1. Strafbarkeit des Versuchs
Tz. 66
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Nicht nur die verwirklichte Steuerhinterziehung, sondern auch die versuchte Steuerhinterziehung ist nach § 370 Abs. 2 AO strafbar. Eine Straftat versucht nach § 22 StGB, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.
Hinweis:
Der Versuch ist also die bereits begonnene Steuerhinterziehung, die mehr ist als der Eintritt in bloße Vorbereitungen, aber weniger als die vollendete Tat. Der Täter hat Vorsatz in Bezug auf die Verwirklichung der Steuerhinterziehung, hat diese aber tatsächlich (objektiv) noch nicht verwirklicht. Weil der Täter aber letztlich seinen verbrecherischen Willen betätigt hat, ist der Versuch unter Strafe gestellt, s. Fischer, StGB, 66. Aufl. 2019, § 22 Rn. 2a. Entsprechend kann es nur einen Versuch einer vorsätzlichen Tat geben, bei einer fahrlässigen Tat – d. h. bei der leichtfertigen Steuerverkürzung – ist ein Versuch nicht möglich. Es gibt weder einen "fahrlässigen Versuch" noch den "Versuch einer Fahrlässigkeitstat", s. Fischer, StGB, 66. Aufl. 2019, § 22 Rn. 8a.
Tz. 67
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Der Versuch ist mit der Vollendung der Tat beendet, d. h. hat der Täter den Tatbestand vollständig verwirklicht, kann nicht mehr vom Vorliegen einer versuchten Steuerhinterziehung gesprochen werden. Zur Verwirklichung eines Versuches muss der Täter unmittelbar zur Tat ansetzen. Hat der Täter bereits einen Teil des Straftatbestandes erfüllt, ist ein solches gegebenen. Allerdings kann ein "unmittelbares Ansetzen" auch schon früher vorliegen. Das ist immer dann der Fall, bei Handlungen, die nach dem Tatplan der Verwirklichung eines Tatbestandselementes unmittelbar vorgelagert sind und bei ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenakte unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung einmünden, s. Fischer; StGB, 66. Aufl. 2019, § 22 Rn. 10.
Beispiele:
Das bloße Verstreichenlassen der Fristen zur Abgabe von Steuererklärungen ist noch kein Versuch der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO, s. Fischer, StGB, 66. Aufl. 2019, § 22 Rn. 14. Ist eine Steuerverkürzung bei der Einfuhr von Waren in die EU durch Abgabe falscher Anmeldungen beabsichtigt, beginnt der Versuch erst mit der Vorlage der falschen Zollanmeldung. Zur (nicht strafbaren) Vorbereitung gehört jede Handlung, die der Steuerpflichtige vor dem Termin zur Abgabe einer Steuererklärung unternimmt, um die tatbestandsmäßige Handlung einer Steuerhinterziehung zu ermöglichen oder vorzubereiten, s. Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 Rn. 540. Das können sein: Absprachen mit Lieferanten über die Erstellung falscher Rechnungen, Vorbereitung falscher Buchungen oder die unrichtige Aufzeichnung von Betriebsvorgängen. Das Ausstellen falscher Belege kann aber nach § 379 AO eine Ordnungswidrigkeit darstellen. Vorbereitungshandlungen sind zudem die unrichtige, unvollständige oder ganz unterlassene Aufnahme von Gegenständen in das Anlage- oder Umlaufvermögen, die Aufstellung bewusst fehlerhafter Bilanzen oder Einnahmeüberschussrechnungen sowie das bewusst unrichtige Ausfüllen von Steuererklärungsvordrucken. Solange diese dem Finanzamt nicht vorgelegt werden, handelt es sich um bloße nicht strafbare Vorbereitungshandlungen, s. Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 Rn. 540. D.h. erst mit dem förmlichen oder formlosen Erklären oder dem Unterbreiten zur Kenntnisnahme oder dem Zugänglichmachen entsprechender Dokumente dem Finanzamt gegenüber wird die Schwelle zum "unmittelbaren Ansetzen" überschritten. Allerdings soll auch das nur gelten, wenn nach der Vorstellung des Täters alsbald nach dem Eingang der falschen oder unvollständigen Steuererklärung mit der unrichtigen Steuerfestsetzung oder dem Gewähren eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils zu rechnen ist, s. Ransiek, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Bd. 1, § 370 Rn. 707 (Stand: Oktober 2011). Anderenfalls stellt die bloße Abgabe einer fehlerhaften Steuererklärung noch kein "unmittelbares Ansetzen" dar (str.).
Hinweis:
Vollendet ist die Tat nach § 370 AO in dem Zeitpunkt, in dem die Veranlagung des Täters beendet wird, sich also der bewusst gesetzte Fehler des Täters ausgewirkt hat. Allerdings ist für die Beendigung auf die Festsetzung im Steuerbescheid und dessen Bekanntmachung abzustellen.
Tz. 68
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Die Grenze zum strafbaren Versuch soll demgegenüber schon überschritten sein, wenn der Steuerpflichtige die Besteuerungsgrundlagen zwar richtig aufzeichnet und in die Steuererklärung aufnimmt, aber beim Finanzamt mit einer wahrheitswidrigen Begründung eine Verlängerung der Frist zur Abgabe der Steuererklärung beantragt, um die zu erwartende Nachzahlung hinauszuzögern, s. Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 Rn. 542. Beauftragt der Verein einen Steuerberater und ist dieser gutgläubig hinsichtlich fehlerhafter Bilanzen oder Gewinnermittlungen, beginnt der Versuch bereits mit der Übergabe der Belege an den Steuerberater, wenn...