Rz. 489
Schenkungen können nicht nur in zweiseitigen Rechtsverhältnissen bewirkt werden, vielmehr kann man hierfür auch mehrseitige Rechtsverhältnisse nutzen. Das Zivilrecht stellt hierfür die Rechtsfigur des Vertrags zugunsten Dritter (§§ 328ff. BGB) zur Verfügung.
Rz. 490
Danach kann durch Vertrag eine Leistung an einen Dritten mit der Wirkung bedungen werden, dass der Dritte unmittelbar das Recht erwirbt, die Leistung zu fordern. Erwirbt der Dritte ein eigenes Recht, die Leistung zu fordern, spricht man von einem echten Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 Abs. 1 BGB). Kann nur der Gläubiger (Versprechensempfänger), nicht aber der Dritte die Leistung vom Schuldner (Versprechender) verlangen, liegt ein unechter Vertrag zugunsten Dritter vor. Schenkungsteuerlich ist dies für die Frage der Entstehung der Steuer relevant, da im ersten Fall die Schenkung bereits mit Erwerb des Forderungsrechts vollzogen ist, im letzten Fall erst mit Übertragung des Schenkungsgegenstandes an den Drittbegünstigten.
Rz. 491
Typisch für Verträge zugunsten Dritter ist das Entstehen eines Dreiecksverhältnisses. Zu unterscheiden ist zwischen dem sog. Deckungsverhältnis, das zwischen dem Gläubiger oder Versprechensempfänger und dem Schuldner oder Versprechenden, der regelmäßig die Leistung physisch bewirkt, besteht und dem sog. Valutaverhältnis, das zwischen dem Gläubiger (Versprechensempfänger) und dem Drittbedachten oder Drittbegünstigten besteht. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner (Versprechender oder Leistender) und dem Bedachten (Drittbegünstigten) wird als Vollzugsverhältnis oder Leistungsverhältnis bezeichnet, wobei hier typischerweise nur bei echten Verträgen zugunsten Dritter ein Rechtsverhältnis besteht, ansonsten lediglich die physische Leistungserbringung stattfindet.
Rz. 492
Grafisch lassen sich die zivilrechtlichen Rechtsverhältnisse zugunsten Dritter wie folgt darstellen:
Rz. 493
In Folge der unterschiedlichen Rechtsbeziehungen ist jeweils exakt darauf zu achten, in welchem Rechtsverhältnis sich die Zuwendung vollzieht. Die Bezeichnungen "Gläubiger" und "Schuldner" werden vom Deckungsverhältnis her bestimmt. Im Valutaverhältnis ist wiederum der "Dritte" Gläubiger und der "Versprechensempfänger" Schuldner der danach zu erbringenden Leistung.
Beispiel 1:
Der Ehemann E (Versicherungsnehmer) schließt mit der Versicherungsgesellschaft V eine Kapitallebensversicherung ab, die bei Erreichen des 65. Lebensjahres des E ausgezahlt werden soll. E benennt als Begünstigten seine Ehefrau F.
Lösung:
Das Beispiel stellt einen typischen Fall eines Vertrages zugunsten Dritter dar. Im Deckungsverhältnis (E-V) besteht ein (entgeltlicher) Versicherungsvertrag. Dieser begünstigt F, die bei Auszahlung die Versicherungssumme erhält. Rechtsgrund im Valutaverhältnis (E-F) stellt ein Schenkungsvertrag dar. Mit Auszahlung der Versicherungssumme vollzieht sich die Zuwendung von E an F, unbeachtet der Tatsache, dass die physische Leistungserbringung von V erfolgt.
Beispiel 2:
Vater V zahlt während des Studiums seines Sohnes S dessen Miete am Studienort. Den Mietvertrag hat S mit dem Vermieter D abgeschlossen.
Lösung:
Mit Zahlung der Miete tilgt V die Verbindlichkeit des S im Valutaverhältnis gegenüber D. Im Deckungsverhältnis (V-S) liegt eine Schenkung vor, sofern V gegenüber S auf ein eventuell bestehendes Rückforderungsrecht verzichtet. Dass vorliegend ein unechter Vertrag zugunsten Dritter vorliegt, da D kein Forderungsrecht gegenüber V besitzt (§ 328 Abs. 2 BGB), ist lediglich für die Bestimmung des Zeitpunkts der Zuwendung, nicht aber für das Vorliegen der Zuwendung relevant.
Beispiel 3:
Der verwitwete Vater V schließt mit seinem Sohn S und seiner Tochter T einen Übergabevertrag in Wege der vorweggenommenen Erbfolge des Inhalts, dass S das gesamte Betriebsvermögen erhält und er an seine Schwester T eine Gleichstellungszahlung vornehmen muss.
Lösung:
Hier liegen zwei Zuwendungen des V vor. Im Deckungsverhältnis (V-S) besteht die Zuwendung in der Übertragung des Betriebsvermögens. Diese ist allerdings mit der Leistungsauflage des S an die T auf Zahlung des Gleichstellungsgeldes verbunden. Da Leistungsauflagen wie Gegenleistungen an den Zuwendenden (V) behandelt werden (s. Rn. 397), handelt es sich somit im Deckungsverhältnis um eine gemischt-freigebige Zuwendung.
Im Valutaverhältnis wendet V der T das von S zu zahlende Gleichstellungsgeld zu. Die Zahlung des Gleichstellungsgeldes durch S bewirkt daher die Erfüllung des Schenkungsversprechens im Valutaverhältnis (V-T). Die Schenkungsteuer, bezogen auf das Valutaverhältnis entsteht aber bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, da ein echter Vertrag zugunsten Dritter vorliegt, der T ein Forderungsrecht gegenüber S einräumt und gem. § 328 Abs. 2 BGB nicht auf die Sache (Geld), sondern auf den Forderungsanspruch gerichtet ist.
Rz. 494
Aus den Beispielen ergibt sich, dass in Dreiecksverhältnissen Zuwendungen sowohl im Deckungsverhältnis als auch im Valutaverhältnis vorkommen können. Auch ist denkbar, dass ...