Leitsatz (amtlich)
Besorgnis der Befangenheit eines Richters kann gerechtfertigt sein, wenn der Richter in einem frühen Abschnitt des Klageverfahrens seine Meinung des Inhalts, die Klage werde keinen Erfolg haben, in einer Weise äußert, die dem Kläger Grund für die Befürchtung gibt, der Richter werde Gegengründen nicht mehr aufgeschlossen gegenüberstehen.
Orientierungssatz
1. Die Gründe für den Verlust des Rechts auf Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit sind in § 43 ZPO abschließend aufgezählt. Unter weiteren, nicht im Gesetz angeführten Voraussetzungen kann ein Beteiligter sein Ablehnungsrecht nicht einbüßen. Weder die bloße Einreichung vorbereitender Schriftsätze noch ein vom Beteiligten vor der mündlichen Verhandlung zunächst gestellter, dann aber wieder zurückgezogener Antrag auf Terminsverlegung führt zum Verlust des Ablehnungsrechts.
2. Richterablehnung: Gründe für ein Mißtrauen in die Unparteilichkeit eines Richters sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Zureichende Ablehnungsgründe liegen nicht schon darin, daß der Berichterstatter sich vor dem Abschluß der mündlichen Verhandlung eine --vorläufige-- Meinung über den Verfahrensausgang gebildet hat, ferner nicht darin, daß diese Ansicht unzutreffend sein könnte und der Berichterstatter seine Ansicht dem Beteiligten bekanntgibt und damit die Bitte verbindet, eine Klagerücknahme zu erwägen (umfangreiche Ausführungen und BFH-Rechtsprechung, BVerwG-Rechtsprechung).
3. NV: Die Kosten des Beschwerdeverfahrens wegen Richterablehnung fallen nach § 135 Abs. 1 FGO dem im Klageverfahren unterliegenden Beteiligten zur Last. Die Kostentragung hängt somit von der Entscheidung in der Hauptsache ab.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 2, §§ 43-44, 46; FGO § 135 Abs. 1
Tatbestand
I. Die GmbH, seinerzeit eine Organgesellschaft der Klägerin, mietete 1974 von einem Dritten ein gemischt-genutztes Grundstück auf die Dauer von 20 Jahren. Sie verpflichtete sich, auf dem Grundstück auf eigene Rechnung einen Neubau zu errichten.
Das beklagte Finanzamt nimmt an, der 1974 fertiggestellte Neubau sei im selben Jahre an den Grundstückseigentümer entgeltlich weitergeliefert worden, und erhöhte im Hinblick auf den insoweit der Klägerin zuzurechnenden Umsatz die Umsatzsteuerfestsetzung 1974 der Klägerin.
Im Verlaufe des diesbezüglichen Klageverfahrens hat sich der Berichterstatter beim Finanzgericht mit Schreiben vom 24.September 1982 wie folgt an die Klägerin gewandt:
...
Ihrer Rechtsauffassung vermag ich mich nicht anzuschließen. Die Lieferung
des Gebäudes durch die Klägerin an den Grundstückseigentümer steht - davon
geht das Finanzamt zu Recht aus - außer Zweifel. Der Mietvertrag vom ...
ist insoweit eindeutig. Zur Begründung und zur Vermeidung von
Wiederholungen verweise ich auf die BFH-Urteile im BStBl 1976 S.309; 1977
S.886; 1978 S.280; 1980 S.279; 1970 S.71 und 1971 S.34. Aus den beiden
letzten Urteilen folgt auch die Entgeltlichkeit der Lieferung. Das Urteil
vom 20.03.1964, BStBl 1964 S.292 ist vom Sachverhalt her nicht
vergleichbar. Weiterhin verweise ich auf Giesberts in Rau-Dürrwächter
Flick-Koch, Komm. zum Umsatzsteuergesetz 3.Aufl., § 3 Anm.137 ff. und 178
ff., 1982 mit weiteren Hinweisen.
