Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Ablehnung des Antrags auf Terminsverlegung
Leitsatz (NV)
Die Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn der im Termin erschienene Prozeßbevollmächtigte einen Zustellungsmangel bei der Ladung rügt, jedoch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sich der Prozeßbevollmächtigte deshalb nicht hinreichend hat auf den Verhandlungstermin vorbereiten können.
Normenkette
FGO §§ 51, 128; ZPO § 42 ff.
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob mit Schriftsatz vom 22.Juni 1991 Untätigkeitsklage gemäß § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Über diese Klage ist noch nicht entschieden.
Zur mündlichen Verhandlung am 14. November 1991 um 10.20 Uhr lud das Finanzgericht (FG) den Prozeßbevollmächtigten des Klägers. Die Ladung wurde dem Prozeßbevollmächtigten ausweislich der Postzustellungsurkunde (PZU) am 19. Oktober 1991 zugestellt.
In der mündlichen Verhandlung am 14. November 1991 machte der Prozeßbevollmächtigte geltend, er sei nicht ordnungsgemäß geladen, da der Postbeamte auf dem ihm zugegangenen Briefumschlag die Zustellung nicht beurkundet habe. Dies habe er erst jetzt festgestellt; es sei ihm nicht möglich, den tatsächlichen Zugang der Ladung anzugeben, da ihm zur Zeit Dutzende von Ladungen zugestellt würden. Er beantragte deshalb, den Termin aufzuheben, weil er nicht ordnungsgemäß geladen worden sei.
Das FG lehnte den Antrag auf Terminsaufhebung ab.
Daraufhin lehnte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers den Vorsitzenden Richter am FG A sowie die Richter am FG B und C und die ehrenamtlichen Richter D und E wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Nachdem das FG mehrere Anträge des Prozeßbevollmächtigten abgelehnt hatte, mit denen er eine Unterbrechung der Sitzung begehrt hatte, zunächst, um ausreichend Zeit zu haben, die Begründung für das Befangenheitsgesuch formulieren zu können, dann, um das Gesuch zu Protokoll der Geschäftsstelle geben zu können, beantragte der Prozeßbevollmächtigte schließlich, ihm eine angemessene Frist einzuräumen, um das Befangenheitsgesuch schriftlich abfassen und es schriftlich zu Protokoll geben zu können. Im Anschluß an eine kurze Unterbrechung der Verhandlung gab der Prozeßbevollmächtigte eine schriftliche Fassung des Ablehnungsgesuchs zu Protokoll. Er stützte das Ablehnungsgesuch darauf, ihm sei unterstellt worden, er habe die Ladung rechtzeitig erhalten, obwohl er erst in der mündlichen Verhandlung festgestellt habe, daß die Zustellung fehlerhaft sei, weil auf der zuzustellenden Sendung das Zustelldatum nicht vermerkt sei und er über den tatsächlichen Zugang keine Aussage machen könne. Dies begründe die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter. Aus Zeitgründen könnten weitere Ablehnungsgründe zunächst nicht geltend gemacht werden.
Das FG verwarf unter Mitwirkung der abgelehnten Richter das Befangenheitsgesuch als unzulässig. Eine dienstliche Äußerung der abgelehnten Richter hielt das FG deshalb nicht für erforderlich. Ein Ablehnungsgesuch, mit dem sämtliche Richter eines Spruchkörpers abgelehnt werden, sei unzulässig. Werde die Ablehnung damit begründet, daß eine vorausgegangene Entscheidung fehlerhaft sei, setze die Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs voraus, daß Tatsachen oder Gesichtspunkte angeführt würden, die - abgesehen von der behaupteten Fehlerhaftigkeit der Entscheidung - die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigten.
