Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzlicher Richter bei Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit; Gerichtskosten und beschränkte Erbenhaftung
Leitsatz (NV)
1. Verweist das angerufene FG den Rechtsstreit wegen örtlicher Unzuständigkeit formell ordnungsgemäß und auch der Sache nicht willkürlich an das zuständige FG, so wird dieses mit Eingang der Akten gesetzlicher Richter und bleibt es wegen der Bindungswirkung der Verweisung auch, wenn sich später infolge einer Klarstellung des klägerischen Begehrens ergibt, dass doch das ursprünglich angerufene FG örtlich zuständig gewesen wäre.
2. Ein in den Finanzprozess des Erblassers eingetretener Erbe kann sich hinsichtlich der ihm auferlegten und zur Vollstreckung anstehenden Gerichtskosten (hier: Bundesland NRW) nur dann mit Erfolg auf seine beschränkte Erbenhaftung berufen, wenn sie ihm in der Kostenentscheidung des betreffenden Verfahrens vorbehalten worden ist.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; FGO § 70 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 1; GVG § 17 Abs. 2 S. 1, § 17a Abs. 2; ZPO §§ 767, 780-781; BGB § 1967 Abs. 2, § 1990; GKG § 5 Abs. 1 S. 1; JBeitrO § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 29.06.2005; Aktenzeichen 7 K 3792/03 AO) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) führte als gerichtlich bestellter Betreuer für seinen Vater mehrere Steuerprozesse vor dem Finanzgericht (FG), die er nach dessen Ableben als Rechtsnachfolger aufnahm. In den klageabweisenden Urteilen des FG wurden dem Kläger die Kosten auferlegt. Wegen rückständiger Gerichtskosten aus diesen Verfahren beauftragte die zuständige Gerichtskasse, die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Beklagte), das Finanzamt X (FA X) am Wohnsitz des Klägers mit der Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen. Dieses nahm daraufhin verschiedene Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger vor (Beauftragung des Vollziehungsbeamten, Pfändungs- und Einziehungsverfügungen sowie Aufforderung zur Vorlage des Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung). Der Einspruch gegen die zuletzt genannte Maßnahme blieb ohne Erfolg. Daraufhin erhob der Kläger Klage vor dem FG X gegen das FA X und gegen die Beklagte wegen "Vollstreckungsschutz des Erben aus § 8 Abs. 2 der Justizbeitreibungsordnung (JBeitrO) i.V.m. § 780 der Zivilprozessordnung (ZPO)". Mit der Klage begehrte der Kläger die Aufhebung der Einspruchsentscheidung samt der darin bezeichneten Verwaltungsakte sowie die Einstellung der Vollstreckungstätigkeit bei der Beklagten sowie die Aufhebung der Kontenpfändung.
Das angerufene FG X erfasste die Klage gegen die Beklagte als selbständiges Verfahren und verwies dieses an das FG, da Einwendungen gegen die Gerichtskosten gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 JBeitrO nach den Vorschriften über Erinnerungen gegen den Gerichtskostenansatz geltend zu machen seien, und zwar nach § 5 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes a.F. (GKG) bei dem Gericht, bei dem die Kosten angesetzt worden seien. Nachdem der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass die Durchführung eines Verfahrens nach § 5 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F. nicht von ihm betrieben werde, das Verfahren vielmehr als Vollstreckungsverfahren anzusehen sei, ist das zunächst beim 8. Senat des FG als Kostenerinnerung registrierte Verfahren gelöscht worden und das vorliegende Verfahren wegen Vollstreckungsschutz bei dem für Vollstreckungssachen zuständigen 7. Senat des FG aufgenommen worden.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Der Kläger könne sich nicht auf die Vorschriften der beschränkten Erbenhaftung berufen, da die Zwangsvollstreckung wegen der Gerichtskosten nicht gegen einen Erben des Vollstreckungsschuldners betrieben werde. Vielmehr sei der Kläger selbst originärer Schuldner dieser Kosten und damit Vollstreckungsschuldner, weil die Gerichtskosten in den zugrunde liegenden Verfahren, die der Kläger nach dem Tod seines Vaters aufgenommen habe, dem Kläger selbst als der unterliegenden Prozesspartei auferlegt worden seien. Einwendungen gegen die Gerichtskosten könne der Kläger daher nicht mit der Vollstreckungsabwehrklage, sondern nur mit der Kostenerinnerung gemäß § 8 Abs. 1 JBeitrO, § 5 GKG geltend machen. Ein solches Verfahren wolle der Kläger aber nach seinem ausdrücklichen Bekunden nicht betreiben. Soweit der Kläger mit seiner Klage die Aufhebung einzelner gegen ihn durchgeführter Zwangsvollstreckungsmaßnahmen begehre, richte sich die Klage gegen den falschen Beklagten. Richtiger Gegner sei insoweit das FA X am Wohnsitz des Klägers.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers. Er ist der Auffassung, das Eingreifen des Bundesfinanzhofs als Revisionsinstanz sei unaufschiebbar und zur Rechtsvereinheitlichung wie zur Rechtsfortbildung in finanzgerichtlichen Kostensachen geboten. Die Beschwerde beruhe auf der "Verletzung überragenden Rechts, hier einerseits durch Verletzung des Grundgesetzes, andererseits wegen der Verletzung der Europäischen Konvention" für Menschenrechte.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg, da keiner der in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abschließend aufgeführten Gründe für die Zulassung der Revision in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt worden ist bzw. vorliegt.