Ich darf Sie bitten, Ihre Rechtsauffassung nochmals zu überprüfen und bis 20.10.1982 mitzuteilen, ob Sie das Verfahren
weiterführen oder die Klage zurücknehmen wollen. Für den ersteren Fall
bitte ich um Mitteilung, ob ohne mündliche Verhandlung entschieden werden
kann, da es sich um reine Rechtsfragen handelt.
Hierauf ist die Klägerin in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 25.Oktober 1982 eingegangen.
Zu Beginn der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung abgelehnt, der Berichterstatter habe im Schreiben vom 24.September 1982 einen Sachverhalt unterstellt und als "außer Zweifel" bezeichnet, um dessen Würdigung es im vorliegenden Rechtsstreit gerade gehe. Der Berichterstatter sei damit über die Äußerung einer Rechtsauffassung hinausgegangen.
Der Berichterstatter hat sich zum Ablehnungsantrag dienstlich geäußert.
Das Finanzgericht hat die Richterablehnung als unbegründet zurückgewiesen. Hierzu hat es ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, daß sich der Berichterstatter mit seinem Schreiben von vornherein - d.h. vor Anordnung und Durchführung einer etwa erforderlichen Beweisaufnahme - im Sinne einer Entscheidung zugunsten des Finanzamts festgelegt habe. Vielmehr habe er eine Rechtsansicht zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Gebäuden auf fremdem Grund und Boden geäußert. Aus einer solchen Äußerung, selbst wenn sie bei zweifelhafter Sach- und Rechtslage abgegeben werde, könne nicht auf Befangenheit geschlossen werden. Befangenheit lasse sich ebenfalls nicht aus der auf eine Klagerücknahme hinzielenden Anfrage am Ende des Schreibens herleiten. Daß dem Berichterstatter nicht unter Zurückstellung sachlicher Überlegungen an einer Verfahrensbeendigung um jeden Preis gelegen gewesen sei, ergebe sich aus seinem die Fortsetzung des Prozesses betreffenden Hinweis.
Mit der Beschwerde macht die Klägerin geltend, die Besorgnis der Befangenheit sei gerechtfertigt. Die dahingehende Äußerung des Berichterstatters, daß die Lieferung des Gebäudes "außer Zweifel" stehe und der Mietvertrag "insoweit eindeutig" sei, habe von ihr nicht anders als dahin verstanden werden können, daß der Berichterstatter nicht mehr bereit sei, eine Lieferung des Gebäudes zu bezweifeln. Angesichts dessen müsse sie davon ausgehen, daß eine mündliche Verhandlung, was die Mitwirkung des Berichterstatters anbelange, eine Farce sein würde, da der Berichterstatter seine Meinung abschließend und endgültig gebildet habe.
Entscheidungsgründe
II. Auf die Beschwerde der Klägerin wird unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses das Ablehnungsgesuch der Klägerin für begründet erklärt. Der Inhalt des Schreibens des Berichterstatters vom 24.September 1982 an die Klägerin ist geeignet, bei der Klägerin Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Berichterstatters auszulösen.
1. Nach § 51 Abs.1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Verbindung mit § 42 Abs.1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann in der Finanzgerichtsbarkeit ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Die Ablehnung ist bei dem Gericht, dem der Richter angehört, durch Ablehnungsgesuch geltend zu machen (§ 44 Abs.1 ZPO). Rechtfertigen die vorgebrachten Ablehnungsgründe die Besorgnis der Befangenheit, wird das Ablehnungsgesuch für begründet, anderenfalls für unbegründet erklärt (vgl. § 46 Abs.2 ZPO).
2. Die Klägerin hat ihr Ablehnungsrecht nicht eingebüßt.
a) Nach § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Grund für seine Ablehnung geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Beides hat die Klägerin nicht getan.
Die Klägerin hat ihr Ablehnungsgesuch zu Beginn der mündlichen Verhandlung angebracht. Ausweislich des Protokolls waren zu diesem Zeitpunkt weder Sachanträge gestellt, noch war mit der Erörterung des Sach- und Streitstandes begonnen worden.