Mit dem Ablehnungsgesuch mache der Kläger lediglich geltend, die Ablehnung seines Antrags auf Terminsaufhebung sei fehlerhaft. Der Prozeßbevollmächtigte sei ausweislich der PZU, die er habe in Augenschein nehmen können, ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde des Klägers. Er macht nach wie vor geltend, die für die Zurückweisung seines Antrags auf Terminsaufhebung gegebene Begründung des FG rechtfertige die Besorgnis der Befangenheit. Er trägt außerdem neue Ablehnungsgründe vor, die er einmal aus Umständen und Inhalt zeitlich späterer, nach Zurückweisung des vorliegenden Ablehnungsgesuchs getroffener Entscheidungen des FG im Klageverfahren bzw. im Beschwerdeverfahren gegen die Zurückweisung seines Prozeßbevollmächtigten herleitet, zum anderen aus Handlungen und Äußerungen zu Beginn der mündlichen Verhandlung, bevor der Antrag auf Terminsaufhebung in der vorliegenden Sache abgelehnt worden ist. Weitere Ablehnungsgründe folgert er aus anderen Verfahren, an denen der Kläger selbst nicht beteiligt war, in denen jedoch sein Prozeßbevollmächtigter aufgetreten ist.
Gleichzeitig lehnte der Kläger für die in diesem Beschwerdeverfahren vom FG nach § 130 Abs. 1 FGO zu treffende Entscheidung (Abhilfe der Beschwerde) die Richter am FG A, B und C und den offenbar für den Vertretungsfall zuständigen Richter am FG F wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat kann über die Beschwerde entscheiden, obwohl in bezug auf die Nichtabhilfeentscheidung des FG die Richter, die daran mitgewirkt haben, abgelehnt worden sind. Der Beschluß des FG über die Nichtabhilfe der Beschwerde ist ungeachtet dieses Ablehnungsgesuchs wirksam. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf den Beschluß X B 66/92, vom heutigen Tag (zur Veröffentlichung in BFH/NV vorgesehen).
2. Die Beschwerde ist nicht begründet. Das FG hat die Ablehnungsgesuche zu Recht verworfen.
a) Gemäß § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen darf, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde; unerheblich ist dabei, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (z.B. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 51 Rz.37, m.w.N.).
Statthaft ist ein Ablehnungsgesuch grundsätzlich nur dann, wenn es sich unter Angabe individueller Gründe auf einen bestimmten Richter bezieht (vgl. Gräber/ Koch, a.a.O., Rz.19, m.w.N.).
Nur in Ausnahmefällen kann die Ablehnung aller Richter eines Spruchkörpers als eine zulässige Häufung von Individualablehnungen angesehen werden. Ein solcher Ausnahmefall kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Ablehnungsgrund gerade in der Mitwirkung an einer Kollegialentscheidung besteht (vgl. z.B. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. November 1990 VII B 32/90, BFH/NV 1991, 755, m.w.N.).
Der Senat kann die Frage, ob im Streitfall die Ablehnung aller Richter des Senats als eine zulässige Häufung von Individualanträgen angesehen werden kann, letztlich offenlassen. Selbst wenn dies zugunsten des Klägers angenommen werden könnte, hat die Beschwerde keinen Erfolg.
b) Die Ablehnungsgesuche des Klägers sind rechtsmißbräuchlich. Ihnen fehlt deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis mit der Folge, daß sie unzulässig sind.
