Leitsatz (amtlich)
Im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung, das auf einen ermessensgebundenen Verwaltungsakt bezogen ist, darf das Gericht der Hauptsache ebenso wie der Bundesfinanzhof als Beschwerdegericht im Hinblick auf die Ermessensausübung durch die Verwaltungsbehörde nur prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3 S. 1, § 102
Gründe
Das für die Aussetzung der Vollziehung als Gericht der Hauptsache zuständige Gericht und der BFH als Beschwerdegericht haben den angefochtenen Verwaltungsakt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen, bis feststeht, ob gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit sprechen, die nicht durch für die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe ausgeräumt werden können. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos.
Die Aussetzung der Vollziehung kommt nicht in Betracht, wenn nicht ernstlich zweifelhaft ist, daß der angefochtene Verwaltungsakt unanfechtbar geworden oder über ihn rechtskräftig entschieden worden ist; in einem solchen Falle ist eine sachliche Prüfung des Verwaltungsaktes nicht mehr möglich (vgl. Beschluß des BFH vom 5. Februar 1975 II B 29/74, BFHE 115, 12, BStBl II 1975, 465). Andererseits ist der Prüfungsumfang im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung für den BFH als Beschwerdegericht (vgl. Beschlüsse des BFH vom 6. August 1970 IV B 13/69, BFHE 100, 17, BStBl II 1970, 786, und vom 31. Oktober 1973 II S 9/73, BFHE 110, 435, BStBl II 1974, 59) oder als Gericht der Hauptsache (Beschluß des BFH vom 25. Januar 1966 VII S 2/66, BFHE 84, 479, BStBl III 1966, 174) beschränkt, nachdem das FG die Klage des Steuerpflichtigen ganz oder zum Teil abgewiesen und der Steuerpflichtige dagegen Revision eingelegt hat (vgl. Beschluß des BFH vom 21. November 1973 I S 8/73, BFHE 110, 498, BStBl II 1974, 114).
Der Prüfungsumfang ist im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung auch dann beschränkt, wenn die dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegende Regelung ermessensgebunden ist; denn die Prüfungsbefugnis im Aussetzungsverfahren kann nicht weiter reichen als im Verfahren der Hauptsache (BFH-Beschluß I S 8/73). In einem solchen Fall darf das Tatsachengericht nur prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (vgl. § 102 FGO); dabei sind der Nachprüfung des Ermessens nur die Tatsachen zugrunde zu legen, welche im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung - also der Beschwerdeentscheidung der OFD - gegeben waren (Urteil des BFH vom 10. Mai 1972 II 57/64, BFHE 105, 458, BStBl II 1972, 649); maßgebend ist die zur Zeit der Ermessensentscheidung bestehende Sach- und Rechtslage (Urteil des BFH vom 26. Juli 1972 I R 158/71, BFHE 106, 489, BStBl II 1972, 919). Dies gilt auch für Verwaltungsakte, die einen Eingriff in die Rechtssphäre des Staatsbürgers bewirken. Die Rechtmäßigkeit eines ermessensgebundenen Eingriffsaktes hängt nicht nur vom Bestehen der gesetzlichen Voraussetzungen für den Eingriff ab, sondern auch davon, ob die Behörde alle für die Ermessensentscheidung wesentlichen Tatsachen berücksichtigt hat, ob die von ihr berücksichtigten Tatsachen für die Entscheidung erheblich sind und die Ausübung des Ermessens im Hinblick auf die festgestellten Tatsachen rechtsfehlerfrei ist.
Fundstellen
BStBl II 1976, 628 |
BFHE 1977, 232 |
NJW 1976, 1864 |