Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Rz. 55
Finden Vorschenkungen außerhalb des Zehnjahreszeitraumes statt und liegt demnach eine über zehn Jahre hinausreichende Schenkungskette vor, können einzelne Schenkungen wegen der rückwärts gerichteten Zusammenrechnung extrem hoch besteuert werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer "Überprogression".
Rz. 56
Das Zahlenbeispiel aus H E 14.1 Abs. 4 ErbStH verdeutlicht die Thematik:
Vater V schenkte seiner Tochter am 03.01.1991 einen Geldbetrag von 600.000 DM 306.775 EUR. Am 02.01.2001 erhhielt sie weitere 600.000 DM und am 01.01.2011 schließlich 500.000 EUR.
(gleichzeitig ein Beitrag zur Steuerhistorie – Vor-Euro-Zeit)
Rz. 57
Das Beispiel verdeutlicht die Reaktion der BFH-Rspr. auf die drohende Überprogression ebenso wie die neuerliche Reaktion des Gesetzgebers auf die Perpetuierungsgefahr der Überprogression.
In einem ersten Schritt hat der BFH bereits am 17.11.1977 (BStBl II 1978, 220) bei überschneidenden Zehnjahreszeiträumen erkannt, dass bei der Berechnung der Abzugsteuer (d. h. beim Abzug der Steuer für den Vorerwerb in 11 beim Gesamterwerb 11/18) der (tatsächlich in 18 wegen des Vorerwerbs in 11 nicht berücksichtigte) Freibetrag neutralisiert werden müsse. Um diesen Freibetrag, der dem Erwerber für jeden Zehnjahreszeitraum zusteht, zur Wirkung kommen zu lassen, wird er "als wiederauflebender Freibetrag" hinzugerechnet.
In einem zweiten Schritt ordnet § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG seit 1996 zusätzlich an, dass im Zweifel die tatsächlich gezahlte Steuer für den Vorerwerb (hier für den Erwerb in 18) abgezogen wird (sog. "Günstigkeitsbetrachtung"). Damit ist die ursprüngliche vom BFH vorgenommene Korrektur nahezu entbehrlich geworden.
In einem dritten Schritt hat der BFH am 30.01.2002 (BStBl II 2002, 316) entschieden, dass der bei der Korrektur einer Überprogression nicht verbrauchte Teil eines Korrekturbetrages bei einer nachfolgenden Zuwendung berücksichtigt wird (s. auch Viskorf, FR 2002, 690).
Rz. 58
Hinweis: Nach dem BFH-Urteil vom 14.01.2009, BStBl II 2009, 358 erübrigt sich bei einer Schenkungskette über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren, durch die von § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG eröffnete Möglichkeit des Abzugs der (höheren) tatsächlich zu entrichtenden Steuer für die Vorschenkung, die Berücksichtigung eines weiteren Abzugsbetrags zum Ausgleich einer Überprogression, weil die tatsächlich zu entrichtende Steuer für den Vorerwerb die Mehrsteuer enthält. Der Abzug der tatsächlich zu entrichtenden Steuer überwindet die Unzulänglichkeit des § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG und führt zum exakten Abzug der sich aufgrund eines Progressionssprungs beim Vorerwerb ergebenden Mehrsteuer.
Rz. 59
vorläufig frei