Tz. 33
Stand: EL 129 – ET: 11/2022
Neben der Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke und der Förderung der Allgemeinheit auf materiellem, geistigem und sittlichem Gebiet muss als weitere Grundvoraussetzung für die Anerkennung der Steuerbegünstigung wegen Gemeinnützigkeit die Selbstlosigkeit gem. § 55 Abs. 1 AO (Anhang 1b) gegeben sein. § 55 Abs. 1 AO (Anhang 1b) definiert den Begriff der Selbstlosigkeit wie folgt: "Eine Förderung oder Unterstützung geschieht selbstlos, wenn dadurch nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke – z. B. gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke – verfolgt werden und die weiteren Voraussetzungen, die der Gesetzgeber in § 55 Abs. 1 Nr. 1–5 AO (Anhang 1b) fordert, erfüllt sind."
Selbstloses Handeln ist nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AO (Anhang 1b) immer dann gegeben, wenn eine steuerbegünstigten Zwecken dienende Körperschaft nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke erfüllt. Für die Steuerbegünstigung schädliche eigenwirtschaftliche Interessen verfolgt eine Körperschaft immer dann, wenn sie mit ihren Betätigungen eigenen wirtschaftlichen Interessen nachgeht. Eine Körperschaft verfolgt z. B. in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke, wenn sie ausschließlich durch Darlehen ihrer Gründungsmitglieder finanziert ist und sie dieses Fremdkapital satzungsgemäß tilgen muss (s. BFH vom 13.12.1978, BStBl II 1979, 482; s. BFH vom 26.04.1989, BStBl II 1989, 670 und s. BFH vom 28.06.1989, BStBl II 1990, 550).
Tz. 34
Stand: EL 129 – ET: 11/2022
Der Gesetzgeber fordert bei Körperschaften, die als steuerbegünstigten Zwecken dienend anerkannt werden wollen, bestimmte Voraussetzungen. Bei
- gemeinnützigen Zwecken (s. § 52 AO, Anhang 1b), dass die Allgemeinheit auf materiellem, geistigen oder sittlichem Gebiet selbstlos gefördert wird,
- mildtätigen Zwecken (s. § 53 AO, Anhang 1b), dass eine selbstlose Unterstützung des in § 53 Nr. 1 und 2 AO (Anhang 1b) genannten Personenkreises, der persönlich und wirtschaftlich hilfsbedürftig ist, erfolgt,
- kirchlichen Zwecken (s. § 54 AO, Anhang 1b), dass eine selbstlose Förderung einer Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, erfolgt.
Tz. 35
Stand: EL 129 – ET: 11/2022
Die Selbstlosigkeit findet daher ihren Ausdruck in der ideellen, freiwilligen Tätigkeit der Mitglieder. Man spricht daher auch von Idealvereinen. Eine gewisse Verbindung zwischen den Zwecken der Körperschaft (satzungsmäßigen Zwecken) und den Eigeninteressen der Mitglieder wird im Regelfall dennoch vorhanden sein, wenn mit den Belangen der Allgemeinheit auch die jeweiligen Interessen der Mitglieder, sozusagen als Nebenprodukt der begünstigten Tätigkeit, gefördert werden. Durch diese Tatsache wird aber die Anerkennung der Steuerbegünstigung keineswegs in Frage gestellt.
Werden z. B. Sportstätten oder Sportgeräte an Mitglieder eines Sportvereins zur Ausübung ihrer sportlichen Betätigung überlassen oder Trainingseinheiten durchgeführt, ist in dieser Tatsache noch kein Verstoß gegen das Gebot der Selbstlosigkeit zu sehen.
Tz. 36
Stand: EL 129 – ET: 11/2022
Die Selbstlosigkeit ist aber dann nicht mehr gegeben, wenn der Verein in erster Linie (überwiegend bzw. vorrangig) eigenwirtschaftliche (erwerbswirtschaftliche) Zwecke verfolgt oder für die Mehrzahl der Mitglieder, Gesellschafter, Stifter eigenwirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen. Immer dann, wenn der Eigennutz dem Gemeinnutz vorrangig ist, wird das Tatbestandsmerkmal der Selbstlosigkeit nicht mehr erfüllt, mit der Folge, dass die Körperschaft nicht als steuerbegünstigten Zwecken dienend anerkannt werden kann. S. auch BFH vom 13.12.1978, BStBl II 1979, 482. Eine materielle Förderung von Einzelpersonen ohne Rücksicht auf ihre finanzielle Förderungsbedürftigkeit ist bereits als Verstoß gegen den Grundsatz der Selbstlosigkeit einzustufen (s. FG Niedersachsen vom 18.03.2004, EFG 2004, 1650).
Beispielsweise werden in § 55 Abs. 1 AO (Anhang 1b) die gewerblichen Zwecke angesprochen, womit in erster Linie die Absicht der Gewinnerzielung gemeint ist. Werden aber nebenbei eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt bzw. mitverfolgt, so soll dies für die Selbstlosigkeit nicht schädlich wirken (s. BFH vom 23.10.1991, BStBl II 1992, 62). Zu Selbstkosten und Selbstlosigkeit s. BFH vom 20.07.1988, BFH/NV 1989, 479.