Ausgewählte Literaturhinweise:
Brüggemann, Nochmals: Wie und wann Vorerwerbe innerhalb von 10 Jahren zu erfassen sind, ErbBstG 2011, 44; Bork/Hoeren/Pohlmann, Recht und Risiko, FS Kollhosser, Karlsruhe 2004, 65; Carlé, Die Vor- und Nacherbschaft, ErbStB 2006, 257; Hartmann, Das Vorvermächtnis mit Vorerbschaftswirkung, ZEV 2007, 458; Höne, Vor- und Nacherbschaft: Besteuerung und Gewährung von steuerlichen Freibeträgen, NWB-EV 2019, 222; Jandl/Kraus, Haftung für die Erbschaftsteuer im Vor- und Nacherbfall, DStR 2016, 2265; Kamps, Vor- und Nacherbfolge in Gesellschaftsbeteiligungen aus erbschaftsteuerlicher Sicht, FR 2014, 361; Siebert, Die Erbschaftsbesteuerung bei Vor- und Nacherbschaft, BB 2010, 1252; Steiner, Erbschaftsteuerliche Probleme beim "Berliner Testament", Zerb 2015, 165; Wachter, Erbschaftsteuer bei (vermeintlichem) Vor- und Nachvermächtnis, ErbR 2020, 536.
Ausgewählte Rechtsprechung:
BFH vom 13.04.2016, BStBl II 2016, 746;
BFH vom 03.11.2010, BStBl II 2011, 123;
BFH vom 06.11.2006, BFH/NV 2007, 242;
BFH vom 21.12.2000, BFH/NV 2001, 798;
BFH vom 02.12.1998, BStBl 1999, 235;
BFH vom 30.06.1976, BFHE 119, 492.
1 Erbrechtliche und erbschaftsteuerrechtliche Konzeption der Vor- und Nacherbschaft
Rz. 1
Vor- und Nacherbschaft sind im Erbrecht und im Erbschaftsteuerrecht bereits strukturell unterschiedlich ausgestaltet. Erbrechtlich ist sowohl bei der Vor- als auch bei der Nacherbschaft ein Erbfall in zeitlich-konsekutiver Folge gegeben. Daher sind Vor- und Nacherbe Erben des Erblassers.
Erbschaftsteuerrechtlich ist hingegen im Grundsatz davon auszugehen, dass zwei getrennt voneinander erfolgte Erbfälle vorliegen: Der Vorerbe beerbt den Erblasser und der Nacherbe den Vorerben. Trotz des unterschiedlichen Verständnisses des Rechtsinstituts der Vor- und Nacherbschaft im Erbschaftsteuerrecht und im Erbrecht nimmt ersteres gleichwohl auf die erbrechtlichen Regelungen des Zivilrechts Rücksicht und räumt dem Nacherben unter bestimmten Voraussetzungen und in gewissem Umfang die Möglichkeit ein, sich auf Antrag auch erbschaftsteuerrechtlich als Erbe des Erblassers behandeln zu lassen (§ 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG).
2 Vor- und Nacherbschaft im Erbrecht
2.1 Allgemeines
2.1.1 Begriff
Rz. 2
Der Erblasser kann einen Erben (Nacherbe) in der Weise einsetzen, dass dieser Erbe wird, nachdem zunächst ein anderer Erbe (Vorerbe) geworden ist (§ 2100 BGB). Beide, Vorerbe wie Nacherbe, sind Erben des Erblassers, allerdings in einer zeitlichen Reihenfolge. Sie bilden daher keine Erbengemeinschaft. Zunächst erbt der Vorerbe. Als Vollerbe ist er Träger aller Rechte und Pflichten, die zum Nachlass gehören. Seine Stellung ist allerdings zeitlich begrenzt auf den Eintritt einer Bedingung oder eines Ereignisses – meist seines Todes. Mit Eintritt der Bedingung/des Ereignisses erbt der Nacherbe den Nachlass und zwar unmittelbar vom Erblasser. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Nacherbe lediglich ein Anwartschaftsrecht (Vorstufe zum Vollrecht; Einzelheiten vgl. Rn. 17) auf den Nachlass. Im Gegensatz zum Vorerben, der zeitlich begrenzter Erbe ist, wird der Nacherbe mit Eintritt des Nacherbfalls endgültiger Erbe des Erblassers (s. Weidlich in Grüneberg, § 2100 BGB Rn. 1 ff. m. w. N.).
Rz. 3
Da der Nacherbe unmittelbar vom Erblasser erbt, aber nicht der Erbe des Vorerben ist, sind zwei Vermögensmassen zu unterscheiden: Zum einen das vom Erblasser herrührende Vermögen, das in der Hand des Vorerben ein von seinem übrigen Vermögen rechtlich getrenntes Sondervermögen darstellt, und zum anderen das sonstige Vermögen des Vorerben. Während Ersteres auf den Nacherben übergeht, vererbt sich Letzteres nur dann auf den Nacherben, wenn dieser gleichzeitig auch Erbe des Vorerben ist. Auch in diesem Fall sind beide Vermögensmassen voneinander zu trennen, da sie von verschiedenen Erblassern stammen (ursprünglicher Erblasser und Vorerbe; Weidlich in Grüneberg, § 2100 BGB Rn. 2).
2.1.2 Zweck und Bedeutung der Vor- und Nacherbfolge
Rz. 4
Die Regelungen der Vor- und Nacherbfolge eröffnen dem Erblasser die Möglichkeit, durch eine mehrfache zeitlich hintereinander gereihte Erbeinsetzung seine Vermögensverhältnisse über längere Zeit hinaus zu regeln. Sie dienen damit der Erhaltung des Familienvermögens durch Bindung des zunächst zum Erben berufenen Vorerben (zu Besonderheiten i. R.d. HöfeO s. Harder/Wegmann in Soergel, Vor § 2100 BGB Rn. 26). So kann, beispielsweise durch Einsetzung jeweils des erstgeborenen Kindes einer Generation als Vor- bzw. Nacherbe – innerhalb der Grenzen des § 2109 BGB – das Vermögen über mehrere Generationen hinweg in der Familie gehalten werden (Grunsky in MüKo, § 2100 BGB Rn. 3; Harder/Wegmann in Soergel, § 2100 BGB Rn. 21).
Rz. 5
Weitere Bedeutung hat das Rechtsinstitut der Vor- und Nacherbschaft durch die Möglichkeit des Vorbeisteuerns des Nachlassvermögens an den Erben des/der Vorerben und dessen/deren Pflichtteilsberechtigten. So kann bspw. beim Geschiedenentestament ein geschiedener Ehegatte ein eheliches Kind als Vorerben einsetzen und für den Fall des Todes des Kindes die Nacherbfolge anordnen. Damit wird vermieden, dass beim Ableben des Vorerben der Ex-Ehegatte das vom Erblasser stammende Vermögen erbt. Ein weiterer Anlass, Vor- und Nacherbschaft...