Entscheidungsstichwort (Thema)
Erledigungserklärung; Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach neuem Recht
Leitsatz (NV)
- Das FG ist an übereinstimmende Erledigungserklärungen ohne weitere Nachprüfung gebunden. Die Erklärungen haben konstitutive Bedeutung.
- Übereinstimmende Erledigungserklärungen sind grundsätzlich unwiderruflich, da sie die Prozesslage abschließend gestalten. Anderes gilt nur, wenn ein Restitutionsgrund (§ 134 FGO i.V.m. § 580 ZPO) vorliegt. In diesem Fall ist die Fortsetzung des Prozesses zuzulassen.
- Auch nach § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO i.d.F. des 2. FGOÄndG ist die Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung grundsätzlich nur nach den innerhalb der gesetzlichen Beschwerdefrist vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen. Spätere Darlegungen sind ‐ abgesehen von bloßen Erläuterungen und Ergänzungen ‐ nicht zu berücksichtigen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, § 116 Abs. 3 S. 1; ZPO § 580
Tatbestand
I. Mit ihrer Klage begehrten die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die Aufhebung der Steuerbescheide des Rates des Kreises … Abteilung Finanzen für die Veranlagungszeiträume 1975 bis 1978 nach Art. 19 Satz 2 des Einigungsvertrages. Nachdem sich der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) in der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 1997 verpflichtete, die Steuerbescheide teilweise aufzuheben und den Klägern … DM zu erstatten, erklärten die Beteiligten übereinstimmend die Hauptsache für erledigt. Das Finanzgericht (FG) entschied mit Beschluss vom 23. Dezember 1997 über die Kosten.
Nachdem die Kläger mit Schriftsatz vom 25. September 2000 unter Bezugnahme auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung die vollständige Aufhebung der Steuerfestsetzungen beantragt hatten, erkannte das FG durch Urteil, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei.
Mit der Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision.
Das FA ist der Auffassung, die geltend gemachten Zulassungsgründe seien nicht ordnungsgemäß dargelegt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Von vornherein nicht gehört werden können die Kläger mit ihrem Vorbringen, eine tatsächliche Verständigung sei in der mündlichen Verhandlung nicht rechtswirksam zustande gekommen. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit in der Hauptsache ohne jede Einschränkung oder Bedingung für erledigt erklärt. An diese übereinstimmende Erledigungserklärung war das FG ohne weitere Nachprüfung gebunden. Die Erklärungen haben konstitutive Bedeutung. Eines gerichtlichen Ausspruchs über die Erledigung der Hauptsache bedarf es nicht (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 3. Februar 1993 I R 80-81/91, BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 138 Rz. 11).
2. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn der Beschwerdeführer die Rechtsfragen bezeichnet, deren Beantwortung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt; darzulegen ist insbesondere, dass es sich um aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Fragen handelt und diese Fragen im konkreten Verfahren klärungsbedürftig und klärungsfähig sind (z.B. Beschluss des BFH vom 18. Januar 1995 VIII B 41/94, BFH/NV 1995, 807).
Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Erledigungserklärung widerrufen werden konnte, bedarf keiner Klärung: Da durch übereinstimmende Erledigungserklärungen eine Prozesslage abschließend gestaltet wird, sind sie grundsätzlich unwiderruflich (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29. Oktober 1987 X R 1/80, BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121; Beschluss vom 23. April 1991 VII B 74/90, BFH/NV 1992, 392). Diese auch im Zivil- und Verwaltungsprozessrecht vertretene Ansicht (Bundesverwaltungsgericht ―BVerwG―, Beschlüsse vom 13. März 1964 VII ER 412.63, Deutsches Verwaltungsblatt ―DVBl― 1964, 874, und vom 20. Juli 1972 IV CB 13.72, Die Öffentliche Verwaltung ―DÖV― 1972, 796; vom 30. November 1999 5 B 214/99, juris Nr. WBRE410006249; Zöller, Zivilprozessordnung, 23. Aufl. 2002, § 91a Rz. 11) beruht auf Gründen der Prozessökonomie. Die durch die Erledigungserklärungen herbeigeführte endgültige Beendigung des Verfahrens soll ―auch im Interesse des Rechtsfriedens― nicht wieder aufgehoben werden können. Anderes gilt nur, wenn ein Restitutionsgrund (§ 134 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.V.m. § 580 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―) vorliegt; in diesem Fall ist die Fortsetzung des Prozesses zuzulassen (BFH-Urteil in BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 1981 IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389; Gräber/Ruban, a.a.O., Rz. 16).
