7.1 Grundsatz: Gleichstellungsgebot

 

Rz. 19

§ 1 Abs. 2 ErbStG legt die im Erbschaftsteuergesetz angewandte Regelungstechnik dar und bestimmt, dass die Vorschriften über den Erwerb von Todes wegen auch für Schenkungen unter Lebenden und Zweckzuwendungen, die Vorschriften über Schenkungen unter Lebenden auch für Zweckzuwendungen gelten, es sei denn, es ist etwas anderes bestimmt. Dies hat zunächst eine Entlastung des Gesetzestextes zur Folge, da der Gesetzgeber nur den Erwerb von Todes wegen erwähnen muss, wenn er gleichzeitig auch Schenkungen unter Lebenden sowie Zweckzuwendungen erfassen will. Die hauptsächliche Aussage der Vorschrift besteht jedoch darin, dass Erbschaften und Schenkungen hinsichtlich ihrer Steuerfolge weitgehend gleichbehandelt werden sollen, also unabhängig von der Art der Vermögensübertragung eine weitgehend gleiche Steuerbelastung eintreten soll. Diese Gleichstellung von Erwerben von Todes wegen und Schenkungen unter Lebenden erklärt sich historisch daraus, dass Schenkungen unter Lebenden zunächst nur ins Erbschaftsteuergesetz aufgenommen wurden, um eine Umgehung von Erwerben von Todes wegen auszuschließen (s. Rn. 5 f.) und findet ihre innere Begründung darin, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung unerheblich ist, ob Vermögen von Todes wegen oder als Schenkung unter Lebenden übertragen wird. In beiden Fällen wird die Leistungsfähigkeit des Erwerbers erhöht. Eine Gleichbehandlung ist daher – zumindest im Grundsatz – geboten (s. Jülicher in T/G/J/G, § 1 Rn. 61; Hannes/Holtz in M/H/H, § 1 Rn. 24).

 

Rz. 20

Das Gleichstellungsgebot findet jedoch nur im Rahmen des Erbschaftsteuergesetzes Anwendung. Deshalb ist § 35b EStG, der die Anrechnung von Erbschaftsteuer aus Erwerben von Todes wegen auf die ESt ermöglicht, nicht über die Regelung des § 1 Abs. 2 ErbStG auf Schenkungen unter Lebenden ausdehnbar (ebenso Hils in Tiedtke, § 1 Rn. 40). Ebenfalls sind bei Erwerben mit Auslandsbezug ausländische Rechtsvorschriften, die sich lediglich auf Erwerbe von Todes wegen beziehen, nicht unter Heranziehung von § 1 Abs. 2 ErbStG auf Schenkungen unter Lebenden anzuwenden. Gleiches gilt für Doppelbesteuerungsabkommen, die sich nur auf den Erwerb von Todes wegen beziehen (z. B. DBA Österreich/Deutschland oder Schweiz/Deutschland). Auch diese dürfen nicht unter Heranziehung des Gleichstellungsgebots auf Schenkungen unter Lebenden angewandt werden (s. Jülicher in T/G/J/G, § 1 Rn. 71; Hannes/Holtz in M/H/H, § 1 Rn. 25; Kobor in F/P/W, § 1 Rn. 150).

7.2 Grenzen der Gleichstellung

 

Rz. 21

Das Gleichstellungsgebot gilt allerdings nicht ausschließlich, sondern nur insoweit, als im Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Der Erwerb von Todes wegen und Schenkungen unter Lebenden sind nicht völlig identisch. Unterschiede sind daher dort zu machen, wo die (zivilrechtliche) Unterschiedlichkeit auch eine steuerliche Unterscheidung erfordert. So handelt es sich beim Erwerb von Todes wegen um eine Gesamtrechtsnachfolge (s. Müller-Christmann in B/R/H/P, § 1922 BGB Rn. 15; Weidlich in Grüneberg, § 1922 BGB Rn. 10), während eine Schenkung unter Lebenden eine Einzelrechtsnachfolge darstellt. Dies hat erbschaftsteuerlich beispielsweise zur Folge, dass eine mittelbare Schenkung, also eine Schenkung, bei der der Entreicherungsgegenstand nicht mit dem Zuwendungsgegenstand identisch ist, als zulässig angesehen wird. Beim Erwerb durch Erbanfall ist dies ausgeschlossen, da der Erbe das Vermögen so erhält, wie es ist (s. BFH vom 10.07.1996, BFH/NV 1997, 28; BFH vom 03.07.2003, BFH/NV 2003, 1583. Dazu auch s. § 3 Rn. 21 und s. § 7 Rn. 141 ff. sowie Jülicher in T/G/J/G, § 1 Rn. 66). Auch im Bereich der Bestimmung des Zeitpunkts der Steuerentstehung kann es zu Unterschieden kommen. So entsteht die Steuer bei einer Schenkung gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG im Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung, also mit Übereignung des Schenkungsgegenstandes (zu Einzelheiten s. § 9 Rn. 130 ff.). Dem hingegen entsteht gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG die Steuer beim Erwerb durch Vermächtnis grundsätzlich im Zeitpunkt des Ablebens des Erblassers, obwohl in diesem Zeitpunkt der Vermächtnisnehmer lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben auf Herausgabe des Vermächtnisses hat (zu Einzelheiten s. § 9 Rn. 23).

 

Rz. 22

Aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 1 Abs. 2 ErbStG ergibt sich, dass ein Abweichen vom Gleichstellungsgebot einer besonderen Begründung bedarf. Ein Verweis lediglich auf den Wortlaut einer Vorschrift, die nur den Erwerb von Todes wegen anspricht, reicht bereits deshalb nicht aus, da § 1 Abs. 2 ErbStG solche Fälle grundsätzlich auch auf Schenkungen unter Lebenden ausweitet. Erforderlich ist vielmehr, dass zum Gesetzeswortlaut noch weitere Argumente, beispielsweise aus der Entstehungsgeschichte oder dem systematischen Zusammenhang hinzutreten. Zwar hat der RFH in seinem Urteil vom 02.05.1941 (RStBl 1941, 564) entschieden, dass eine Ausnahme bereits dann vorliegen könne, wenn sich aus Sinn und Zweck der Norm ergebe, dass sich eine Anwendung auf Schenkungen unter Lebenden verbiete. Unter Berücksichtigung des he...

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