Rz. 19
§ 1 Abs. 2 ErbStG legt die im Erbschaftsteuergesetz angewandte Regelungstechnik dar und bestimmt, dass die Vorschriften über den Erwerb von Todes wegen auch für Schenkungen unter Lebenden und Zweckzuwendungen, die Vorschriften über Schenkungen unter Lebenden auch für Zweckzuwendungen gelten, es sei denn, es ist etwas anderes bestimmt. Dies hat zunächst eine Entlastung des Gesetzestextes zur Folge, da der Gesetzgeber nur den Erwerb von Todes wegen erwähnen muss, wenn er gleichzeitig auch Schenkungen unter Lebenden sowie Zweckzuwendungen erfassen will. Die hauptsächliche Aussage der Vorschrift besteht jedoch darin, dass Erbschaften und Schenkungen hinsichtlich ihrer Steuerfolge weitgehend gleichbehandelt werden sollen, also unabhängig von der Art der Vermögensübertragung eine weitgehend gleiche Steuerbelastung eintreten soll. Diese Gleichstellung von Erwerben von Todes wegen und Schenkungen unter Lebenden erklärt sich historisch daraus, dass Schenkungen unter Lebenden zunächst nur ins Erbschaftsteuergesetz aufgenommen wurden, um eine Umgehung von Erwerben von Todes wegen auszuschließen (s. Rn. 5 f.) und findet ihre innere Begründung darin, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung unerheblich ist, ob Vermögen von Todes wegen oder als Schenkung unter Lebenden übertragen wird. In beiden Fällen wird die Leistungsfähigkeit des Erwerbers erhöht. Eine Gleichbehandlung ist daher – zumindest im Grundsatz – geboten (s. Jülicher in T/G/J/G, § 1 Rn. 61; Hannes/Holtz in M/H/H, § 1 Rn. 24).
Rz. 20
Das Gleichstellungsgebot findet jedoch nur im Rahmen des Erbschaftsteuergesetzes Anwendung. Deshalb ist § 35b EStG, der die Anrechnung von Erbschaftsteuer aus Erwerben von Todes wegen auf die ESt ermöglicht, nicht über die Regelung des § 1 Abs. 2 ErbStG auf Schenkungen unter Lebenden ausdehnbar (ebenso Hils in Tiedtke, § 1 Rn. 40). Ebenfalls sind bei Erwerben mit Auslandsbezug ausländische Rechtsvorschriften, die sich lediglich auf Erwerbe von Todes wegen beziehen, nicht unter Heranziehung von § 1 Abs. 2 ErbStG auf Schenkungen unter Lebenden anzuwenden. Gleiches gilt für Doppelbesteuerungsabkommen, die sich nur auf den Erwerb von Todes wegen beziehen (z. B. DBA Österreich/Deutschland oder Schweiz/Deutschland). Auch diese dürfen nicht unter Heranziehung des Gleichstellungsgebots auf Schenkungen unter Lebenden angewandt werden (s. Jülicher in T/G/J/G, § 1 Rn. 71; Hannes/Holtz in M/H/H, § 1 Rn. 25; Kobor in F/P/W, § 1 Rn. 150).