Dipl.-Kffr. Christina Vosseler, Francoise Dammertz
Ausgewählte Literaturhinweise:
Beznoska/Hentze, DB 2016, 2435, Erb/Regierer/Vosseler, Bewertung von Erbschaft und Schenkung, Kap. 3, Rn. 37; Hannes, Erbschaftsteuerreform 2016: Neuregelung zur Bewertung und zum Umfang der Verschonung, ZEV 2016, 555; Müller/Woltery, DB 2017, 1462
Ausgewählte Rechtsprechung:
BVerfG vom 04.11.2016, BGBl I 2016, 2464;
BVerfG vom 17.12.2014, BStBl II 2015, 50;
BMF vom 04.01.2016, BStBl I 2016, 5;
FG Hamburg vom 20.02.2018 – S 3101 – 2017/001 – 53;
FG Sachsen vom 14.11.2018, EFG 2019, 677.
1 Regelungsbereich
Rz. 1
Der § 203 BewG enthält die wichtigste Einflussgröße des vereinfachten Ertragswertverfahrens. Grund dafür ist die Tatsache, dass in dieser Vorschrift der Multiplikator bestimmt wird, mit dem der zukünftig nachhaltig erzielbare Jahresbetrag multipliziert wird (§ 200 Abs. 1 BewG). § 203 Abs. 1 BewG bestimmt die Höhe des im vereinfachten Ertragswertverfahren geltenden Kapitalisierungsfaktors.
Rz. 2
Nach der Vorgabe des § 203 Abs. 1 BewG wird dieser Kapitalisierungsfaktor nur für das vereinfachte Ertragswertverfahren angewandt (s. R B 203 Satz 2 ErbStR). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Kapitalisierungsfaktor nicht gilt, wenn der gemeine Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten anhand einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode ermittelt wird (s. R B 203 Satz 3 ErbStR).
Rz. 3
Bei der Bewertung von Anteilen an ausländischen Gesellschaften oder ausländischen BV kann der nach § 203 BewG maßgebende Kapitalisierungsfaktor angewendet werden, wenn dies nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt (s. R B 199.2 Satz 4 ErbStR). Probleme können sich beispielsweise ergeben, wenn das Zinsniveau am Ort der ausländischen Gesellschaft stark vom deutschen Zinsniveau abweicht (s. Müller/Woltery, DB 2017, 1462).
2 Anpassung des Kapitalisierungsfaktors
2.1 Rechtslage bis 2015
Rz. 4
Der Kapitalisierungsfaktor setzte sich bis 2015 aus den beiden Komponenten variabler Basiszinssatz und pauschaler (Risiko- oder Sicherheits-)Zuschlag i. H. v. 4,5 % zusammen (s. § 203 Abs. 1 BewG a. F.). Der Pauschalzuschlag berücksichtigte neben dem Unternehmerrisiko auch andere Korrekturposten wie bspw. Fungibilitätszuschlag, Wachstumsabschlag oder inhaberabhängige Faktoren. Branchenspezifische Faktoren wurden dabei durch den sog. Beta-Faktor (Volatilitätsmaß) von 1,0 erfasst, da die Einzelrendite wie auch der Markt schwankte. Eine Korrektur wegen der Ertragsteuerbelastung war nicht vorzunehmen, weil die Berücksichtigung der Betriebssteuern bereits i. R. d. Ermittlung der Betriebsergebnisse erfolgte.
Rz. 5
Nach § 203 Abs. 2 Satz 1 und 2 BewG a. F. war als (vereinfachter) Basiszinssatz der von der Deutschen Bundesbank aus den Zinsstrukturdaten für öffentliche Anleihen ermittelte Zinssatz zugrunde zu legen, der für den ersten Börsentag eines Jahres errechnet wird und eine prognostizierte Rendite für langfristig laufende Anleihen darstellt. Er war (aus Vereinfachungsgründen) für alle Wertermittlungen auf Bewertungsstichtage in dem jeweiligen Kalenderjahr anzuwenden (s. § 203 Abs. 2 Satz 3 BewG a. F.). Der Basiszinssatz wurde vom BMF im BStBl veröffentlicht (s. § 203 Abs. 2 Satz 4 BewG a. F.).
Rz. 6
Der Kapitalisierungsfaktor war als Kehrwert des Kapitalisierungszinssatzes nach § 203 Abs. 3 BewG a. F. wie folgt zu berechnen:
Kapitalisierungsfaktor = 100/Kapitalisierungszinssatz.
Jahr |
Basiszinssatz |
Fundstelle |
Kapitalisierungsfaktor |
2009 |
3,61 % |
BMF vom 07.01.2009, BStBl I 2009, 14 |
100/8,11 = 12,3304 |
2010 |
3,98 % |
BMF vom 05.01.2010, BStBl I 2009, 14 |
100/8,48 = 11,7924 |
2011 |
3,43 % |
BMF vom 05.01.2011, BStBl I 2011, 5 |
100/7,93 = 12,6103 |
2012 |
2,44 % |
BMF vom 02.01.2012, BStBl I 2012, 13 |
100/6,94 = 14,492 |
2013 |
2,04 % |
BMF vom 02.01.2013, BStBl I 2013, 19 |
100/6,54 = 15,2905 |
2014 |
2,59 % |
BMF vom 02.01.2014, BStBl I 2014, 23 |
100/7,09 = 14,1043 |
2015 |
0,99 % |
BMF vom 02.01.2015, BStBl I 2015, 6 |
100/5,49 = 18,2149 |
2016 |
1,10 % |
BMF vom 04.01.2016, BStBl I 2016, 5 |
100/5,6 = 17,8571 |
2.2 Rechtslage ab 2016
Rz. 7
Nachdem das BVerfG (Urteil vom 17.12.2014, BStBl II 2015, 50) insb. die Verschonungsregelungen für BV nach §§ 13a und 13b ErbStG a. F. als zu weitgehend betrachtet und Änderungen an dem bisher geltenden Recht angemahnt hatte, war der Gesetzgeber gezwungen, dieses neu zu regeln. Mit dem Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG vom 04.11.2016 (BGBl I 2016, 2464) wurden die Vorgaben des BVerfG umgesetzt.
Rz. 8
Ab 2016 sollte gemäß der ursprünglich geplanten Neufassung des § 203 Abs. 2 BewG ein Korridor vorgegeben werden, in dem sich der Basiszinssatz bewegen kann. Dabei sollte der Basiszinssatz 3,5 % nicht unter- und 5,5 % nicht überschreiten mit der Folge, dass sich der Kapitalisierungsfaktor immer zwischen 10 und 12,5 bewegt hätte. Infolgedessen hätte sich für 2016 ein Kapitalisierungsfaktor i. H. v. 17,8571 ergeben, wenn man einen Basiszinssatz von 1,10 % (BMF vom 04.01.2016, BStBl I 2016, 5) zugrunde gelegt hätte, der aber dann auf 100/8 = 12,5 begrenzt worden wä...