Die Klägerin hat sich auch sonst nicht im Sinne des § 43 ZPO in eine Verhandlung eingelassen. Sie ist zwar mit ihrem Schriftsatz vom 25.Oktober 1982 auf den Inhalt des Schreibens des Berichterstatters sachlich eingegangen. Dies stellt jedoch keine Einlassung auf eine Verhandlung dar. Vorbereitende Schriftsätze (vgl. § 77 FGO) erlangen erst durch den entsprechenden Vortrag in der mündlichen Verhandlung ihre Wirksamkeit in dem Sinne, daß sich der Schriftsatzinhalt als Beitrag zur Erörterung der Sach- und Rechtslage im Rahmen einer Verhandlung vor Gericht ansehen läßt. Dementsprechend ist die bloße Einreichung vorbereitender Schriftsätze für die Frage des Verlustes eines Ablehnungsrechts unerheblich. Ob insoweit etwas anderes im schriftlichen Verfahren gilt (vgl. Wassermann, JR 1961, 401 ff., 405), braucht hier nicht entschieden zu werden, da die Klägerin es abgelehnt hat, auf mündliche Verhandlung zu verzichten.
Der von der Klägerin vor der mündlichen Verhandlung zunächst gestellte, dann aber wieder zurückgezogene Antrag auf Terminsverlegung hat ebenfalls nicht zum Verlust des Ablehnungsrechtes geführt. Ein solches Begehren stellt schon seinem Wesen nach keinen Antrag im Sinne des § 43 ZPO dar (vgl. Wassermann, a.a.O., S.405).
b) Der Umstand, daß die Klägerin seit dem Empfang des Schreibens des Berichterstatters mehr als zwei Jahre hat vergehen lassen, bevor sie ein Ablehnungsgesuch angebracht hat, führt nicht zu einem Verlust ihres Ablehnungsrechts. Durch dieses Zuwarten ist keine der beiden Voraussetzungen des § 43 ZPO erfüllt worden. Angesichts der in der zitierten Vorschrift enthaltenen abschließenden Aufzählung von Gründen für den Verlust des Ablehnungsrechts hält es der Senat nicht für vertretbar, anzunehmen, daß ein Beteiligter auch unter weiteren, nicht im Gesetz angeführten Voraussetzungen sein Ablehnungsrecht --kraft vermuteten Verzichts-- einbüßen könnte.
3. Die Beschwerde der Klägerin und ihr Ablehnungsgesuch sind begründet; denn die Klägerin hat entgegen der angefochtenen Entscheidung Anlaß zur Besorgnis, dem Berichterstatter fehle ihr gegenüber die gebotene Unbefangenheit, weil er nicht mehr bereit sei, Argumente gegen seine Ansicht über den zu erwartenden Verfahrensausgang unvoreingenommen in Erwägung zu ziehen.
a) Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kann zum Erfolg führen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs.2 ZPO). Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele (vgl. BFH-Beschluß vom 21.September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12 m.w.Nachw.). Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabes Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten.
b) Zureichende Ablehnungsgründe liegen allerdings nicht schon darin, daß der Berichterstatter sich vor dem Abschluß der mündlichen Verhandlung eine Meinung über den --für die Klägerin ungünstigen-- Verfahrensausgang gebildet hat, ferner nicht darin, daß diese Ansicht unzutreffend sein könnte und der Berichterstatter seine Ansicht in dem erörterten Schreiben bekanntgegeben und damit die an die Klägerin gerichtete Bitte verbunden hat, eine Klagerücknahme zu erwägen.
Das Gericht entscheidet nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs.1 Satz 1 FGO). Dementsprechend darf das Gericht sich seine --endgültige-- Auffassung über die maßgebende Sach- und Rechtslage erst bilden und erst über den Verfahrensausgang befinden, wenn das Gesamtergebnis des Verfahrens vorliegt, wozu, von den Fällen des § 90 Abs.2 und 3 FGO abgesehen, auch die in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse gehören. Diese Regelung schließt jedoch nicht aus, daß die am Verfahren beteiligten Richter sich bereits in einem früheren Verfahrensabschnitt eine --vorläufige-- Meinung über die Sach- und Rechtslage des betreffenden Falles bilden. Eine solche --vorläufige-- Meinungsbildung ist oftmals schon aufgrund der gerichtlichen Prozeßförderungspflicht unumgänglich.