1. Die Beschwerde formuliert keine abstrakte klärungsbedürftige und in einem künftigen Revisionsverfahren auch klärungsfähige Rechtsfrage, so wie es für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) erforderlich gewesen wäre. Damit ist auch der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) nicht gegeben. Auch zum Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) enthält die Beschwerde nichts Greifbares. Stattdessen wendet sich die Beschwerde gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG, was jedoch zur Zulassung der Revision nicht führen kann, denn evtl. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich gesehen nicht die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2003 VII B 130/03, BFH/NV 2004, 215, m.w.N.).
2. Soweit der Kläger als Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend macht, das FG habe ihn seinem gesetzlichen Richter entzogen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes, § 119 Nr. 1 FGO), kann der Senat es dahinstehen lassen, ob dieser Verfahrensmangel, weil es an einer Auseinandersetzung des Klägers mit der Argumentation des FG weitgehend fehlt, schlüssig dargelegt worden ist; er liegt jedenfalls nicht vor.
Gesetzlicher Richter im Streitfall war zunächst das FG X, bei dem der Kläger seine Klage gegen das FA X und gegen die Beklagte erhoben hatte. Nach Abtrennung des Verfahrens gegen die Beklagte und Verweisung desselben an das FG gemäß § 70 FGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) ist das Verfahren nach § 17b Abs. 1 GVG mit Eingang der Akten dort rechtshängig und das FG damit gesetzlicher Richter geworden.
Die Verweisung ist ordnungsgemäß nach Anhörung der Beteiligten (§ 17a Abs. 2 Satz 1 GVG) erfolgt, wobei der Kläger keinen Widerspruch erhob, und war auch der Sache nach nicht willkürlich. Das verweisende Gericht ging nämlich auf Grund der Vielzahl der vom Kläger erhobenen Einwände und Klagebegehren gegen beide von ihm verklagten Beteiligten, die teilweise im Widerspruch zu dem vom Kläger genannten Klagegrund ("Vollstreckungsschutz des Erben aus § 8 Abs. 2 JBeitrO i.V.m. § 780 ZPO") standen, nach den gesamten Umständen in vertretbarer Weise davon aus, dass der Kläger gerade gegen die beklagte Gerichtskasse Einwendungen gegen den Ansatz und die Höhe der Gerichtskosten sowie insbesondere gegen die Verpflichtung zur diesbezüglichen Duldung der Vollstreckung erheben wollte, welche gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 4 JBeitrO und § 2 des nordrhein-
westfälischen Landesgesetzes über die Kosten im Bereich der Justizverwaltung (JVKostGNW) vom 20. Juni 1995 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen 1995, 612) nach den Vorschriften über Erinnerungen gegen den Kostenansatz geltend zu machen sind, mithin also bei dem Gericht, bei dem die streitigen Gerichtskosten angesetzt worden sind (§ 5 Abs. 1 Satz 1 GKG in der für den Streitfall maßgeblichen Fassung). Das war das FG. Infolge des unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses (§ 70 Satz 2 FGO) ist die Verweisung für das FG hinsichtlich seiner örtlichen Zuständigkeit bindend geworden (§ 70 Satz 1 FGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG); es hatte nunmehr den Fall unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten nach Maßgabe des § 70 Satz 1 FGO i.V.m. § 17 Abs. 2 GVG zu entscheiden.
Zutreffend wurde das Verfahren "als Erinnerung gegen den Kostenansatz" zunächst dem gerichtsintern für Kostensachen zuständigen 8. Senat des FG zugewiesen. Erst als der Kläger deutlich machte, dass er kein Verfahren über die Gerichtskosten führen, sondern der Vollstreckung der Gerichtskosten die beschränkte Erbenhaftung gemäß §§ 780, 781 ZPO i.V.m. § 1990 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) im Wege einer Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) entgegenhalten wolle (s. dazu Oberlandesgericht --OLG-- München, Beschluss vom 12. Mai 1993 11 W 1407/93, juris), wurde das Verfahren an den für Vollstreckungssachen zuständigen 7. Senat des FG abgegeben, der vorliegend auch das Urteil gefällt hat. Zwar sieht § 8 Abs. 2 Satz 2 JBeitrO für solche Klagen die örtliche Zuständigkeit des Gerichts vor, in dessen Bezirk die Vollstreckung stattgefunden hat, im Streitfall mithin des FG X. Eine (Zurück-)Verweisung an das FG X kam aber wegen der hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit eingetretenen Bindungswirkung (§ 70 Satz 1 FGO i.V.m. § 17 Abs. 2 GVG) nicht mehr in Betracht. Entgegen der Auffassung des Klägers hat damit der gesetzliche Richter über seine Klage entschieden.
3. Die Klageabweisung durch das FG ist auch der Sache nach nicht zu beanstanden. Der Senat kann zwar offenlassen, ob er dem FG in der Abweisung der Klage als unzulässig, weil die "vom Kläger ausdrücklich gewählte Verfahrensart der Klage nicht zulässig sei", folgen könnte, denn jedenfalls wäre die Klage als unbegründet abzuweisen gewesen, weil die Voraussetzungen der beschränkten Erbenhaftung in der Person des Klägers nicht vorliegen. Nach der für die Vollstreckung von bei Finanzgerichten des Landes Nordrhein-Westfalen entstandenen Gerichtskosten maßgeblichen Regelung des § 2 JVKostGNW i.V.m. § 8 Abs. 2 JBeitrO und § 780 Abs. 1 ZPO kann ein als Erbe des Schuldners verurteilter Beteiligter die Beschränkung seiner Haftung nur geltend machen, wenn sie ihm im Urteil vorbehalten worden ist. Dies entspricht der zivilgerichtlichen Rechtsprechung, wonach in dem Fall, dass der Erbe der Prozesspartei als Kostenschuldner gegen den Gerichtskostenansatz die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses gemäß § 1990 BGB erhebt, diese nur beachtlich ist, wenn sie bereits in der Kostengrundentscheidung im Hauptsacheverfahren berücksichtigt worden ist (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. Januar 2004 XI ZR 35/01, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 28. Juni 1996 14 W 355/96, Neue Juristische Wochenschrift ‐ Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 1997, 1160).
Im Streitfall war in den entsprechenden Kostenentscheidungen der zugrunde liegenden Verfahren beim FG die Beschränkung der Erbenhaftung nicht vorbehalten. Das FG hat im Gegenteil ausgeführt, dass in den betreffenden Verfahren die Gerichtskosten dem Kläger selbst als der unterliegenden Prozesspartei auferlegt worden sind, dieser somit selbst originärer Schuldner der zu vollstreckenden Gerichtskosten geworden ist. In Anbetracht dieser Sachlage handelt es sich bei diesen Gerichtskosten also nicht um Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 Abs. 2 BGB), die der Kläger von seinem verstorbenen Vater geerbt hätte, sondern um Kosten eigener Prozessführung, die der Kläger, obschon als Erbe in die anhängigen Verfahren eingetreten, als Prozesspartei selbst zu tragen hat (OLG München, a.a.O.). Der Senat hat sich vergewissert, dass für das FG in den zugrunde liegenden Verfahren nach dem Tod des Vaters des Klägers auch kein Anlass zu einer Kostentrennung in Nachlassverbindlichkeiten und Eigenschulden bestand, da im Zeitpunkt der Aufnahme der unterbrochenen Verfahren (§ 239 ZPO) durch den Kläger noch keine Gerichtskosten angefallen waren, worauf das FG den Kläger vor der Aufnahme der betreffenden Verfahren auch jeweils ausdrücklich hingewiesen hatte. Die Berufung des Klägers auf eine beschränkte Erbenhaftung geht mithin fehl.
Fundstellen