Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung gegen Pfändungs- und Einziehungsverfügung - Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrunds
Leitsatz (NV)
Bei der Beurteilung, ob die Vollstreckung im Einzelfall unbillig und Vollstreckungsmaßnahmen deshalb einstweilen einzustellen, zu beschränken oder aufzuheben sind (§ 258 AO 1977), ist zu beachten, daß nur vorübergehende Umstände, die die Vollstreckung unbillig erscheinen lassen, derartige Maßnahmen rechtfertigen.
Umstände, die zu einer dauerhaften Einstellung der Vollstreckung Anlaß geben, können bei der Anwendung des § 258 AO 1977 nicht berücksichtigt werden. Diese Vorschrift sieht eine Unterbindung der Vollstreckung auf Dauer nicht vor.
Normenkette
FGO § 114; AO 1977 § 258
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) betreibt die Zwangsvollstreckung gegen den Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) wegen bestandskräftig festgesetzter Einkommensteuer 1981 bis 1984 in Höhe von ca. 60 000 DM. Durch Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 17. Dezember 1987 pfändete das FA die Ansprüche, Forderungen und Rechte des Beschwerdeführers gegenüber der Stadtsparkasse R. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Klage vor dem Finanzgericht (FG). Gleichzeitig beantragte er, im Wege der einstweiligen Anordnung die Zwangsvollstreckung aus dieser Verfügung einstweilen einzustellen bzw. die Vollstreckung zu beschränken bzw. die Vollstreckung aufzuheben.
Das FG wies den Antrag ab. Der Beschwerdeführer habe keinen Anordnungsanspruch i. S. von § 114 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen der Vollstreckung seien zweifelsfrei gegeben. Die Einwendungen des Beschwerdeführers gegen die Steuerfestsetzungen könnten im Anordnungsverfahren nicht berücksichtigt werden (§ 256 der Abgabenordnung - AO 1977 -).
Mit seiner Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, macht der Beschwerdeführer geltend: Das FG habe die Frage der Billigkeit der Zwangsvollstreckung nicht geprüft. Die Pfändungsverfügung habe ihn in äußerste finanzielle Schwierigkeiten gebracht. Er selbst sei weit über 70 Jahre alt und krank. Da zudem auch die Situation der der Zwangsvollstreckung zugrundeliegenden Steuerfestsetzungen ungeklärt sei, sei eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO 1977 geboten. Im übrigen bringt der Beschwerdeführer Einwendungen gegen die Steuerfestsetzungen selbst vor.
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG aufzuheben und die Zwangsvollstreckung aus der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 17. Dezember 1987 einstweilen einzustellen oder die Vollstreckung zu beschränken oder die Vollstreckungsmaßnahme aufzuheben.
Das FA beantragt, der Beschwerde nicht abzuhelfen. Es ist der Auffassung, der Beschwerdeführer habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht und die Zwangsvollstreckung sei nicht i. S. von § 258 AO 1977 unbillig.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Dem Antrag des Beschwerdeführers auf einstweilige Anordnung kann nicht entsprochen werden, weil es im Streitfall sowohl an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs als Voraussetzung für eine einstweilige Anordnung nach § 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) als auch an einem Anordnungsgrund i. S. von § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO fehlt.
Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, eine Vollstreckung aus den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheiden sei unbillig und ein Anordnungsanspruch ergebe sich deshalb aus § 258 AO 1977. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob er zu einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO 1977 durch eine einstweilige Anordnung überhaupt befugt ist, obwohl diese Vorschrift die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in das Ermessen der Vollstreckungsbehörde stellt. Die Entscheidung dieser Frage erübrigt sich deshalb, weil der Beschwerdeführer einen auf § 258 AO 1977 gestützten Anordnungsanspruch als Voraussetzung einer einstweiligen Anordnung nicht glaubhaft gemacht hat.
Zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. Beschlüsse vom 29. November 1984 V B 44/84, BFHE 142, 418, BStBl II 1985, 194; vom 18. März 1986 VII B 115/85, BFH/NV 1986, 479, 480) erforderlich, daß zunächst der Anordnungsanspruch schlüssig dargelegt wird und daß außerdem die Tatsachen, die für die Entscheidung erheblich sind, durch präsente Beweismittel in dem für die Glaubhaftmachung erforderlichen Maße (dazu Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 46. Aufl., § 294 Anm. 1 A, mit weiteren Hinweisen) nachgewiesen werden. Im Streitfall fehlt es schon an der erforderlichen Darlegung eines auf § 258 AO 1977 gestützten Anordnungsanspruchs.
Den Ausführungen des Beschwerdeführers ist zu entnehmen, daß er einen Anordnungsanspruch aufgrund des § 258 AO 1977 insbesondere deshalb für gegeben hält, weil er gegen die der Zwangsvollstreckung zugrundeliegenden Steuerbescheide Einwendungen erhoben hat. Dazu ergibt sich aus § 256 AO 1977, daß Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des zu vollstreckenden Verwaltungsakts bei der Entscheidung über die einstweilige Einstellung nicht zu berücksichtigen sind. Danach ist also für die Beurteilung der Frage, ob die Vollstreckung aus den Steuerbescheiden einstweilen einzustellen ist, ohne Bedeutung, ob die Zurechnung von verdeckten Gewinnausschüttungen, gegen die sich der Beschwerdeführer wendet, zu Recht erfolgt ist. Dieser Einwand des Beschwerdeführers könnte allenfalls bei einer Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung der Steuerbescheide berücksichtigt werden.
Weiterhin ist bei der Anwendung des § 258 AO 1977 zu beachten, daß Maßnahmen nach dieser Vorschrift nur in Betracht kommen, wenn vorübergehend Umstände vorliegen, die eine Vollstreckung unbillig erscheinen lassen (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. April 1975 VII C 15.73, BStBl II 1975, 679, 684; Beschluß in BFH/NV 1986, 479, 480). Umstände, die zu einer dauerhaften Einstellung der Vollstreckung Anlaß geben, können bei der Anwendung des § 258 AO 1977 nicht berücksichtigt werden, denn in dieser Vorschrift ist eine Unterbindung der Vollstreckung auf Dauer nicht vorgesehen. Der Behauptung des Beschwerdeführers, er sei durch die Vollstreckung aus den Steuerbescheiden in eine äußerst schwierige finanzielle Lage geraten, kann nicht entnommen werden, daß die Gefahr nur vorübergehend ist und daß durch eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung die Gefährdung beseitigt wird. Das gleiche gilt auch für den Hinweis des Beschwerdeführers auf sein hohes Alter und seine schweren Erkrankungen.
Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 114 Abs. 1 FGO setzt neben dem Anordnungsanspruch auch einen Anordnungsgrund voraus. Dabei ist zu beachten, daß die in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO genannten Gründe Maßstäbe für die Beurteilung der Frage setzen, ob ein Anordnungsgrund vorliegt (BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 1986 VIII B 42/86, BFH/NV 1987, 39, und vom 30. Juli 1986 V B 31/86, BFH/NV 1987, 42). Danach kommt eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen bedroht ist (BFH-Beschlüsse vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492, und vom 17. Januar 1985 IV B 106/84, BFH/NV 1986, 219). In jedem Fall müssen die den Anordnungsgrund rechtfertigenden Umstände über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten sind.
Derartige Gründe sind im Streitfall nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer hat nicht glaubhaft gemacht, daß die Vollstreckung wegen der fraglichen Steuerbeträge von insgesamt ca. 60 000 DM der Existenzvernichtung vergleichbare Nachteile für ihn bringt. Darüber hinaus stehen dem Beschwerdeführer gegen die vom FA vorgenommenen einzelnen Vollstreckungshandlungen ausreichende Rechtsbehelfe (Beschwerde, Aussetzung der Vollziehung) zu, mit denen er einer Zahlung der streitigen Beträge im Vollstreckungswege entgegentreten kann.
Fundstellen
Haufe-Index 416037 |
BFH/NV 1989, 284 |