Entscheidungsstichwort (Thema)
Lieferung von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle
Leitsatz (NV)
Es ist i. S. d. § 69 Abs. 2 S. 2 FGO ernstlich zweifelhaft, ob
1. § 29 UStDV 1980 rechtswirksam war,
2. eine dem allgemeinen Steuersatz unterliegende Lieferung von Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle vorliegt, wenn der Unternehmer die Küche einer Gaststätte selbständig betreibt und die tellerfertig zubereiteten Speisen an den Gastwirt liefert, der die Speisen den Gästen darreicht.
Normenkette
UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 2; UStDV 1980 § 29
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragstellerin, Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) pachtete von einem Gastwirt die mit Einrichtungsgegenständen versehenen Küchenräume seiner Gaststätte. Die bei ihr vom Bedienungspersonal des Gastwirts bestellten Speisen bereitete sie tellerfertig zu und händigte diese dem Bedienungspersonal über die Küchentheke aus. Monatlich stellte die Klägerin dem Gastwirt die an ihn gelieferten Speisen nach den Preisen einer vom Gastwirt ausgelegten Speisenkarte in Rechnung. Dabei zog sie die von ihr an den Gastwirt zu zahlende Pacht (monatlich 1 900 DM), ein vertraglich vereinbartes Bedienungsgeld (10 v. H. der Entgelte für die Speisenlieferung) sowie Abschlagszahlungen auf Stromkosten ab.
Der Antragsgegner, Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) unterwarf die von der Klägerin mit dem Gastwirt getätigten Umsätze des Jahres 1984 gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) dem vollen Steuersatz, weil es sich um Lieferungen von Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle handle. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte zur Begründung aus: Die Klägerin habe gemäß § 29 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1980 (UStDV 1980) Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle geliefert. Die Speisen seien nach den Umständen der Lieferung dazu bestimmt gewesen, im räumlichen Zusammenhang mit dem Ort der Lieferung verzehrt zu werden. § 29 UStDV 1980 setze nicht voraus, daß gerade der Leistungsempfänger die Speisen verzehre. Es reiche ferner für die Anwendung dieser Vorschrift aus, daß die besonderen Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle - nämlich Tische und Stühle der Gaststätte - vom Gastwirt auch im Interesse der Klägerin bereitgehalten worden seien. Der Gesetzgeber habe alle Umsätze im Hotel- und Gaststättenbereich dem allgemeinen Steuersatz unterwerfen wollen. Auch die Klägerin erbringe Umsätze, die über die für Lebensmittelhandel und -handwerk typische Warenverteilung hinausgingen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, sie liefere die von ihr zubereiteten Speisen nicht zum Verzehr an Ort und Stelle. Denn sie liefere nicht an denjenigen, der die Speisen verzehre (Endverbraucher), sondern an einen zwischengeschalteten Unternehmer. Nicht sie, sondern dieser Unternehmer erbringe die Dienstleistungen und halte die besonderen Vorrichtungen bereit, die für die Annahme eines Verzehrs an Ort und Stelle gemäß § 29 UStDV 1980 vorausgesetzt seien.
Das FA lehnte nach Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils eine weitere Aussetzung der Vollziehung ab.
Die Klägerin beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids 1984 in Höhe von . . . DM auszusetzen.
Das FA ist dem Antrag entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist begründet.
Gemäß § 69 Abs. 3 Satz l i. V. m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann der Bundesfinanzhof (BFH) als Gericht der Hauptsache die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Bei einem in der Hauptsache im Revisionsverfahren schwebenden Rechtsstreit können ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit anerkannt werden, wenn unter Berücksichtigung der besonderen Voraussetzungen des revisionsgerichtlichen Verfahrens ernstlich mit der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts gerechnet werden kann. Der Senat kommt bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung zu dem Ergebnis, daß ernstlich ein Durcherkennen und eine Änderung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids in Betracht kommen.
Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1980 gilt der ermäßigte Steuersatz nicht für Lieferungen von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle. Speisen und Getränke werden gemäß § 29 UStDV 1980 in der bis 31. Dezember 1984 geltenden Fassung (jetzt § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 UStG 1980 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes - StBereinG 1985 - vom 14. Dezember 1984, BStBl I 1984, 659) zum Verzehr an Ort und Stelle geliefert, wenn sie nach den Umständen der Lieferung dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Ort der Lieferung in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden. Es erscheint zweifelhaft, ob die Klägerin Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle geliefert hat.
Fraglich ist zunächst, ob § 29 UStDV 1980 auf den Streitfall Anwendung findet oder ob diese Vorschrift rechtsunwirksam ist. Der Senat hat die inhaltsgleiche Regelung des § 5 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes (3. UStDV) mangels Ermächtigungsgrundlage für rechtsunwirksam erachtet (Urteile vom 16. Dezember 1982 V R 81/78, BFHE 137, 507, BStBl II 1983, 349; vom 6. Oktober 1983 V R 74/78, BFHE 140, 324, BStBl II 1984, 349). Die dort geäußerten Bedenken könnten gleichermaßen den § 29 UStDV 1980 in der bis 31. Dezember 1984 geltenden Fassung erfassen. Der Senat braucht indessen im vorliegenden summarischen Verfahren auf diese Frage nicht weiter einzugehen. Denn bereits nach der Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1967, die der Senat in der Entscheidung für zutreffend gehalten hat, mit der er § 5 der 3. UStDV für rechtsungültig erklärte (BFHE 140, 324, BStBl II 1984, 349), bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids.
Nach 3. e des vorbezeichneten BFH-Urteils ist es der bei der Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1967 zu beachtende Wille des Gesetzgebers, jegliche Verabreichung von Lebensmitteln zum Verzehr im Gastronomiebereich einem einheitlichen Steuersatz zu unterwerfen. Damit seien alle verzehrfertigen Lebensmittel als Speise im Sinne der genannten Gesetzesvorschrift einzustufen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob ihre Verzehrfertigkeit durch den liefernden Unternehmer (Gastronom) oder den (oder die) Vorlieferanten herbeigeführt worden ist. Der Begriff der Speise läßt sich, wie der Senat (a. a. O.) weiter zu erkennen gegeben hat, definitionsgemäß nicht vom Vorgang der gaststättenmäßigen bzw. gaststättenähnlichen Darreichung trennen. Damit werde die Wechselbeziehung zwischen dem Gegenstand der Lieferung (Speise) und den Umständen der Lieferung (zum Verzehr an Ort und Stelle) erkennbar.
Da die Klägerin jedoch nur Vorlieferantin, ihr Abnehmer aber der Gastronom ist, der die Speisen in seinem Lokal seinen Kunden gaststättenmäßig darreichte, bestehen schon aus diesem Grund an der im angefochtenen Umsatzsteuerbescheid zum Ausdruck gekommenen Auffassung, daß die Klägerin Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle liefere, ernstliche Zweifel.
Fundstellen