Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Rz. 99
Nach § 121 Nr. 4 BewG zählt zum Inlandsvermögen eine Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft, wenn der Anteilseigner mindestens zu 10 % beteiligt ist. Maßgeblich ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG die Beteiligung am Grund- oder Stammkapital zur Zeit des Todes des Erblassers oder zum Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung. Eine Kapitalgesellschaft gilt als inländische Kapitalgesellschaft, wenn sie ihren Sitz (s. § 11 AO) oder ihre Geschäftsleitung (s. § 10 AO) im Inland hat. Anteile von nahestehenden Personen i. S. v. § 1 Abs. 2 AStG werden dem Anteilseigner zur Bestimmung der Beteiligungsquote hinzugerechnet. Hierzu gehören insbesondere mittelbare Beteiligungen an der Kapitalgesellschaft über andere Gesellschaften. Unerheblich ist die Besitzdauer und auch eine eventuelle Beteiligung des Erwerbers.
Rz. 100
Wird nur ein Teil einer Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft zugewendet, sind auch weitere innerhalb von zehn Jahren an denselben Empfänger zugewendete Anteile als Inlandsvermögen zu behandeln, auch wenn die Beteiligungsquote bereits nach der ersten Zuwendung unter 10 % gesunken ist (s. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 ErbStG, R E 2.2 Abs. 3 Satz 2 ErbStR).
Rz. 101
Damit sollen Umgehungen durch Aufspaltung einer einheitlichen Schenkung in mehrere Teilschenkungen verhindert werden. Es wird somit für Zwecke der Bestimmung des Inlandsvermögens eine dem § 14 ErbStG vergleichbare Regelung angewandt. Maßgeblich ist, dass die einzelnen Zuwendungen an dieselbe Person erfolgen. Dies ergibt sich aus dem Verweis in § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 ErbStG auf § 14 ErbStG. Innerhalb von zehn Jahren an unterschiedliche Erwerber vollzogene Schenkungen führen somit nicht dazu, dass auch die späteren Schenkungen, nach Unterschreiten der 10 %-Grenze, noch als Schenkungen von Inlandsvermögen anzusehen sind (a. A. s. Weinmann in M/W, § 2 Rn. 26).
V, ohne inländischen Wohnsitz, ist an der I-GmbH, mit Sitz im Inland, zu 25 % beteiligt. Im Jahr 2020 schenkt er seinen beiden Töchtern T1 und T2 jeweils 8 % der Anteile. Ihm verbleiben damit noch 9 % der Anteile an der Gesellschaft.
a) Er überträgt die verbleibenden 9 % der Anteile je zur Hälfte im Jahr 2021 an seine beiden Töchter T1 und T2.
b) Er überträgt die verbleibenden 9 % der Anteile je zur Hälfte im Jahr 2030 an seine beiden Töchter T1 und T2.
c) Er überträgt die verbleibenden 9 % der Anteile im Jahr 2021 an seinen Sohn S.
T1, T2 und S haben bzw. hatten ebenfalls keinen inländischen Wohnsitz.
Lösung:
Die erste Schenkung im Jahr 2017 an die beiden Töchter T1 und T2 unterliegt der beschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG. V war im Zeitpunkt der Schenkung zu mehr als 10 % an der I-GmbH, einer inländischen Kapitalgesellschaft beteiligt. Die Beteiligung stellt damit Inlandsvermögen i. S. v. § 121 Nr. 4 BewG dar.
a) Die Schenkung im Jahr 2021 an die beiden Töchter unterliegt der beschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG. Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG i. V. m. § 14 ErbStG sind weitere Anteilszuwendungen an dieselben Personen innerhalb von zehn Jahren ebenfalls als Erwerb von Inlandsvermögen anzusehen.
b) Die Schenkung im Jahr 2030 an die beiden Töchter unterliegt nicht der beschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG. Die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG i. V. m. § 14 ErbStG sind nicht erfüllt, da die Zehnjahresfrist bereits abgelaufen ist.
c) Die Schenkung an den Sohn im Jahr 2021 unterliegt nach der hier vertretenen Auffassung nicht der beschränkten Steuerpflicht. Die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG i. V. m. § 14 ErbStG sind nicht erfüllt, da die Zuwendung an einen anderen Erwerber erfolgt (s. hierzu jedoch abweichende Auffassung von Weinmann in M/W, § 2 Rn. 26).
Rz. 102
Ist der Steuerpflichtige an der Kapitalgesellschaft zu weniger als 10 % beteiligt, hält er jedoch weitere Anteile mittelbar über eine andere Gesellschaft oder in einem Betriebsvermögen, gelten die unmittelbar gehaltenen Anteile dennoch als Inlandsvermögen (s. R E 2.2 Abs. 3 Sätze 3, 4 ErbStR). Die Anteile, die im Betriebsvermögen gehalten werden, zählen bereits nach § 121 Nr. 3 BewG zum Inlandsvermögen.
Rz. 103
Die mittelbar über eine ausländische Gesellschaft gehaltenen Anteile zählen für sich grundsätzlich nicht zum Inlandsvermögen. Sie sind lediglich für die Betrachtung der 10-%-Grenze für die unmittelbar gehaltenen Anteile heranzuziehen. Werden die Anteile durch einen Treuhänder gehalten, erfolgt eine Zurechnung nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO.
Dabei wird die Beteiligungsquote mittels "Durchrechnen" bestimmt, bei Personengesellschaften nach Maßgabe der Beteiligung am Vermögen. Mittelbare Beteiligungen werden überwiegend nur als sog. Zählbeteiligungen relevant, d. h. ihr Erwerb allein verwirklicht keinen Steuertatbestand.
Auch Beteiligungen nahestehender Personen sind reine "Zählbeteiligungen".
Eine Behandlung als Inlandsvermögen erfolgt auch, wenn sich die Zwischenschaltung einer ausländischen Gesellsc...