3. Die geltend gemachte Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO n.F.) haben die Kläger nicht ausreichend bezeichnet. Hinsichtlich der behaupteten Abweichung der angefochtenen Entscheidung vom Senatsurteil vom 25. Januar 1995 X R 146/93 (BFHE 177, 317, BStBl II 1995, 686) fehlt die gebotene Gegenüberstellung der abstrakten Rechtssätze des FG einerseits und des BFH andererseits (BFH-Beschluss vom 29. September 2000 X B 23/00, BFH/NV 2001, 437, m.w.N.). Es ist nicht ersichtlich, inwieweit das FG bei seiner Entscheidung, die Erledigungserklärung sei mangels Vorliegens von Restitutionsgründen unwiderruflich, vom Senatsurteil abweichende Rechtssätze zugrunde gelegt hat.
4. Die von den Klägern gerügte Versagung rechtlichen Gehörs und eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht des FG sind in der Revisionsbegründung nicht schlüssig dargelegt.
Die Rüge, dem FG habe im Zeitpunkt der Abgabe der übereinstimmenden Erledigungserklärungen das Urteil des Oberlandesgerichts … sowie ein zweites ―den Klägern bis heute unbekanntes― Preisfestlegungsgutachten vorgelegen, bezieht sich ebenso wie das weitere Vorbringen, den Klägern hätte keine ausreichende Zeit zur Klärung des zutreffenden Sachverhalts bei der tatsächlichen Verständigung zur Verfügung gestanden, nicht auf die allein maßgebliche Frage, ob Restitutionsgründe greifen und ausnahmsweise ein Widerruf der übereinstimmenden Erledigungserklärungen in Betracht kommt. Zudem fehlen Ausführungen, dass die Kläger die Verfahrensrügen bereits vor dem FG geltend gemacht haben bzw. weshalb ihnen dies nicht möglich war und inwiefern das angefochtene Urteil auf diesen Verfahrensmängeln beruht.
5. Das weitere Vorbringen der Kläger, Richter am FG … sei möglicherweise im Streitfall aufgrund seiner Tätigkeit bei der Oberfinanzdirektion … in das Rechtsbehelfsverfahren involviert gewesen, ist verspätet, weil es nicht innerhalb der ―am 20. Dezember 2001 abgelaufenen― Begründungsfrist eingegangen ist. Die bisherige Rechtsprechung, wonach die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung grundsätzlich nur nach den innerhalb der gesetzlichen Beschwerdefrist vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen ist und spätere Darlegungen ―abgesehen von bloßen Erläuterungen und Ergänzungen― nicht zu berücksichtigen sind (BFH-Beschlüsse vom 27. März 1992 III B 547/90, BFHE 168, 17, BStBl II 1992, 842, Ziff. 1. der Gründe, und vom 24. November 1994 V B 80/94, BFH/NV 1995, 691; vgl. Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 116 FGO Rz. 53), ist auch auf § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) anwendbar. Über die mit Schriftsatz vom 15. Mai 2002 gestellten Anträge braucht der Senat deshalb nicht zu entscheiden.
6. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach Maßgabe des § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO i.d.F. des 2.FGOÄndG ab.
Fundstellen
Haufe-Index 779797 |
BFH/NV 2002, 1339 |