteuer (Schäffer-Poeschel) enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge