Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass bestandskräftig festgesetzter Steuern
Leitsatz (NV)
Ein Billigkeitserlass nach § 227 AO kommt auch bei bestandskräftig festgesetzten Steuern dann in Betracht, wenn eine überhöhte Steuerfestsetzung allein auf einem Fehlverhalten des FA beruht. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn maßgebliche Ursache eine fehlerhafte Antragstellung des Stpfl. war.
Normenkette
AO § 163; FGO § 116 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) führte für die Jahre 1996 bis 1998 (Streitjahre) eine Außenprüfung durch, die für die Streitjahre u.a. wegen ungeklärter Zahlungseingänge auf dem Geschäftskonto zu Zuschätzungen führte. Dementsprechend änderte das FA durch Bescheide vom 14. März 2002 u.a. sowohl die Einkommensteuerbescheide als auch die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre.
Gegen diese Bescheide legte der Kläger Einsprüche ein. Am 20. Oktober 2004 erließ das FA eine Einspruchsentscheidung, in der es die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre änderte und die Einsprüche im Übrigen zurückwies.
Am 10. November 2004 sprach der Kläger im FA bei der Sachbearbeiterin, Frau M, vor und reichte weitere Unterlagen ein. Streitig ist, ob der Kläger am 10. November 2004 einen mündlichen Antrag auf (schlichte) Änderung gemäß § 172 der Abgabenordnung (AO) der Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre gestellt hat.
Am 16. November 2004 beantragte der Kläger beim FA schriftlich, die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre "dahingehend zu ändern, dass die Zuschätzung für die Jahre 1996, 1997 und 1998 entnommen wird". Einen entsprechenden Antrag bezüglich der Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre stellte der Kläger nicht.
Das FA änderte die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre durch Bescheide vom 3. und 13. Dezember 2004 entsprechend diesem Antrag. Die Umsatzsteuerfestsetzungen wurden nicht geändert.
Nachdem das FA am 17. Dezember 2004 die Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre beendet hatte, beantragte der Kläger am 21. Dezember 2004, die Umsatzsteuerbescheide gemäß § 164 AO zu ändern.
Dies lehnte das FA durch Bescheid vom 21. Januar 2005 ab. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vernahm die Sachbearbeiterin Frau M sowie Herrn V als Zeugen und wies die Klage mit der Begründung ab, nach Anhörung des Klägers und Einvernahme der Zeugen sei der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger bereits am 10. November 2004 einen Änderungsantrag gestellt habe (Urteil in der Sache 2 K 241/05 vom 1. März 2007).
Die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 19. März 2008 (Aktenzeichen V B 84/07) zurückgewiesen.
Am 18. April 2005 hatte der Kläger weiterhin einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO aus Billigkeitsgründen gestellt. Nach Ablehnung des Antrags wurde das Verfahren vor dem FG (Aktenzeichen 2 K 1157/05) nach übereinstimmender Erledigungserklärung mit Kostenbeschluss vom 1. März 2007 abgeschlossen, wonach dem Kläger nach § 138 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden. Die Umsatzsteuerfestsetzung beruhe darauf, dass der Kläger versehentlich nicht den Antrag auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung nach § 172 AO gestellt habe. Das Erlassverfahren diene nicht dazu, bestandskräftige Entscheidungen im Billigkeitswege zu korrigieren.
Am 16. März 2007 beantragte der Kläger den Erlass der Umsatzsteuerfestsetzungen, Nachzahlungszinsen sowie der Säumniszuschläge aus Billigkeitsgründen nach § 227 AO. Zur Begründung führte der Kläger aus, das FG sei fehlerhaft zu dem Ergebnis gekommen, es habe kein gesonderter Antrag nach § 172 AO auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen vorgelegen. Zudem habe das FA gegen seine Amtspflichten verstoßen.
Nach Ablehnung dieser Anträge und Zurückweisung des Einspruchs erhob der Kläger Klage unter Bezug auf sein Schreiben vom 13. Juni 2007 (Erlassanträge wegen Umsatzsteuer und Nachzahlungszinsen ohne Säumniszuschläge). Das FG wies die Klage mit dem Aktenzeichen 2 K 2024/07 mit der Begründung ab, die Klage hinsichtlich der Säumniszuschläge sei unzulässig, weil der Kläger die Klage wegen des Bezugs in der Klageschrift auf den Schriftsatz vom 13. Juni 2007 lediglich wegen Umsatzsteuer und Nachzahlungszinsen erhoben habe. Zudem sei die Klage unbegründet, weil die Ablehnung der Erlassanträge nicht sachlich unbillig gewesen sei. Hiervon könne bei einer bestandskräftig festgesetzten Steuer nur dann ausgegangen werden, wenn die Steuerfestsetzung eindeutig falsch und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder zumutbar gewesen sei, sich rechtzeitig gegen die Fehlerhaftigkeit zu wehren. Der Kläger wäre jedoch in der Lage gewesen, rechtzeitig einen Änderungsantrag nach § 172 AO zu stellen. Er selbst habe das Verfahren hinsichtlich der Wiedereinsetzung in die Versäumung der Klagefrist durch Erledigungserklärung beendet. Außerdem sei der Antrag nach § 56 Abs. 2 FGO verspätet erhoben worden. Zudem sei er im vorliegenden Verfahren wegen Erlasses nach § 227 AO mit denjenigen Gründen ausgeschlossen, die er bereits im Verfahren 2 K 1157/05 wegen Billigkeitserlasses nach § 163 AO vorgetragen und in dessen Verlauf er ebenfalls eine Erledigungserklärung abgegeben habe. Auch eine Amtspflichtverletzung des FA lasse sich nicht feststellen. Die Sachbearbeiterin des FA habe angegeben, der Kläger habe sich in dem Gespräch noch nicht eindeutig entschieden, ob er den Änderungsantrag stellen oder Klage erheben wollte. Daher habe sie ihre Bescheidänderungen auf die ausdrücklich gestellten schriftlichen Anträge des Klägers beschränkt.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie entspricht teilweise nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO; teilweise liegen die Gründe nicht vor.
1. Die Revision kann nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen werden, weil der Kläger keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bezeichnet hat.
a) Von grundsätzlicher Bedeutung soll "der spezielle Aspekt" sein, dass ein FA auch rechtskräftige Steuerfestsetzungen im Billigkeitswege ändern kann, um die eigene Pflichtverletzung zu korrigieren (Beschwerdeschrift Seite 4). Demgegenüber ist geklärt und entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass bestandskräftig festgesetzte Steuern dann erlassen werden können, wenn die Festsetzung eindeutig und offensichtlich unrichtig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit zu wehren (z.B. BFH-Urteile vom 21. Juli 1993 X R 104/91, BFH/NV 1994, 597; vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, BStBl II 1981, 611; vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512; vom 18. April 1989 VIII R 319/84, BFH/NV 1989, 756).
b) Inwiefern die nach Auffassung des Klägers "wesentliche Frage", "dass der Kläger in den unterschiedlichen Verfahrensarten (z.B. Antrag nach § 172 AO, Antrag nach § 163 AO oder Antrag nach § 227 AO) immer nur auf den einen Lebenssachverhalt zurückgreifen kann" und "nicht für die verschiedenen Verfahrensarten unterschiedliche Sachverhalte darstellen (kann), die so in der Wirklichkeit gar nicht abgelaufen sind", von grundsätzlicher Bedeutung sein kann, legt der Kläger nicht in der zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung erforderlichen Weise (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. März 2002 V B 119/01, BFH/NV 2002, 1038; vom 18. Dezember 2002 VII B 110/02, BFH/NV 2003, 659; vom 7. April 2005 V B 39/04, BFH/NV 2005, 1585) dar. Hierzu genügt nicht der Hinweis, die Auffassung des FG würde "den Grundsätzen der Abgabenordnung widersprechen", die "gerade unterschiedliche Verfahren und Anspruchsgrundlagen (regeln), angefochtene Steuerbescheide zu ändern oder aufleben zu lassen".
c) Das FG hat nicht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. In dem Ausschluss materiell-rechtlicher Gründe gegen die Steuerfestsetzung in einem folgenden Erlassverfahren liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Nach ständiger Rechtsprechung sind bestandskräftig festgesetzte Steuern nur dann im Billigkeitsverfahren zu erlassen, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht zuzumuten war, sich hiergegen in dem dafür vorgesehenen Festsetzungsverfahren rechtzeitig zu wehren (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9. Oktober 2008 V R 45/06, BFH/NV 2009, 39).
d) Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, mit Rücksicht auf eine vom BFH-Urteil vom 17. März 1987 VII R 26/84 (BFH/NV 1987, 620, m.w.N.) abweichende Entscheidung des Hessischen FG vom 27. September 1995 11 K 1688/90 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1995, 1091) sei die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Denn das Hessische FG verweist ausdrücklich darauf, dass der von ihm zu entscheidende Sachverhalt sich von dem des BFH in einem wesentlichen Punkt unterscheide. Nach der Entscheidung des BFH sei das FA "in der Regel" nicht zu einer erneuten Sachprüfung verpflichtet, wenn der Steuerpflichtige zur Begründung seines erneuten Antrags lediglich frühere, bei der bestandskräftigen Ablehnung seines vorausgehenden Billigkeitserlasses bereits gewürdigte Gründe geltend mache. Davon zu unterscheiden sei der Fall, dass Billigkeitsgründe unter Hinweis auf die Fristversäumnis in der vorausgehenden Ablehnungsentscheidung nicht gewürdigt worden seien.
e) Nicht zugelassen werden kann die Revision zur Klärung der Rechtsfrage nach dem Verhältnis von Billigkeitsgründen im Verfahren nach § 227 AO, wenn zuvor über dieselben Rechtsfragen bereits in einem Verfahren wegen abweichender Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO gestritten worden ist und dieses Verfahren nicht durch Urteil, sondern nach übereinstimmender Erledigungserklärung durch Kostenbeschluss nach § 138 FGO beendet wurde. Denn diese Rechtsfrage wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärbar, da das FG die Klageabweisung auf zwei selbständig tragende Begründungselemente gestützt hat und hinsichtlich der einen Begründung (kein Billigkeitserlass bei bestandskräftig gewordener Steuerfestsetzung, wenn zumutbare Rechtsschutzmöglichkeiten versäumt wurden) keine Zulassungsgründe vorgetragen worden sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2008 V B 228/07, BFH/NV 2009, 620, m.w.N.).
f) Soweit sich der Kläger --ohne einen Zulassungsgrund zu nennen-- im Stil einer Revisionsbegründung gegen die Richtigkeit der Vorentscheidung wendet, kann dies nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2005, 1585, unter 2. a; vom 28. Juni 2006 V B 148/05, BFH/NV 2006, 2096). Es liegt auch kein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) vor.
2. Das FG hat nicht unter Verstoß gegen § 96 FGO verfahrensfehlerhaft das Vorliegen einer zum Billigkeitserlass führenden Amtspflichtverletzung des FA verneint. Das FG ist nach seinem maßgeblichen Rechtsstandpunkt unter Berufung auf den BFH-Beschluss vom 4. November 2004 I B 43/04 (BFH/NV 2005, 707) davon ausgegangen, dass ein Billigkeitserlass dann in Betracht zu ziehen sei, wenn ein Fehlverhalten der Behörde vorliege, das ohne ein hinzutretendes Fehlverhalten des Steuerpflichtigen zu einer überhöhten Steuerfestsetzung führe und hat bereits ein Fehlverhalten des FA verneint. Eine ordnungsgemäß erhobene Verfahrensrüge würde voraussetzen, dass der Beschwerdeführer darlegt,
aus welchen Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachverhaltsaufklärung oder Beweiserhebung auch ohne entsprechenden Antrag aufgedrängt hat,
warum er --obwohl er durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war-- nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat und
inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.
Abgesehen davon, dass der Kläger nicht konkret benennt, welchen gestellten Beweisanträgen das FG nicht nachgegangen ist (die Beschwerdeschrift rügt nur die Nichtverfolgung der "entsprechenden" Beweise dafür, dass "Einlagen in den Geschäftsbetrieb" einen "einheitlichen nicht steuerbaren Vorgang" darstellten), wäre dies nach der für die Beurteilung eines Verfahrensfehlers maßgeblichen Rechtsauffassung des FG unerheblich, denn die maßgebliche Ursache für den Eintritt der Bestandskraft lag in der fehlerhaften Antragstellung des Klägers, so dass die überhöhte Steuerfestsetzung gerade nicht ohne ein hinzutretendes Fehlverhalten des Steuerpflichtigen eingetreten ist.
Fundstellen