Wird die Ablehnung eines oder aller Richter des Senats auf den Inhalt einer vorangegangenen Entscheidung des Richters oder des Senats gestützt, so genügt es für die Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs nicht, daß der Kläger allein Umstände anführt, die möglicherweise die Rechtswidrigkeit der vorangegangenen Entscheidung begründen könnten. Unzutreffende Rechtsauffassungen und Verfahrensfehler können die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit in der Regel nicht begründen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, 148, BStBl II 1985, 555, und in BFH/NV 1991, 755, m.w.N.). Wäre die Ablehnung eines oder aller Richter des Senats allein mit der Begründung zulässig, diese hätten an einer rechtsfehlerhaften Entscheidung mitgewirkt, so hätte es der Prozeßbeteiligte in der Hand, über den Umweg der Richterablehnung die gesetzlichen Regelungen über die Nichtanfechtbarkeit von Entscheidungen zu umgehen. Er könnte die nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht mit der Beschwerde anfechtbaren Entscheidungen - wie beispielsweise Entscheidungen über eine Vertagung oder Aufhebung eines Termins - i.S. des § 128 Abs. 2 FGO mittelbar anfechten, weil die Entscheidung über die Richterablehnung mit der Beschwerde anfechtbar ist (§ 128 Abs. 1 FGO). Ein ausschließlich auf eine beanstandete vorausgegangene Entscheidung gestütztes Ablehnungsgesuch ist deshalb dann als rechtsmißbräuchlich anzusehen, wenn sich aus den Einzelheiten der Begründung und insbesondere aus der Art und Weise der Begründung keine Anhaltspunkte ergeben, die bei dem Prozeßbeteiligten von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung die Befürchtung rechtfertigt, der Richter werde voreingenommen entscheiden (vgl. BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, m.w.N.).
Die im Streitfall vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers angeführten Gründe für die Ablehnungen liegen nicht in einzelnen Verhaltensweisen der Richter, sondern allein im Inhalt der Entscheidung, durch die sein Antrag auf Aufhebung des Termins abgelehnt worden ist. Der Kläger hat lediglich ausgeführt, durch die Zurückweisung des von seinem Prozeßbevollmächtigten erhobenen Antrags auf Terminsaufhebung werde diesem letztlich unterstellt, er sei ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden, obwohl er darauf hingewiesen habe, daß auf dem Umschlag der zugestellten Sendung das Zustellungsdatum nicht vermerkt sei und er deshalb über den tatsächlichen Zugang keine Aussage habe machen können. Es ist nicht erkennbar, inwiefern vom Standpunkt des Klägers aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung die Ablehnung des Antrags, den Termin aufzuheben oder zu verlegen, die Besorgnis rechtfertigen könnte, die abgelehnten Richter würden nicht unvoreingenommen entscheiden.
aa) Nach § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das FG aufgrund mündlicher Verhandlung, wenn - wie im Streitfall - nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet worden ist oder kein Vorbescheid gemäß § 90 Abs. 3 FGO ergeht. Die mündliche Verhandlung dient der Gewährung rechtlichen Gehörs. Sie gibt den Beteiligten Gelegenheit, sich aufgrund des Vortrages des wesentlichen Akteninhalts durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter (§ 92 Abs. 2 FGO) zu vergewissern, daß ihr Begehren von dem Gericht richtig aufgefaßt worden ist. Sie können weiter bei der anschließenden Erörterung der Streitsache durch Tatsachenvortrag und Rechtsausführungen (vgl. § 93 Abs. 1 FGO) sicherstellen, daß sämtliche ihnen wichtigen Gesichtspunkte vom Gericht gewürdigt werden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. Januar 1981 II R 91/79, BFHE 132, 394, BStBl II 1982, 401, m.w.N.). Um sicherzustellen, daß die Beteiligten die Möglichkeit haben, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, sind sie rechtzeitig (vgl. § 91 Abs. 1 FGO) zu laden. Die vom Gesetz vorgesehene Zeitspanne soll es den Beteiligten nicht nur ermöglichen, die Anwesenheit bei der mündlichen Verhandlung sicherzustellen; sie soll außerdem gewährleisten, daß sich die Beteiligten auf den Termin vorbereiten können, damit sie imstande sind, sich in der Verhandlung zur Wahrung ihrer Belange angemessen zu äußern (BFH-Urteil in BFHE 132, 394, BStBl II 1981, 401). Die Ladung erfolgt grundsätzlich durch Zustellung nach dem Verwaltungszustellungsgesetz - VwZG - (vgl. § 53 FGO).
