Rz. 95
Der Erwerb weiteren Vermögens innerhalb des Zehnjahreszeitraumes, sei es durch Schenkung von demselben Zuwender wie die Ausgangsübertragung oder durch einen Dritten, sei es durch Erbschaftserwerb führt automatisch zu einem Verstoß und damit zur auflösenden Bedingung hinsichtlich des Erlasses nach der Verschonungsbedarfsprüfung.
Damit sollen Gestaltungen durch eine zeitlich gestreckte Übertragung oder auch ein Aufsplitten der Übertragungen nach begünstigten und nicht begünstigten Vermögensarten ausgehebelt werden. Die lange Frist von zehn Jahren orientiert sich an der Frist des § 14 ErbStG, der Berücksichtigung früherer Erwerbe. Im Extremfall kann das aber dazu führen, dass bei der Besteuerung ein 20-Jahreszeitraum zu betrachten ist, denn der Erwerb und die früheren Erwerbe der letzten zehn Jahre davor bilden die Basis für die Steuerberechnung und die Erlasssituation und die anschließenden zehn Jahre werden für die weiteren Erwerbe und den Widerruf des Erlasses maßgeblich.
Rz. 96
Weder ist eine besondere Zuwendung ausgenommen (z. B. steuerfreie Gelegenheitsgeschenke, steuerfreie Zuwendungen des Familienwohnheims, weitere begünstigte Schenkungen oder Übertragungen) noch ist maßgeblich, wann im Zehnjahreszeitraum die Zuwendung erfolgt. Übliche Gelegenheitsgeschenke sind aber aus Vereinfachungsgründen unbeachtlich (R E 28a.4 Abs. 2 Satz 3 ErbStR). Eine Abschmelzung wie z. B. im Pflichtteilsrecht ist dieser Regelung unbekannt. D.h., auch Zuwendungen, die kurz vor Ablauf des Zehnjahreszeitraumes erfolgen, führen in voller Höhe zum Widerruf des Steuererlasses und zu einer komplett neuen Verschonungsbedarfsprüfung. Zur Kritik s. Rn. 89 f. Noch schwieriger wird die Regelung unter Einbeziehung von § 28a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 Satz 3 ErbStG. Danach ist bei der – nach der weiteren Zuwendung und nach erfolgtem Widerruf des Erlasses – erneuten Antragstellung nach Abs. 1 (Antrag auf Verschonungsbedarfsprüfung) auch eine erneute Feststellung des sog. verfügbaren Vermögens nach § 28a Abs. 2 ErbStG vorzunehmen, wobei zweierlei (bei mehreren Zuwendungen auch von weiteren) Vermögensmassen zusammenzurechnen sein werden: Zum einen das verfügbare Vermögen zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuer und zum zweiten das verfügbare Vermögen durch die neuere Zuwendung. Beides wird zu jeweils 50 % herangezogen werden. Das verfügbare Vermögen wird technisch um 50 % des gemeinen Wertes des weiteren erworbenen Vermögens erhöht. Dies kann insb. dann problematisch werden, wenn die weitere Zuwendung in einem weiteren BV liegt und das verfügbare Vermögen aus der ersten Zuwendung bereits verbraucht oder nicht ohne Weiteres liquidierbar ist. Denn nach § 28a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 Satz 3 ErbStG ist nicht "verfügbares Vermögen", sondern lediglich "Vermögen" einzubeziehen. Hier kann nur im Wege der Auslegung der Vorschrift zu dem Ergebnis gelangt werden, dass es sich um "verfügbares Vermögen" handeln muss, denn ansonsten wäre bei einem Hinzuerwerb von weiterem BV dieses komplett zu 50 % einzubeziehen ohne Rücksicht auf etwaige Verschonungsmöglichkeiten seinerseits. Auch bei einer Änderung des Gesetzestextes der Norm durch das Änderungsgesetz vom 11.12.2018 (BStBl I 2018, 2338) blieb diese Regelung unverändert und es wurde hier keine Klarstellung durch den Gesetzgeber geschaffen.
Rz. 97
Schwierig ist die Ungenauigkeit des Gesetzestextes auch in einem weiteren Punkt: Sollte der spätere Erwerb selbst seinerseits steuerpflichtig sein, wird diese Steuerzahlung nicht bei der Ermittlung des verfügbaren Vermögens und damit dem Widerruf des Erlasses und der Berechnung der neuen 50 %-Grenze des zumutbar für die Steuerzahlung einzusetzenden Vermögens einbezogen.
Erwerberin T erhält 2017 einen Familienbetrieb mit gemeinem Wert 50 Mio. EUR und ein Wertpapierdepot mit Wert 10 Mio. EUR und stillen Reserven von 5 Mio. EUR Zum Erwerbszeitpunkt hat sie bereits eigenes Vermögen: Hausrat, Schmuck, Pkw und Familienwohnheim von insgesamt 1 Mio. EUR sowie eine Firmenbeteiligung von 10 Mio. EUR (gemeiner Wert) an einem weiteren Unternehmen (Gesamtwert 500 Mio. EUR, VV 50 Mio. EUR).
Lösung:
Mithin beträgt der Steuererlass 15 Mio. EUR (Steuern auf den Familienbetrieb) abzgl. 6 Mio. EUR = 9 Mio. EUR.
Die verbleibende Steuer nach der Verschonungsbedarfsprüfung beträgt 6 Mio. EUR. Dazu sind die Steuern auf das zugleich übergegangene nicht begünstigte Vermögen von 30 % auf 10 Mio. EUR = 3 Mio. EUR zu addieren, sodass die fällige Erbschaftsteuer für T 9 Mio. EUR beträgt; 9 Mio. EUR wurden erlassen.
Im Jahr 2020 erhält T eine weitere Erbschaft i. H. v. 10 Mio. EUR von einer Tante. Diese ist an sich mit 35 % zu besteuern, sodass dafür 3,5 Mio. EUR Steuern anfallen. Zugleich führt die neue Zuwendung aber zu einem Widerruf des Erlasses des ersten Erwerbs. 50 % des neuen Erwerbs sind für die Steuerzahlung einzusetzen, mithin 5 Mio. EUR. Damit bleiben von den ursprünglich 9 Mio. EUR erlassenen Steuern noch 4 Mio. EUR erlassen, während 5 Mio. EUR an das FA zu zahlen sind. Somit ...