Tz. 13
Stand: EL 113 – ET: 09/2019
Für den Vereinsvorstand oder den Steuerberater des Vereins stellt sich nun die Frage, wie er im Hinblick auf die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes bei Kenntnis der vorstehend dargestellten Problematik vorgehen soll. Hierzu muss zunächst etwas zur Bedeutung und Stellung der europäischen MwStSystRL im Verhältnis zum deutschen Steuerpflichtigen gesagt werden: Europäische Richtlinien sind anders als Verordnungen nicht unmittelbar in den einzelnen EU-Staaten gültig, sondern sie bedürfen der Umsetzung durch ein nationales Gesetz der einzelnen EU-Staaten. Im Fall der europäischen MwStSystRL erfolgte die Umsetzung durch das deutsche Umsatzsteuergesetz (UStG).
Tz. 14
Stand: EL 113 – ET: 09/2019
Wurde eine europäische Richtlinie vom jeweiligen Mitgliedstaat nicht oder nicht vollständig umgesetzt, besteht für den in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen aber das Recht, sich unmittelbar auf die Geltung der europäischen Richtlinie in seinem Staat zu berufen. Voraussetzung ist neben der fehlenden oder unzureichenden Umsetzung der Richtlinie im Mitgliedstaat, dass die Richtlinie ausreichend konkret ist, um Ansprüche bzw. Rechte aus ihr ableiten zu können. In Bezug auf die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes scheint die MwStSystRL aber weniger großzügig zu sein, als die Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG. Entsprechend ist ein unmittelbares Berufen auf die MwStSystRL nicht zielführen.
Tz. 15
Stand: EL 113 – ET: 09/2019
Der EuGH hatte bislang noch keine Gelegenheit, sich zum Begriff "für wohltätige Zwecke im Bereich der sozialen Sicherheit" zu äußern. Zudem äußert sich die MwStSystRL ebenfalls nicht zu den Begriffen. Schließlich bestehen Unterschiede zwischen den einzelnen Übersetzungen und Sprachfassungen der MwStSystRL in den einzelnen Mitgliedstaaten. Aus diesem Grund ist ungeklärt, ob mit "wohltätigen Zwecken" nur soziale Zwecke im engen Sinne gemeint sind oder ob – basierend auf einer weiten Auslegung der Richtlinie – alle gemeinnützigen Tätigkeiten hierunter fallen, s. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 4. Aufl. 2018, 763. Entsprechend ist derzeit nicht feststellbar, ob die Anwendung der Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG auf alle steuerbegünstigten Zwecke mit dem Unionsrecht übereinstimmt oder ein Verstoß gegen EU-Recht vorliegt. Wahrscheinlich sind Verstöße gegen das EU-Recht im Hinblick auf die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die Auftragsforschung und die Vermögensverwaltung, s. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 4. Aufl. 2018, 763.
Praxishinweis:
Gegenwärtig enthält das deutsche Umsatzsteuerrecht (UStG) die ausdrückliche Anordnung der Geltung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für sämtliche Umsätze steuerbegünstigter Körperschaften – und damit auch gemeinnütziger Vereine – mit Ausnahme der Umsätze im (ertrag-)steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Die Finanzverwaltung vertritt diesbezüglich (bisher) auch keine andere Ansicht. Es ist daher dem Vorstand und Steuerberater gemeinnütziger Vereine gegenwärtig zu raten, den ermäßigten Umsatzsteuersatz anzuwenden. Es besteht somit keine Notwendigkeit dafür, Umsätze in der Vermögensverwaltung oder Umsätze von Vereinen, die nicht auf die Verfolgung wohltätiger Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit gerichtet sind, dem regulären Umsatzsteuersatz von 19 % zu unterwerfen. Allerdings sollte aufmerksam verfolgt werden, ob sich die Rechtsprechung hierzu weiterentwickelt, ob der EuGH die Begriffe der "wohltätigen Zwecke im Bereich der sozialen Sicherheit" konkretisiert oder ob die deutsche Finanzverwaltung ihre Meinung ändert. Insofern sollte die Überwachung der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes im Rahmen eines Tax Compliance Management Systems (Tax CMS) erfolgen.