Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Ausgewählter Literaturhinweis:
Krumm, Gesellschaftsvertragliche Abfindungsklauseln und erbschaftsteuerliche Schenkungsfiktion, NJW 2010, 187.
6.1 Bedeutung der Norm
Rz. 310
Eine Mittelstellung zwischen einer testamentarischen Anordnung und einer Schenkung unter Lebenden nimmt die Schenkung auf den Todesfall ein. Etwas überraschend bezieht der Gesetzgeber beide Anwendungsbereiche des § 2301 BGB – Abs. 1 und Abs. 2 – in den erbrechtlichen Erwerbsvorgang mit ein, da der in § 2301 Abs. 2 BGB geregelte Fall der vollzogenen Schenkung zivilrechtlich dem Schenkungsrecht unterstellt wird.
Rz. 311
Im Erbrecht und folgerichtig auch im Erbschaftsteuerrecht erfreut sich die Schenkung auf den Todesfall mit einem Paragrafen (s. § 2301 BGB; knappe Ressource Gesetz!) allenfalls in der Bank- und Notarpraxis einer größeren Beliebtheit – dies, obwohl das Institut viele Voraussetzungen erfüllt, die an eine flexible und interessensgerechte Vermögensübertragung von Todes wegen gerichtet sind. Ihrer Funktion nach ist die "letztwillige Schenkung", bei der das Überleben des Beschenkten – und damit das Vorversterben des Schenkers – tatbestandliche Voraussetzung ist, zwischen der vorweggenommenen Erbfolge und dem Erbvertrag angesiedelt. Dies hat seinen Grund darin, dass – wie beim Erbvertrag – die Vereinbarung zu Lebzeiten geschlossen wird, die Wirkung jedoch fast immer erst mit dem Tode eintritt. Andererseits werden bei § 2301 BGB typischerweise nur einzelne Ansprüche bzw. Vermögenspositionen auf den Begünstigten übertragen. Hierin liegt die Parallele zum Vertrag über die Generationennachfolge.
6.2 Der erbrechtliche Bezug (§ 2301 BGB)
Rz. 312
Eine Schenkung auf den Todesfall ist mit dem Risiko verbunden, dass häufig der Notar "vergessen" wurde oder dass allgemein nur eine mündliche Absprache erfolgte. Dies hat seinen zivilrechtlichen Grund darin, dass in § 2301 BGB zwischen einer vollzogenen (Abs. 2) und einer nicht vollzogenen Schenkung (Abs. 1) unterschieden wird.
Rz. 313
Für einen Vollzug der Schenkung zu Lebzeiten nach § 2301 Abs. 2 BGB gelten nach einhelliger Rechtsprechung des BGH nämlich die Heilungsvorschriften von § 518 Abs. 2 BGB, wonach bei Bewirkung der versprochenen Leistung ein möglicher Formmangel (fehlende notarielle Beurkundung) geheilt ist. Umgekehrt, bei fehlender Leistungserfüllung zu Lebzeiten, gelten – ohne Heilungsmöglichkeit – nach § 2301 Abs. 1 Satz 1 BGB die strengen Formvorschriften des Erbrechts. Danach ist zumindest § 2247 BGB ("eigenhändig und unterschrieben") zu beachten, wenn ein wirksamer Rechtsgrund für das Behalten-Dürfen der Zuwendung vorliegen soll.
Witwer W (2 Kinder X und Y) wird in den letzten Jahren aufopferungsvoll von der Krankenschwester Martha M gepflegt. Sein Vertrauter B wird von W bevollmächtigt, nach seinem Tode ein Sparbuch – auf den Namen des W lautend – auf M umzuschreiben.
Lösung:
Im vorliegenden Sachverhalt stattet der Zuwendende (im Beispiel der Erblasser W) eine Mittelsperson (hier B) mit einer Vollmacht über den Tod hinaus aus (sog. "transmortale Vollmacht"). In der Praxis ist dies die formularmäßige Vollmachtserteilung an Banken oder Notare, kurz nach dem Tode die rechtsgeschäftlichen Voraussetzungen für die Überschreibung von Sparbüchern, Wertpapieren und dergleichen zu erbringen. Damit beginnt oftmals sofort nach dem Ableben des Schenkers der Wettlauf der Erben, die das Rechtsgeschäft noch widerrufen können, mit dem Vertreter, der die Willenserklärung des Erblassers zum Vertragspartner (i. d. R. die Banken) "transportiert". Sowohl die erbrechtliche als auch die steuerliche Beurteilung hängen in dieser Fallkonstellation davon ab, wer "schneller" war (Wettlauf zwischen Erben und Beschenkten). Gelingt den Erben der Widerruf vor Zugang der Offerte des B an die Bank, so steht ihnen als gesetzliche oder gewillkürte Erben das Sparbuchvermögen zu. Hat die Mittelsperson B hingegen rechtzeitig das Angebot übertragen, liegt eine nach dem Tod des W vollzogene Schenkung auf den Todesfall vor.
Kommt das von B übermittelte Vertragsangebot vor dem Widerruf (1. Alternative) von X und Y bei der Bank an, so hat M die Sparbücher von Todes wegen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG erworben, da der Vollzug nach dem Tode des Erblassers eintrat (aber s. Rn. 315 ff.).
Sind die Erben hingegen schneller (Widerruf vor übermitteltem Vertragsangebot, d. h. 2. Alternative), gehören die Sparbücher zur Gesamtbereicherung von X und Y gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Die geplante Schenkung (auf den Todesfall) "fiel ins Wasser".
Rz. 314
Um den Wettlauf zu verhindern, wird die Vollmacht an die Bank häufig unwiderruflich ausgestellt. Wichtig ist aber, dass selbst eine unwiderrufliche Vollmacht noch nicht zum Vollzug nach § 2301 Abs. 2 BGB führt. Hierzu bedarf es nach wie vor des Übertragungsaktes seitens des Schenkers (s. Weidlich in Grüneberg, § 2301 Rn. 10). Allein der Wettlauf wird damit unterbunden.
Hätte W das Sparbuch der M wenigstens in der Form eines Erbvertrages (oder noch besser: in der testamentarischen Form des § 2247 BGB) zugewendet und den Vollzug bis zu seinem Tode h...