Entscheidungsstichwort (Thema)
Nicht ordnungsgemäße Ladung zur mündlichen Verhandlung und Verhandlung in Abwesenheit des Klägers trotz Anordnung seines persönlichen Erscheinens
Leitsatz (NV)
1. Es ist prozessuale Obliegenheit eines Klägers, dem Gericht seine jeweils gültige Anschrift unverzüglich mitzuteilen. Die Verfahrensrüge der nicht ordnungsgemäßen Ladung zur mündlichen Verhandlung kann nicht mit Erfolg erhoben werden, wenn der Kläger dieser Obliegenheit nicht nachgekommen ist. Ist dem Gericht eine Adresse bekannt gegeben worden, so kann das FG eine über ein Jahr zurückliegende Auskunft des Einwohnermeldeamtes über eine Abmeldung von der zuletzt bekannten Adresse vernachlässigen, da sie keinen Zweifel an einer aktuell mitgeteilten Anschrift begründet.
2. Hat das Gericht in Abwesenheit des Klägers verhandelt und entschieden, obwohl es sein persönliches Erscheinen angeordnet hatte, kann darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nur liegen, wenn das FG das Ausbleiben als Verletzung der Mitwirkungspflicht ansieht und die Klageabweisung gerade darauf stützt.
Normenkette
GG Art. 103; FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 80 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 142 Abs. 1
Tatbestand
I. Der Antragsteller war Geschäftsführer einer GmbH, über deren Vermögen am 2. November 2000 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erließ am 16. Oktober 2001 nach Vorlage von Summen- und Saldenlisten durch die Insolvenzverwalterin einen Haftungsbescheid gegen den Antragsteller wegen Umsatzsteuerrückständen der GmbH. Die Tilgungsquote war auf 70 % geschätzt worden, da der Antragsteller keine Angaben hierzu gemacht hatte.
Im Einspruchs- und Klageverfahren machte der Antragsteller geltend, er habe nicht pflichtwidrig gehandelt. Abgesehen davon sei die Tilgungsquote zu hoch. Zur Feststellung müssten von der Insolvenzverwalterin weitere Unterlagen vorgelegt werden. Ihm selbst stünden seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Unterlagen mehr zur Verfügung.
Termin zur mündlichen Verhandlung wurde auf den 1. März 2007 anberaumt und das persönliche Erscheinen des Antragstellers angeordnet. Die an die Anschrift A-Straße in X mit Postzustellungsurkunde versandte Ladung kam mit dem Vermerk "unbekannt" bzw. "Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln", zurück. Auf Nachfrage gab der damalige Prozessbevollmächtigte des Antragstellers als Postanschrift B-Straße in X an. Die Postzustellung blieb gleichermaßen erfolglos.
Anfragen beim Einwohnermeldeamt in X ergaben, dass Auszugswohnung B-Straße in X sei und die Abmeldung nach Y (ohne Straßenangabe) erfolgt sei. Nachdem der Prozessvertreter des Antragstellers unter dem 24. Januar 2007 als aktuelle Anschrift des Antragstellers C-Straße in Y benannt hatte, teilte das Einwohnermeldeamt der Stadt Y mit, dass der Antragsteller unter dieser Anschrift gemeldet war, sowie: "Auszugsdatum 7.11.2005, hat sich abgemeldet nach Spanien, F".
Nach Aufhebung des für den 1. März 2007 anberaumten Termins wurde der Antragsteller zur Verhandlung am 8. August 2007 geladen und wieder sein persönliches Erscheinen angeordnet. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde die Zustellung am 13. März 2007 unter der Anschrift C-Straße in Y vergeblich versucht und die Ladung daraufhin in den "zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt".
Mit Schreiben vom 7. Juni 2007 zeigte der damalige Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Beendigung des Mandats gegenüber dem Finanzgericht (FG) an und teilte mit, dass der Antragsteller "nunmehr" unter der Anschrift D-Straße in Y zu erreichen sei.
Zur mündlichen Verhandlung, in der das FG das klageabweisende Urteil verkündete, erschien für den Antragsteller niemand.
Nach Auffassung des FG ist die Schätzung des FA insbesondere im Hinblick auf die durch die Mitwirkungspflicht des Haftungsschuldners begrenzte Amtsermittlungspflicht nicht zu beanstanden. Da weitere als die von der Insolvenzverwalterin vorgelegten Unterlagen dem FA nicht zur Verfügung gestanden hätten, habe es von deren Angaben ausgehen und die Tilgungsquote mit 70 % annehmen dürfen.
