Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Als Grund für die Anordnung des Gerichts, gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO einen Bevollmächtigten zu bestellen, kann neben Umfang und Schwierigkeit des Rechtsstreits auch eine schwere und nachhaltige Erkrankung des Stpfl. Anlaß bieten, sofern dadurch die Gefahr besteht, daß der Rechtsstreit nicht einwandfrei und sachgerecht abgewickelt werden kann.
FGO § 62 Abs. 1 Satz 2.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 1
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Stpfl.), eine aus zwei Brüdern bestehende OHG, betreibt vor dem BFH verschiedene Revisionen, deren Ausgangspunkt die einheitlichen Gewinnfeststellungen der Jahre 1953 bis 1958 sind. Es handelt sich um eine umfangreiche Punktensache mit schwierigen Streitfragen auf rechtlichem und tatsächlichem Gebiet. Die beim Finanzgericht (FG) und beim BFH gewechselten Schriftsätze füllen mehrere Bände. Daneben sind in Streit die Gewerbesteuern dieser Jahre, die Einheitswerte des Betriebsvermögens zu verschiedenen Zeitpunkten, sowie die Ablehnung eines Mitgliedes des FG wegen Besorgnis der Befangenheit. Die Streitwerte betragen nach den Feststellungen des FG über 180.000 DM.
Für die Stpfl. führt ein Gesellschafter den Schriftwechsel. In den von dem Gesellschafter unterzeichneten Schriftsätzen der Stpfl. weist diese wiederholt darauf hin, daß die Gesundheit dieses Gesellschafters seit vielen Jahren zunehmend schlechter werde. So heißt es z. B. im Schriftsatz vom 15. November 1961: "Wie bekannt, ist unser allein sachbearbeitender Herr ... durch Kriegs- und Unfallverletzungen sehr schwer geschädigt und sind negative Überraschungen in gesundheitlicher Beziehung, wie die Erfahrung lehrte, zu jedem Zeitpunkt gegeben"; im Schriftsatz vom 14. Februar 1962: "... schon im Hinblick auf die angegriffene Gesundheit unseres allein sachbearbeitenden Herrn ..."; im Schriftsatz vom 18. April 1962: "... unser allein sachbearbeitender Herr ... durch seine Kriegsverletzungen, Folgeleiden und diejenigen aus dem schweren Verkehrsunfall in seiner Gesundheit so schwerwiegend geschädigt ist ..."; im Schriftsatz vom 7. Mai 1962: " ... wären erfreut, wenn Sie diesem unserem Vorschlag zustimmen würden und bitten, ihn aus der besonderen gesundheitlichen Lage unseres Herrn ... zu verstehen". Im Schriftsatz vom 4. Dezember 1962 (persönliches Schreiben von Herrn ...): "... ärztlicherseits darauf gedrungen wird, daß ich ohnehin meine geschäftliche Tätigkeit in absehbarer Zeit beenden soll ... bei meinem so sehr bedenklichen Gesundheitszustand ..."; im Schriftsatz vom 28. Januar 1963: "... unser allein sachbearbeitender Herr ... durch diese beiden Verhandlungstage so überfordert wurde, daß ihm gegenwärtig bis zum Antritt seines Kuraufenthaltes jede weitere Belastung erspart werden muß"; im Schriftsatz vom 22. August 1963: "... infolge des bekannten außergewöhnlich schlechten Gesundheitszustandes unseres Herrn ... wir uns schon seit längerer Zeit mit dem Gedanken vertraut gemacht, das Unternehmen zu verkaufen ..."; im Schriftsatz vom 9. Oktober 1963: "Wenn nicht schwerwiegende gesundheitliche Gründe unseren sachbearbeitenden Herrn ... hindern, wird er zur mündlichen Verhandlung erscheinen ..."; im Schriftsatz vom 4. November 1963: "Abgesehen davon, daß unser Herr ... aus gesundheitlichen Gründen vorerst an keinem weiteren mündlichen Termin teilnehmen könnte, werden wir ..."; im Schriftsatz vom 18. Februar 1964: "In Anbetracht des aktenkundigen äußerst gefährdeten Gesundheitszustandes unseres allein sachbearbeitenden Herrn ...". In einem ärztlichen Attest vom 5. Dezember 1963 ist bei der Schilderung der Folgen eines Kfz-Unfalles die Rede von "schwere cerebrale Durchblutungsstörung", "unmittelbare Lebensgefährdung", Krämpfe der Hirnarterien", "schwerer Kollaps". Der Arzt fügt hinzu "Ärztlicherseits ist Ihnen dringend anzuraten, nicht ohne Begleitung Auto zu fahren". Weiter wurden dem Senat zwei Arztgutachten vom 24. Juli 1964 und 8. Oktober 1964 vorgelegt, davon eines "zur Vorlage beim Gericht" bestimmt, in welchem Herrn ... Epilepsie-Anfälle bestätigt werden. In den Bescheinigungen wird gesprochen von "Zungenbiss, Schaum vor dem Mund, schwerwiegende traumatische Hirnleistungsschwäche mit erhöhter cerebraler Anfallbereitschaft".
Entscheidungsgründe
Nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das Gericht anordnen, daß ein Bevollmächtigter bestellt wird. Eine solche Anordnung ist angebracht, wenn bei rechtlicher und (oder) tatsächlicher Schwierigkeit des Rechtsstreits voraussichtlich der Beteiligte selbst die Streitsache nicht so vertreten kann, daß eine einwandfreie und sachgerechte Abwicklung des Prozeßverfahrens gewährleistet ist. Bei dem Umfang des anhängigen Verfahrens ist möglich, daß die von der Stpfl. beantragte mündliche Verhandlung sich über mehr als einen Tag hinzieht. Bei den Angaben über den schlechten Gesundheitszustand des Herrn ... und auf Grund der vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen ist anzunehmen, daß Herr ..., der allein für die Stpfl. auftritt, den Belastungen der mündlichen Verhandlung nicht gewachsen ist, um so mehr, als die Behandlung des umfangreichen und schwierigen Streitstoffs von allen Beteiligten intensive Vorbereitung und erhebliche Konzentration und Nervenanspannung erfordert.
Der Senat hat der Stpfl. Gelegenheit gegeben, zu der Anordnung nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO Stellung zu nehmen und angeregt, daß die Stpfl. von sich aus einen Bevollmächtigten bestellt, wobei auf die Absätze 2 und 3 des § 62 FGO hingewiesen wurde. Die Stpfl. hat das abgelehnt und ausgeführt, es handele sich bei ... um eine leichtere Art der Epilepsie; seinem "außergewöhnlich guten gesundheitlichen Erbgut", gepaart mit einem unbeugsamen Willen sich dennoch zu behaupten", habe ... es zu verdanken, daß er 68 Jahre alt sei und "mit Ausnahme seiner zwingenden Krankenhausaufenthalte bis heute im Innen- und Außendienst voll tätig ist". Diese von der bisherigen und ständigen Schilderung abweichende Darstellung gibt dem Senat keinen Anlaß, die Anordnung nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht als für die Weiterbehandlung der Sache notwendig anzusehen.
Fundstellen
Haufe-Index 412514 |
BStBl III 1967, 258 |
BFHE 88, 24 |