Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung von Gehhilfen
Leitsatz (NV)
Zur Tarifierung von Gehhilfen-,,Schuhe" oder orthopädische Vorrichtungen (Vorlage an EuGH)?
Normenkette
KN Pos.9021, 6404, Anm.1d zu Kap.64
Tatbestand
Die beklagte Oberfinanzdirektion (OFD) erteilte der Klägerin zwei verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA) - Nr. . . . vom 3. Februar 1992 - über ,,Shoe" und ,,Vinyl Shoe", nach den Warenbeschreibungen in den vZTA ,,Sandale" bzw. ,,Schuh", mit Laufsohlen aus Kunststoff, Oberteil aus Spinnstoff bzw. Kunststoff (Gewebe mit sichtbarer Außenschicht aus Kunststoff), angabegemäß zum Tragen über einem Gipsverband am Fuß bestimmt, unter Zuweisung zu den Unterpositionen 6404 1990 (,,Sandale") - ,,andere" Schuhe mit Laufsohlen aus Kunststoff, Oberteil aus Spinnstoff - bzw. 6402 9190 der Kombinierten Nomenklatur (KN) - ,,andere" Schuhe mit Laufsohlen und Oberteil aus Kunststoff -. Die Einsprüche, mit denen die Klägerin eine Tarifierung nach Position 9021 - orthopädische Vorrichtungen - begehrte, blieben ohne Erfolg.
Zur Begründung der Klage wird vorgetragen, bei den Schuhen handele es sich um einen Ersatz für die sog. Gehstollen, orthopädische Hilfsmittel, die als Fußstütze und Gehhilfe in Gipsverbänden am Fuß eingesetzt würden. Die Schuhe hätten den Vorteil, daß sie, anders als Gehstollen, ein Gehen mit dem Gipsverband unter Abrollen des Fußes (,,Geradelaufen") ermöglichten (Vervollkommnung des ,,Geh-Gipses"). Sie seien nicht ,,Schuh-Ersatz" oder Fußbekleidung, sondern orthopädische Vorrichtungen (zum Stützen oder Halten von Organen nach einer Krankheit oder Operation), die einzeln, nicht paarweise ausschließlich von Apotheken bzw. Kliniken bezogen würden (auf Rezept). Sie seien auch vergleichbar mit einem Krückenersatz. Anderwärts (in Neuseeland) würden sie als orthopädische Vorrichtungen tarifiert.
Die OFD führt aus, den Waren komme lediglich die Hilfsfunktion zu, ein besseres Gehen bei einem bereits ordnungsgemäß angelegten Gipsverband am Fuß zu ermöglichen. Sie hätten keine unmittelbare Wirkung auf den mißgebildeten oder erkrankten Fuß. Ein Krükkenersatz liege nicht vor, auch keine Vorrichtung zum Behandeln von Knochenbrüchen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung über die Klage hängt von der Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften (des Gemeinsamen Zolltarifs) ab. Da bei der Auslegung Zweifel bestehen, ist der Senat verpflichtet, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs einzuholen (Art.177 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft).
Die Waren sind Gehhilfen besonderer Art bei angelegtem ,,Geh-Gips". Ihre Verwendung ist, was auch die OFD nicht bestreitet, aus orthopädischer Sicht sinnvoll. Für die zolltarifliche Einordnung ist mithin auch die Position 9021 in Betracht zu ziehen.
Träfe diese zu, so wäre eine Einreihung in das Kapitel 64 ausgeschlossen (Anm.1d zu Kapitel 64).
Die Position 9021 erfaßt u.a. orthopädische Vorrichtungen, Vorrichtungen zum Behandeln von Knochenbrüchen und ,,Teile". Vorrichtungen zum Behandeln von Knochenbrüchen dürften hier auszuschließen sein, da die Waren nicht, wie insoweit erforderlich (Erläuterungen Harmonisiertes System 9021 II - Rz.26.0), dazu dienen, verletzte Körperteile stillzulegen, zu strecken oder zu schützen. Diese Funktion hat vielmehr der Gipsverband. Auch orthopädische Schuhe (im Sinne der Erläuterungen a.a.O. I 6 - Rz. 11.0) liegen nicht vor. Es könnte sich jedoch um (andere) orthopädische Vorrichtungen für den Fuß ,,zum Stützen oder Halten von Organen nach einer . . .Operation" (Erläuterungen a.a.O. I 9 = Rz.14.0 in Verbindung mit Rz.04.0) handeln, falls der so umschriebene zolltarifliche Begriff - entgegen der von der OFD vertretenen Ansicht - in einem weiteren, auch die Gehhilfe bei angelegtem Gipsverband umfassenden Sinne auszulegen wäre. Wenn sich dieser Verband selbst als orthopädische Vorrichtung im zolltariflichen Sinne darstellen sollte, könnten die Waren aufgrund ihrer Zweckbestimmung auch als Zubehör (,,Teile") der Unterposition 9021 9090 angesehen werden.
Näher könnte es freilich liegen, die Erzeugnisse als orthopädische Vorrichtungen sonstiger Art - nicht Teile; auch nicht ,,zum Stützen oder Halten von Organen nach einer Operation" bestimmt - zu bewerten. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Position 9021 auch Krücken (als orthopädische Vorrichtungen) erfaßt. Die Waren sind zwar keine Krücken, haben aber eine vergleichbare Funktion.
Sollte indessen die Position 9021 ausscheiden, so hätte die OFD die Waren zutreffend als ,,Schuhe" tarifiert (vgl. auch Anm.3 zu Kapitel 64).
Im Hinblick auf die Auslegungszweifel, die sich hier ergeben, hat der Senat beschlossen, dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
,,1. Ist der Begriff ,,orthopädische Vorrichtungen" in Position 9021 der Kombinierten Nomenklatur (1992) dahin auszulegen, daß er auch Erzeugnisse nach Art der in den Gründen beschriebenen, als Gehhilfen bei angelegtem Gipsverband dienenden ,,Schuhe" umfaßt?
2. Bei Verneinung von Frage 1: Ist der Begriff ,,Vorrichtungen zum Behandeln von Knochenbrüchen" oder ,,Teile" (von orthopädischen Vorrichtungen usw.) dahin auszulegen, daß auch Erzeugnisse wie vorstehend angesprochen hierunter fallen?"
Fundstellen
Haufe-Index 419004 |
BFH/NV 1993, 760 |