Dr. Stefan Königer, Dennis Helwig
Rz. 144
Der Verschonungsabschlag und der Abzugsbetrag fallen nach Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 Alt. 1 mit Wirkung für die Vergangenheit auch dann weg, wenn wesentliche Betriebsgrundlagen eines Gewerbebetriebs veräußert oder in das Privatvermögen überführt oder anderen betriebsfremden Zwecken zugeführt werden. Hiervon ausgenommen sind wesentliche Betriebsgrundlagen, soweit diese am Übertragungsstichtag zum nicht begünstigten jungen Verwaltungsvermögen i. S. d. § 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG gehörten (R E 13a.13 Abs. 2 Satz 3 ErbStR). Für den Zeitpunkt der Veräußerung der wesentlichen Betriebsgrundlagen ist auch hier nach umstrittener Auffassung der Finanzverwaltung unabhängig von der zivilrechtlichen Wirksamkeit der Veräußerung auf den Abschluss des obligatorischen Rechtsgeschäfts abzustellen (R E 13a.13 Abs. 2 Satz 2 ErbStR, vgl. zum Meinungsstand Rn. 137).
Rz. 145
Für die Frage der Wesentlichkeit eines Wirtschaftsguts ist ausschließlich die funktionale Betrachtungsweise maßgeblich (R E 13a.13 Abs. 2 Satz 4 ErbStR). Anders als nach der funktional-quantitativen Betrachtungsweise ist die Veräußerung von Wirtschaftsgütern somit nur dann schädlich für die Behaltensfrist, wenn diese aufgrund ihrer jeweiligen Nutzung als für den Geschäftsbetrieb wesentlich anzusehen sind, und zwar selbst dann, wenn in dem jeweiligen Wirtschaftsgut erhebliche stillen Reserven ruhen (vgl. hierzu Wacker in Schmidt, EStG, § 16 Rz. 86). Eine Ausnahme gilt für Wirtschaftsgüter, die zwar im Besteuerungszeitpunkt zum begünstigten Betriebsvermögen gehörten, aber erst nach diesem Zeitpunkt funktional wesentliche Betriebsgrundlagen geworden sind (R E 13a.13 Abs. 2 Satz 1 ErbStR: "wenn eine, mehrere oder alle im Besteuerungszeitpunkt wesentlichen Betriebsgrundlagen eines Gewerbebetriebs veräußert oder in das Privatvermögen überführt oder anderen betriebsfremden Zwecken zugeführt werden"). Zwar ist die Auffassung der Finanzverwaltung aus Beratersicht durchaus zu begrüßen. Betrachtet man den Wortlaut des Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 HS 1 ("wenn wesentliche Betriebsgrundlagen eines Gewerbebetriebs veräußert […] werden"), so ergeben sich aus diesem allerdings keine Anhaltspunkte, welche die einschränkende Auslegung der Finanzverwaltung rechtfertigen könnten. Auch vor dem Sinn und Zweck des Abs. 6, welcher die Fortführung des Betriebs durch den Steuerpflichtigen gewährleisten soll, kann eine solche Rechtsauffassung nicht Bestand haben. Denn im umgekehrten Fall, wonach Wirtschaftsgüter veräußert werden, die nach dem Besteuerungszeitpunkt ihre Eigenschaft als wesentliche Betriebsgrundlagen verloren haben, wäre dies nach Auffassung der Finanzverwaltung weiterhin eine schädliche Verfügung, auch wenn die Veräußerung der Fortführung des Gewerbebetriebs durch den Steuerpflichtigen nicht entgegensteht. Hätte der Gesetzgeber mit der Schädlichkeit der Veräußerung von wesentlichen Betriebsgrundlagen nicht auch auf die Fortführung des Gewerbebetriebs abstellen, sondern ausschließlich bezwecken wollen, dass das begünstigt erworbene Betriebsvermögen nicht "versilbert" wird, so wäre im Rahmen der Bestimmung der Wirtschaftsgüter als wesentliche Betriebsgrundlagen eine funktional-quantitative Betrachtungsweise anzuwenden. Vor diesem Hintergrund liegt ein Verstoß gegen die Behaltensfrist nach hier vertretener Auffassung nur dann vor, wenn das Wirtschaftsgut auch im Veräußerungszeitpunkt eine funktional wesentliche Betriebsgrundlage darstellt, vorausgesetzt, das Wirtschaftsgut war zum Besteuerungszeitpunkt im Betriebsvermögen überhaupt vorhanden bzw. wurde aus zuvor begünstigt erworbenem Vermögen angeschafft (sog. Surrogation, vgl. auch Jülicher in T/G/J/G, § 13a Rz. 294). Nicht begünstigt erworbenes Vermögen unterfällt nämlich erst gar nicht der Behaltensfrist (vgl. Rz. 144.).
Rz. 146
Bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen stellt sich zwangsläufig die Frage, ob die Veräußerung von (Anteilen an) Tochtergesellschaften eine Veräußerung i. S. d. Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 darstellt oder höchstens als Veräußerung einer oder mehrerer wesentlicher Betriebsgrundlagen in Betracht kommt. Nach der insoweit einheitlichen Meinung in der Literatur umfasst die Veräußerung betrieblichen Vermögens nach Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 ausschließlich die begünstigt erworbene Spitzeneinheit, d. h. die unmittelbar erworbene Beteiligung an dem Gewerbebetrieb, und nicht die in dem Beteiligungsverbund bestehenden Tochter- oder Enkelgesellschaften. Letztere können allenfalls eine wesentliche Betriebsgrundlage bei der jeweiligen Obergesellschaft darstellen (vgl. z. B. Jülicher in T/G/J/G, § 13a Rz. 301; Stalleiken in vO/L, § 13a Rn. 223 f.).
Rz. 147
Umstrukturierungen nach dem UmwStG stellen grundsätzlich veräußerungsgleiche Vorgänge dar, so dass anzunehmen ist, dass eine Umstrukturierung unterhalb der erworbenen Spitzeneinheit, z. B. durch Einbringung der Anteile an einer als funktional wesentlichen Betriebsgrundlage zu qualifizierenden Tochterkapitalgesellschaft in eine andere Tochterkapitalgesellschaf...