Tz. 2
Stand: EL 123 – ET: 09/2021
Das Gesetz wählt die Worte "in erster Linie," was zunächst grundsätzlich nicht jeden wirtschaftlichen Vorteil ausschließt, sondern es bedarf einer Abwägung im Einzelfall, ob die allgemeinfördernde Tätigkeit im Vordergrund steht oder der Nutzen für das Gemeinwohl hinter dem wirtschaftlichen Eigennutzen der Beteiligten zurückbleibt.
Das Erfordernis des Nicht-Verfolgens eigenwirtschaftlicher Zwecke bezieht sich in erster Linie unmittelbar auf die steuerbegünstigte Tätigkeit, denn mit dieser eigentlichen steuerbegünstigten Tätigkeit dürfen nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt werden (BFH vom 26.04.1989, BStBl II 1989, 670). Der BFH stellt hierbei darauf ab, dass die Tätigkeit nicht darauf gerichtet sein darf, ihr Vermögen und ihre Einkünfte zu erhöhen. Ein derartiges Überwiegen der eigenwirtschaftlichen Zwecke wurde zum Beispiel festgestellt:
- Wenn eine Körperschaft ausschließlich durch Darlehen ihrer Gründungsmitglieder finanziert ist und dieses Fremdkapital satzungsmäßig tilgen und verzinsen muss (BFH vom 28.06.1989, BStBl II 1990, 550, AEAO Nr. 1 zu § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO, Anhang 2)
- Bei Börsenvereinen (BFH vom 16.11.1954, BStBl III 1955, 12)
- Bei von gewerblichen Mitgliedern geprägten Abmahnvereinen (BFH vom 06.10.2009, BStBl II 2010, 335)
- Bei Erfinderclubs (AEAO zu § 52 Nr. 4 AO, Anhang 2)
- Bei Rabattvereinen, soweit sie auf individuelle wirtschaftliche Vorteile ausgerichtet sind
- Bei Flugsportvereinen, deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, den Mitgliedern den ermäßigten Umsatzsteuersatz zu vermitteln und dabei das Erwerbsinteresse eines als Charterunternehmen tätigen Vorstandsmitglieds berücksichtigt wird
Aus dem zeigt sich, dass eine Verletzung des Grundsatzes der Selbstlosigkeit primär dann gegeben ist, wenn die eigenwirtschaftlichen Interessen im Vordergrund des Handelns stehen und mehr oder weniger der Motor der Tätigkeit der Körperschaft sind.
Tz. 3
Stand: EL 123 – ET: 09/2021
Im Urteil vom 22.08.2019 (BStBl II 2020, 40) hat der BFH im Fall einer gGmbH, die einer KG, an der die Gesellschafter der gGmbH ebenfalls beteiligt waren, Darlehen gegeben hat, ausgeführt, dass ein Abwägungsgebot zwischen der Förderung der Allgemeinheit und den eigenwirtschaftlichen Zwecken nach der Gesamtschau besteht. Die gGmbH erhält zudem Spenden von den Gesellschaftern. Der BFH hat festgestellt, dass die gGmbH mittelbar die Gesellschafterfinanzierung ermöglicht und mittelbar den Steuervorteil (z. B. Spendenabzug) ermöglicht habe und damit die eigenwirtschaftlichen Zwecke überwogen haben.
Generell ist eine mit dem steuerbegünstigten Zweck verbundene eigenwirtschaftliche Zielsetzung nicht unzulässig, sie muss aber gegenüber der steuerbegünstigten Zweckverfolgung nachrangig sein.
Die mit der Selbstlosigkeit verbundene Opferwilligkeit darf nicht wegfallen oder in den Hintergrund treten oder an deren Stelle sogar der Eigennutz treten (BFH vom 13.12.1978, BStBl II 1979, 482; BFH vom 26.04.1989, BStBl II 1989, 670). Bereits im Urteil vom 23.02.2017 (BFH/NV 2017, 882 Nr. 7) hat der BFH einer Stiftung die Selbstlosigkeit versagt, weil bei der Stiftung gespendete Gemälde weiterhin in Wohnräumen des Stifters aufbewahrt wurden und diese nur gelegentlich ausgestellt wurden.
1. Steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe und Selbstlosigkeit
Tz. 4
Stand: EL 123 – ET: 09/2021
Die Finanzverwaltung hat in früherer Auffassung eine sog. Geprägetheorie entwickelt, wonach das Überwiegen des steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs die Selbstlosigkeit tangiert. Soweit also der Umfang des steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs die Tätigkeiten im ideellen Bereich, in der Vermögensverwaltung oder im Bereich der Zweckbetriebe überwog, tangierte dies nach Auffassung der Finanzverwaltung die Gemeinnützigkeit. Der BFH hatte jedoch bereits im Urteil vom 15.07.1988 (BStBl II 2002, 162) ausgeführt, dass in § 64 AO (steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe; vgl. Anhang 1b) die Genehmigung zur Führung eines steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs enthalten sei und dass dieser deshalb die Selbstlosigkeit auch bei Übersteigen der Gewichtigkeitsgrenzen nicht ausschließen könne. Der BFH ging weiter und führte aus, dass auch eine zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Betriebs erforderliche Thesaurierung nicht den Schluss zulasse, dass die Tätigkeit nicht mehr selbstlos sei. Der BFH geht mehr oder weniger davon aus, dass der steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetrieb Mittel zum Zweck, nämlich zur Mittelbeschaffung für die steuerbegünstigten Zwecke ist. Die Finanzverwaltung hat im BMF-Schreiben vom 15.02.2002 (BStBl I 2002, 267) aber weiterhin an ihrer Auffassung festgehalten.
Der BFH hat aber in seinem weiteren Urteil vom 04.04.2007 (BStBl. 2007 II 631) am Beispiel einer Forschungseinrichtung erneut entschieden, dass ein Überwiegen des steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nicht zur Verletzung der Gemeinnützigkeit führen kann.
Tz. 5
Stand: EL 123 – ET: 09/2021
Mit BMF-Schreiben vom 17.01.2012 hat die Finanzverwaltung di...