Selbst wenn es der Postbedienstete unterlassen hätte, den Tag der Zustellung auf der Sendung zu vermerken (vgl. § 53 FGO i.V.m. § 195 Abs. 2 Satz 2 ZPO) oder ein falsches Datum als Tag der Zustellung auf der Sendung vermerkt worden wäre, und deshalb ein Zustellungsmangel vorläge (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 29. Oktober 1986 I R 2/83, BFHE 148, 404, BStBl II 1987, 223), ist nicht erkennbar, weshalb die Ablehnung des Antrags auf Terminsaufhebung bzw. Vertagung aus der Sicht des Klägers bei vernünftiger und objektiver Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit hätte rechtfertigen können. Der Kläger war durch seinen zum Termin erschienenen Prozeßbevollmächtigten vertreten. Daß dieser deshalb, weil er die Ladung möglicherweise tatsächlich später als auf der PZU vermerkt erhalten hat, sich nicht hinreichend auf den Verhandlungstermin hat vorbereiten können, hat der Kläger selbst nicht behauptet. Unter diesen Umständen war die Entscheidung der abgelehnten Richter, den Termin nicht aufzuheben oder zu vertagen, jedenfalls nicht unsachlich oder gar willkürlich, so daß sie nicht die Befürchtung rechtfertigt, sie habe ihre Ursache in einer Voreingenommenheit der Richter.
bb) Auch wenn, wie der Kläger zur Begründung seines Ablehnungsgesuchs vorträgt, das FG die Ablehnung des Antrags auf Terminsaufhebung damit begründet hat, der Prozeßbevollmächtigte sei ordnungsgemäß geladen worden, läßt dies - trotz der vom Prozeßbevollmächtigten vorgebrachten Einwände gegen eine Ordnungsmäßigkeit der Ladung - nicht die Annahme zu, die abgelehnten Richter würden voreingenommen entscheiden. Sollte das FG seine Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung des Termins auf eine unzutreffende Rechtsauffassung gestützt haben, rechtfertigt auch dies nicht die Besorgnis der Befangenheit. Ein Ablehnungsgesuch kann nicht allein darauf gestützt werden, daß der Richter zu einer fehlerhaften Entscheidung gelangt ist (z.B. BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).
c) Soweit der Kläger im Beschwerdeverfahren neue Umstände für die Besorgnis der Befangenheit vorträgt, sind diese Gründe unbeachtlich. Mit der Beschwerde gegen den einen Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß des FG können keine neuen Ablehnungsgründe geltend gemacht werden (vgl. BFH-Beschluß vom 24. Juli 1990 X B 115/89, BFH/NV 1991, 253). Zwar können im Beschwerdeverfahren neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 570 ZPO), jedoch nur im Rahmen des Verfahrensgegenstandes der angefochtenen Entscheidung. Gegenstand der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nach § 51 FGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO sind nur die Gründe, die im Ablehnungsgesuch gegenüber dem FG geltend gemacht worden sind.
Die Gründe der Besorgnis der Befangenheit, die der Kläger aus Handlungen und Äußerungen zu Beginn der mündlichen Verhandlung, aus späteren, nach Zurückweisung des vorliegenden Ablehnungsgesuchs getroffenen Entscheidungen und aus anderen Verfahren, in denen sein Prozeßbevollmächtigter aufgetreten ist, herleitet, sind erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemacht worden. Sie sind für die vorliegende Entscheidung unbeachtlich.
d) Die Beschwerde ist auch nicht deshalb begründet, weil über die Ablehnungsgesuche die abgelehnten Richter selbst entschieden haben. Denn nach ständiger Rechtsprechung darf über einen mißbräuchlichen Befangenheitsantrag auch der abgelehnte Richter entscheiden (vgl. z.B. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22.Februar 1960 2 BvR 36/60, BVerfGE 11, 1, 3; BFH-Beschlüsse vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638, und in BFH/NV 1991, 755, m.w.N.).
Fundstellen