Nach § 79 Satz 1 FGO hat der Vorsitzende oder ein von ihm zu bestimmender Richter schon vor der mündlichen Verhandlung alle Anordnungen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen. Diese auf Verfahrensbeschleunigung abgestellte Regelung, ergänzt durch die Vorschriften der §§ 76 ff. FGO (vgl. Tipke/Kruse, AO, 11.Aufl., § 79 FGO Rdnr.1), zwingt den Richter gewöhnlich dazu, sich vom Eingang der Klage an ein Bild vom Sach- und Streitstand zu machen. Anderenfalls wäre er nicht in der Lage, auf Einreichung vorbereitender Schriftsätze (§ 77 FGO), Abgabe vollständiger Erklärungen über tatsächliche Umstände, Beseitigung von Formfehlern, Anbringung sachdienlicher und Erläuterung unklarer Anträge (§ 76 Abs.1 und 2 FGO) hinzuwirken und damit die Voraussetzungen für die Erledigung des Rechtsstreits in einer mündlichen Verhandlung (§ 79 FGO) zu schaffen. Mithin deutet es nicht auf Voreingenommenheit hin, sondern entspricht dem gewöhnlichen Verhalten eines Richters, daß der Berichterstatter sich lange vor der mündlichen Verhandlung eine Meinung über die Sach- und Rechtslage und den vermutlichen Verfahrensausgang gebildet hat.
Das Ablehnungsgesuch der Klägerin läßt sich ferner nicht mit der Überlegung rechtfertigen, daß die Meinung des Berichterstatters, die Klage müsse abgewiesen werden, unzutreffend sein könnte. Selbst wenn die Annahme der Klägerin richtig wäre, daß der Berichterstatter von unzutreffenden rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen ausgehe und demzufolge zu einer unzutreffenden Beurteilung hinsichtlich des zu erwartenden Verfahrensausgangs gelangt sei, ließe sich damit Besorgnis der Befangenheit nicht begründen. Ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit kann grundsätzlich nicht erfolgreich auf das Vorbringen gestützt werden, daß ein Richter zu einer fehlerhaften Entscheidung gelangt sei oder gelangen werde, insbesondere weil er eine unrichtige Rechtsauffassung vertrete. Das Rechtsinstitut der Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit soll die Beteiligten nicht vor Irrtümern des Richters schützen, insbesondere nicht vor Irrtümern in Rechtsfragen. Insoweit stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Möglichkeit, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, hat vielmehr allein den Zweck, die Beteiligten davor zu bewahren, daß an der Entscheidung der sie betreffenden Streitsache ein Richter mitwirkt, dem gegenüber die Besorgnis begründet ist, daß er ihnen mit Voreingenommenheit begegne (vgl. BFH-Beschluß vom 14.Januar 1971 V B 67/69, BFHE 101, 207, BStBl II 1971, 243). Inwieweit dann etwas anderes gelten kann, wenn der Irrtum des Richters so gravierend ist, daß er allem Anschein nach als Zeichen der Voreingenommenheit angesehen werden muß (vgl. BVerwG-Urteil vom 2.Juli 1976 VI C 109.75, DÖV 1976, 747; Beschluß des BayObLG vom 12.Mai 1977 1 Z 29/77, DRiZ 1977, 244), braucht hier nicht entschieden zu werden. Es liegt kein Anhalt dafür vor, daß dem Berichterstatter, falls seine Ansicht über den Verfahrensausgang nicht dem Gesetz entspräche, nicht bloß ein Irrtum unterlaufen wäre, vor dem kein Richter sicher ist.