Für sein Beschwerdeverfahren, mit dem er die Zulassung der Revision gegen das Urteil des FG erreichen will, begehrt der Antragsteller Prozesskostenhilfe (PKH). Zur hinreichenden Erfolgsaussicht seines Rechtsmittels bezieht er sich auf sein Beschwerdevorbringen.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wird als Verfahrensmangel die nicht ordnungsgemäße Ladung des Antragstellers gerügt. Das FG habe nicht berücksichtigt, dass der Antragsteller laut Auskunft des Einwohnermeldeamtes der Stadt Y zum Zeitpunkt des Zustellversuches unter der Ladungsanschrift nicht mehr wohnhaft war. Abgesehen davon sei der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da das FG den Sachverhalt nicht vollständig ermittelt habe. Sämtliche Anregungen, Hinweise und Beweisangebote zur Ermittlung der richtigen Haftungsquote habe es unberücksichtigt gelassen, obwohl es durch die Anordnung des persönlichen Erscheinens zu erkennen gegeben habe, dass es weitere Aufklärung in der mündlichen Verhandlung beabsichtigte.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist unbegründet, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung --ZPO--).
Gemäß § 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO setzt die Bewilligung von PKH voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung für den Eintritt des Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Juli 1999 V S 6/99, BFH/NV 2000, 193). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.
Die vom Antragsteller behaupteten Verfahrensmängel rechtfertigen die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht. Sie liegen nicht vor.
Das FG hat den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör (Art. 103 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) nicht dadurch verletzt, dass es ihn durch eine nicht ordnungsgemäße Ladung zum Verhandlungstermin an der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gehindert hat. Diese Verfahrensrüge kann nicht mit Erfolg erhoben werden, wenn die Zustellung der Ladung an eine nicht (mehr) gültige Adresse darauf zurückzuführen ist, dass der Beteiligte während des Klageverfahrens an einen anderen Ort zieht, und nicht sicherstellt, dass Zustellungen durch das Gericht ihm gegenüber wirksam werden können (BFH-Beschluss vom 5. Februar 2002 VIII R 2/01, BFH/NV 2002, 792, m.w.N.). So liegt es hier. Der Antragsteller ist während des Klageverfahrens mehrfach verzogen. Es war seine prozessuale Obliegenheit, dem Gericht seine jeweils gültige Anschrift unverzüglich mitzuteilen. Dies hat er nicht getan. Demgegenüber hatte das FG keine Veranlassung, von sich aus weitere als die veranlassten Ermittlungen anzustellen. Denn der damalige Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hatte dem FG die verwendete Zustellungsadresse mit Schreiben vom 24. Januar 2007 mitgeteilt und die Ladung zum später aufgehobenen ersten Verhandlungstermin war laut Postzustellungsurkunde --von deren Richtigkeit das FG schon wegen der Beweiskraft der Urkunde gemäß § 418 Abs. 1 ZPO ausgehen durfte-- am 29. Januar 2007 an diese Adresse auch bewirkt worden. Die Auskunft des Einwohnermeldeamtes in Y vom 26. Januar 2007, wonach sich der Antragsteller am 7. November 2005 von dieser Adresse nach Spanien abgemeldet hat, konnte das FG vernachlässigen, da eine über ein Jahr zurückliegende Abmeldung keinen Zweifel an einer aktuell mitgeteilten Anschrift begründet.
Einen Verfahrensfehler stellt auch nicht dar, dass das FG in Abwesenheit des Antragstellers verhandelt und entschieden hat, obwohl es sein persönliches Erscheinen gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 FGO angeordnet hatte. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs unter diesem Gesichtspunkt könnte nur dann vorliegen, wenn das FG das Ausbleiben als Verletzung der Mitwirkungspflicht ansieht und die Klageabweisung gerade darauf stützt. Das behauptet aber der Antragsteller selbst nicht.
Schließlich hat der Antragsteller auch keine schlüssige Aufklärungsrüge im Sinne einer Verletzung des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erhoben. Denn auf die "Anregungen, Hinweise und Beweisangebote zur Ermittlung der richtigen Haftungsquote" musste das FG nach seiner --bei der Prüfung eines Verfahrensfehlers allein maßgeblichen-- Rechtsauffassung nicht eingehen. Der Antragsteller übersieht, dass das FG die Schätzung der Haftungsquote durch das FA bestätigt hat, weil es der Auffassung war, dass das FA wegen mangelnder Mitwirkung des Antragstellers zu der vorgenommenen Schätzung auf der Grundlage der ihm vorliegenden Unterlagen --ohne weitergehende Ermittlungen von Amts wegen-- berechtigt war. Die Ausführungen des Antragstellers zeigen keinen Verfahrensfehler auf, sondern richten sich gegen diese rechtliche Würdigung des FG. Damit kann jedoch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht begründet werden, weil dass Interesse an der Korrektur einer Entscheidung im Einzelfall kein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO ist.
Die Entscheidung im PKH-Antragsverfahren ergeht gerichtsgebührenfrei.
Fundstellen