Tz. 22
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Anders als die vorgenannten Vorschriften ermöglicht § 30 OWiG die Verhängung von Sanktionen gegen einen Verband (juristische Person, nicht rechtsfähiger Verein, rechtsfähige Personengesellschaft), wenn eine Leitungsperson als Organ eine Pflicht des Verbandes verletzt oder in der Absicht gehandelt hat, diesen zu bereichern. Zwischen der Vorschrift und der die Verletzung der Aufsichtspflicht im Unternehmen sanktionierenden Regelung des § 130 OWiG sowie der Zurechnungsnorm des § 9 OWiG besteht ein enger Zusammenhang.
Hinweis:
Die täterunabhängige Ahndung stellt eine absolute Ausnahme im deutschen Straf- und Sanktionswesen dar. Grundsätzlich ist Strafrecht nach deutschem Verständnis stets Täterstrafrecht, d. h., es sanktioniert stets eine natürliche Person. Ein Unternehmens- oder Körperschaftsstrafrecht, in dem strafrechtliche Sanktionen gegen Unternehmen ausgesprochen werden, existiert demgegenüber in Deutschland nicht. Eine Verhängung von Sanktionen gegen rechtliche Einheiten ist – als Ausnahme – nur im Ordnungswidrigkeitenrecht möglich, im Strafrecht existiert keine dem § 30 OWiG entsprechende Vorschrift.
Tz. 23
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Der Tatbestand sieht vor, dass jemand
- als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs,
- als Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereins oder als Mitglied eines solchen Vorstandes,
- als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft,
- als Generalbevollmächtigter oder in leitender Stellung als Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter einer juristischen Person oder einer der vorgenannten Personenvereinigung oder
- als sonstige Person, die für die Leitung des Betriebs oder Unternehmens einer juristischen Person oder einer der vorgenannten Personenvereinigung verantwortlich handelt (wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen – d. h. regelmäßig der Aufsichtsrat), gehört,
eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begeht. Durch die Straftat oder Ordnungswidrigkeit müssen Pflichten verletzt werden, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, oder eine Bereicherung der juristischen Person oder der Personenvereinigung erreicht oder zumindest beabsichtigt werden.
Tz. 24
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Einen Hauptanwendungsfall der Pflichtverletzung stellt die Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG dar. Häufig besteht ein Bedürfnis, den Personenverband wegen organisatorischer Mängel selbst zu belangen und nicht nur eine – i. d. R. erheblich geringere – Geldbuße gegen den Betriebsinhaber zu verhängen, s. Niesler in Graf/Jäger/Wittig, § 30 OWiG Rn. 39. In der Praxis werden die organisatorischen Mängel regelmäßig mit dem Fehlen geregelter Überwachungs- und Kontrollstrukturen begründet. Ein in der Praxis regelmäßig anzutreffender Vorwurf im Falle von steuerlichen Verfehlungen ist das Nichtvorhandensein eines Tax-Compliance-Management-Systems (Tax CMS). Insbesondere für gemeinnützige Körperschaften stellt dieser Vorwurf ein Risiko in zweierlei Hinsicht dar: Zum einen kann hierdurch das für § 30 OWiG erforderliche Organisationsverschulden hergeleitet werden, zum anderen stellt das Fehlen geeigneter und notwendiger Strukturen möglichweise auch eine mangelhafte tatsächliche Geschäftsführung gem. § 63 AO (Anhang 1b) dar, die den Verlust der Gemeinnützigkeit nach sich ziehen kann. Gemeinnützige Körperschaften sind daher gut beraten, das mittlerweile übliche Verlangen nach einer Compliance ernst zu nehmen.
Tz. 25
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Zur Verhängung einer Geldbuße ist es nicht erforderlich, dass der Täter individualisiert werden kann, wenn nur feststeht, dass die Anknüpfungstat von einem tauglichen Tätigen begangen wurde. Zudem ist es nicht erforderlich, festzustellen, wer von mehreren in Frage kommenden Verantwortlichen die Aufsichtspflicht gem. § 130 OWiG verletzt hat. Notwendig ist allein die Feststellung, dass ein i. S. von § 30 OWiG Verantwortlicher die Zuwiderhandlung vorwerfbar begangen hat, s. Niesler in Graf/Jäger/Wittig, § 30 OWiG Rn. 55.
Tz. 26
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Bei Verwirklichung des Tatbestandes kann gegen den Verein als solchen eine Geldbuße verhängt werden (§ 30 Abs. 2 OWiG). Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung der Behörde, d. h., es existiert kein Anspruch darauf, dass die Behörde statt der Verhängung einer Geldbuße gegen die handelnden oder unterlassenden Personen eine solche Geldbuße gegen die rechtliche Einheit verhängt, für die die Personen tätig sind.
Hinweis:
Die Verbandsgeldbuße wird also gegen die jeweilige rechtliche Einheit festgesetzt, nicht gegen eine handelnde Person wie in § 130 OWiG. Es empfiehlt sich, um etwaige nachteilige Folgen zu verhindern, mit der Ahndungsbehörde abzustimmen, ob statt der Verhängung einer Geldbuße – diese kann über den Eintrag im Gewerbezentralregister, durch den möglicherweise eine Sperrung im Hinblick auf die Vergabe öffentlicher Aufträge ei...