Das Schreiben des Berichterstatters rechtfertigt schließlich nicht Besorgnis der Befangenheit unter dem Aspekt, daß der Berichterstatter seine Ansicht über den zu erwartenden Verfahrensausgang den Beteiligten bekanntgegeben und dabei der Klägerin die Prüfung anheimgestellt hat, ob die Klage nicht besser zurückgenommen würde. Zwar hat der Bundesfinanzhof aus den die gerichtliche Pflicht zur Prozeßförderung normierenden Vorschriften (siehe oben) keine Verpflichtung für das Gericht hergeleitet, den Kläger auf die nach Ansicht des Gerichts zugrunde zu legende Rechtsauffassung hinzuweisen (vgl. BFH-Beschluß vom 15.Oktober 1971 VI R 80/68, BFHE 103, 191, BStBl II 1972, 14). Damit ist jedoch nicht gesagt, daß es dem Gericht verwehrt wäre, seine Rechtsauffassung gegenüber den Beteiligten aufzudecken. Dies wird sich sogar oftmals im Hinblick auf die Pflichten des Gerichts, den Verfahrensfortgang zu fördern, nicht vermeiden lassen (vgl. § 155 FGO, § 278 Abs.3 ZPO), etwa dann, wenn der Sinn bestimmter gerichtlicher Auflagen von den Beteiligten überhaupt erst richtig erfaßt werden kann, wenn sie die den Auflagen zugrunde liegende Rechtsauffassung kennen (vgl. auch BVerwG-Urteil vom 11.Februar 1982 1 D 2.81, BVerwGE 73, 339, 346).
Hinweise eines Richters auf seine --vorläufige-- Meinung über den voraussichtlichen Ausgang des Prozesses liegen im allgemeinen auch im wohlverstandenen Interesse der Beteiligten. Den Beteiligten ist gewöhnlich daran gelegen, die Einstellung des Richters zu den für den Prozeßausgang maßgeblichen rechtlichen Problemen zu erfahren. Auf diese Weise erhalten sie gegebenenfalls Gelegenheit, ihre eigene, von der des Richters abweichende Ansicht näher zu erläutern und dabei zusätzliche Gesichtspunkte vorzutragen oder bereits angeführte Gesichtspunkte stärker hervorzuheben, um den Richter von der Richtigkeit ihrer Meinung zu überzeugen (vgl. BFH-Beschluß vom 5.März 1971 VI B 64/70, BFHE 102, 10, BStBl II 1971, 527 m.w.Nachw.; BVerwG-Beschluß vom 6.Februar 1979 IV CB 8.79, DVBl 1979, 560 = HFR 1979, 295). Nichts anderes gilt für Hinweise des Richters in Sachfragen.
Besorgnis der Befangenheit ergibt sich regelmäßig auch dann nicht, wenn der Richter den Hinweis auf seine Meinung über den voraussichtlichen Verfahrensausgang mit der Empfehlung verbindet, die Zweckmäßigkeit einer Klagerücknahme zu prüfen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21.Juli 1967 III B 37/67, BFHE 90, 160, BStBl II 1968, 12 und VI B 64/70, a.a.O.). Eine auf die Klagerücknahme hinzielende Anfrage, Anregung oder Empfehlung kann die Annahme von Befangenheit zwar dann nahelegen, wenn sie erkennen läßt, es sei dem Richter an einer Beendigung des Verfahrens um jeden Preis gelegen. Wird dagegen --wie im vorliegenden Fall geschehen-- mit der entsprechenden Anregung die Bitte um eine Erklärung verbunden, ob der Beteiligte auf mündliche Verhandlung verzichten wolle, so gibt der Richter gerade zu erkennen, daß er einen Verfahrensfortgang nicht weniger in Betracht ziehe als eine rasche Verfahrensbeendigung durch Klagerücknahme.
c) Grund zur Besorgnis für die Klägerin, der Berichterstatter könne ihr gegenüber nicht mehr unbefangen sein, gibt jedoch das Schreiben des Berichterstatters in der Hinsicht, daß es Zweifel aufkommen läßt, ob der Berichterstatter weiterhin Gegengründen gegen seine Ansicht zugänglich bleibt.
