Die vorsätzliche Steuerhinterziehung ist in § 370 AO geregelt und stellt den stärksten Vorwurf steuerstrafrechtlicher Art dar.
Hinweis:
Oben wurde darauf hingewiesen, dass in der Praxis gemeinnütziger Körperschaften der Irrglaube stark verbreitet ist, es komme nicht zu strafrechtlich relevanten Vorwürfen bzw. zur Eröffnung von Strafverfahren. Dem ist schon längst nicht mehr so. Steht die mögliche Verwirklichung eines Straftatbestandes im Raum, verfügen gemeinnützige Körperschaften über keinen Vertrauensvorschuss, der einen strafrechtlichen Vorwurf ausschließt. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass Bereicherungen der für gemeinnützige Körperschaften Handelnden zu Lasten der Allgemeinheit gerade verfolgt werden. Als Beispiel kann der Skandal der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Frankfurt am Main genannt werden. Gleiches gilt für Steuervergehen und Steuerverfehlungen, da die Finanzverwaltung ebenso wie die Strafverfolgungsbehörden die Ansicht vertreten, insbesondere steuerbegünstigte (und häufig durch staatliche Mittel geförderte) Körperschaften müssten sich stets rechts- und regelkonform verhalten. Entsprechend wird auch bei steuerbegünstigten Körperschaften – wie regelmäßig im Steuerstrafrecht – der Vorsatz behauptet, ohne große Mühe auf dessen Nachweis zu verwenden. Das macht es insbesondere für steuerbegünstigte Körperschaften und für die für diese Handelnden "gefährlich": Verliert nämlich die gemeinnützige Körperschaft aufgrund (behaupteten oder tatsächlich nachgewiesenen) Vergehens ihre Steuerbegünstigung, kann sie sich bei den hierfür verantwortlichen Handelnden schadlos halten und etwaig aufgrund des Verlustes der Steuervergünstigung eintretende Schäden von diesen zurückverlangen.
1.1 Objektiver Tatbestand
Tz. 5
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Eine Steuerhinterziehung liegt vor, wenn jemand
- den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
- die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt.
In beiden Fällen müssen hierdurch Steuern verkürzt werden oder für den Täter oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden. Bereits der Versuch als solcher ist unter Strafe gestellt.
Tz. 6
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Steuern sind im vorgenannten Sinne immer dann verkürzt, wenn sie
- nicht,
- nicht in voller Höhe oder
- nicht rechtzeitig festgesetzt werden.
Das gilt selbst dann, wenn die Steuer nur vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht.
Hinweis:
Eine Steueranmeldung ist etwa die USt-Voranmeldung, in welcher der Steuerpflichtige die von ihm im jeweiligen Voranmeldungszeitraum geschuldete Umsatzsteuer selbst berechnet (sog. Selbstveranlagungssteuer). Das Finanzamt erlässt keinen Steuerbescheid. Vielmehr steht die USt-Voranmeldung einem Steuerbescheid unter einem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 AO, Anhang 1b). Wird die Steueranmeldung (vorsätzlich) fehlerhaft erstellt und werden dadurch Steuern verkürzt, kann das den Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllen.
Tz. 7
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Eine Steuerverkürzung liegt auch dann vor, wenn sich die hinterzogene Steuer ermäßigt hätte, vgl. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO. Denkbar ist z. B. eine geschuldete USt, die durch gegenzurechnende Vorsteueransprüche (ggf. sogar bis auf null) reduziert wird, oder eine ESt, die durch einen ggf. unterlassenen Abzug von Betriebsausgaben im Hinblick auf die zugrunde liegenden Einnahmen reduziert werden würde. Es wird hier vom sog. Kompensationsverbot oder vom Vorteilsausgleichsverbot gesprochen.
Beispiel 1:
Der Verein hat Umsätze in Höhe von 20 000 EUR nicht deklariert und damit 3 800 EUR Umsatzsteuer nicht entrichtet. Zugleich hat der Verein Vorsteuern i. H. v. 3 300 EUR aus einem Eingangsumsatz nicht erklärt und somit auch auf deren Verrechnung verzichtet. Nachdem gegen den Vereinsvorsitzenden ein Strafverfahren wegen vorsätzlicher Umsatzsteuerhinterziehung wegen der nicht erklärten 3 800 EUR eingeleitet wurde, argumentiert dieser, die hinterzogene Steuer belaufe sich nach Verrechnung mit der bislang nicht geltend gemachten Vorsteuer auf gerade einmal 500 EUR.
Ergebnis 1:
Eine solche Verrechnung ist aufgrund des Kompensationsgebots jedoch nicht möglich. Mithin steht der Vorwurf einer Umsatzsteuerhinterziehung i. H. v. 3 800 EUR im Raum.
Hinweis:
Vorstehend dargestelltes Verständnis der Norm wird in der Literatur aber abgelehnt, liefe dieses doch auf eine (unzulässige) eigenständige schadensverschärfende Berechnungsvariante des Verkürzungserfolges hinaus. Nach dem sog. Norm-Steuersoll-Begriff ist im Rahmen der steuerstrafrechtlichen Verkürzungsberechnung bei der Ermittlung der Soll-Steuer von einer "richtigen Rechtsanwendung" auszugehen, d. h. dem Täter grundsätzlich zustehende steuerliche Abzugsbeträge sind zu berücksichtigen. Allerdings hat der BGH ein Kompensationsverbot im Verhältnis von nicht erklärten Umsätzen ...