Die in dem Schreiben zum Ausdruck kommende Auffassung des Berichterstatters, daß die Klage keinen Erfolg haben könne, setzt eine entsprechende Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfragen und der betreffenden Sachfragen durch den Berichterstatter voraus. Zu allen drei Punkten hat der Berichterstatter sich in einer Weise geäußert, die auf ein ungewöhnliches Maß an --subjektiver-- Gewißheit hinsichtlich der Richtigkeit der gewonnenen Erkenntnisse hindeutet. Im Bereiche der Sachfragen kommt dies darin zum Ausdruck, daß der Berichterstatter den Mietvertrag in Beziehung auf die Frage, ob eine Lieferung stattgefunden habe, als "insoweit" eindeutig bezeichnet hat. Ungewöhnlich ist dabei die vom Berichterstatter zum Ausdruck gebrachte Gewißheit, zumal in einem Prozeßabschnitt, in dem das Gesamtergebnis des Verfahrens noch nicht vorliegen konnte, vor allem angesichts dessen, daß der Wortlaut eines Vertrages nicht der einzige Gesichtspunkt für dessen Auslegung ist. Bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen (vgl. §§ 133 und 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) sind vielmehr außer dem Wortlaut (buchstäblicher Sinn des Ausdrucks) weitere den wirklichen Willen ergebende Umstände sowie Treu und Glauben und die Verkehrssitte zu berücksichtigen.
In dem Schreiben hat der Berichterstatter nicht unmittelbar zu erkennen gegeben, wie sicher er glaubte, die richtigen Antworten auf die maßgebenden Rechtsfragen gefunden zu haben. Mittelbar ergibt sich dies jedoch aus den verwendeten Formulierungen, mit denen die Ergebnisse der vom Berichterstatter gezogenen Subsumtionsbeschlüsse mit dem Anstrich großer Gewißheit wiedergegeben sind ("... Lieferung steht außer Zweifel."; "... Mietvertrag ... ist insoweit eindeutig."; "... folgt auch die Entgeltlichkeit der Lieferung").
Die Klägerin hat unter diesen Umständen Grund zur Besorgnis, die Überzeugung des Berichterstatters von der Richtigkeit seiner Antworten auf die maßgebenden Sach- und Rechtsfragen und seiner Meinung über den gebotenen Verfahrensausgang sei so fest gefügt, daß er den Ergebnissen des weiteren Verfahrens bis zur Entscheidung statt mit einer vorläufigen mit einer endgültigen Beurteilung gegenüberstehen werde (vgl. hierzu Krekeler, NJW 1981, 1633 ff., 1638 l.Sp.; Teplitzky, JuS 1969, 318 ff., 321 f.). Diese mithin gerechtfertigte Besorgnis läßt sich weder mit der Erwägung entkräften, daß die mit den gesetzgeberischen, auf Prozeßstraffung gerichteten Maßnahmen einhergehenden Veränderungen in der Prozeßkonzeption Anlaß geben können, das Recht der Befangenheitsablehnung zu überdenken (vgl. hierzu Schneider, DRiZ 1978, 42), noch läßt sich ihr entgegenhalten, daß nicht jede freimütige Äußerung eines Richters zum wahrscheinlichen Verfahrensausgang Grund für seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit sein darf.
4. Das Ablehnungsgesuch war daher unter Aufhebung der Vorentscheidung für begründet zu erklären. Unter diesen Umständen braucht nicht weiter darauf eingegangen zu werden, daß die Vorinstanz unterlassen hat, der Klägerin die dienstliche Äußerung des Berichterstatters vor der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch bekanntzugeben (vgl. hierzu Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25.Juni 1968 2 BvR 599, 677/67, BVerfGE 24, 26; BGH-Urteil vom 13.Juli 1968 2 StR 157/66, BGHSt 21, 85; BFH-Beschluß vom 31.Mai 1972 II B 34/71, BFHE 105, 337, BStBl II 1972, 576; Teplitzky, a.a.O., S.324).
++/ 5. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen nach § 135 Abs. 1 FGO dem im Klageverfahren unterliegenden Beteiligten zur Last. Die Kostentragung hängt somit von der Entscheidung in der Hauptsache ab. /++
Fundstellen
Haufe-Index 61037 |
BStBl II 1985, 555 |
BFHE 144, 144 |
BFHE 1986, 144 |
BB 1985, 2160-2160 (S) |
DB 1986, 312-312 (T) |
DStR 1985, 773-774 (ST) |
HFR 1986, 16-17 (ST) |