Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB im Wiederaufnahmeverfahren; Prozeßfähigkeit; Grundsätzliche Bedeutung; Urkunde i.S. von § 580 Nr. 7b ZPO; Klärungsfähigkeit; Mehrfach begründete Entscheidung; Divergenz; Keine entsprechende Anwendung des § 641i ZPO im finanzgerichtlichen Verfahren
Leitsatz (NV)
- Die Prozeßfähigkeit eines Beteiligten ist als Sachentscheidungsvoraussetzung und zugleich Prozeßhandlungsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens ―auch in der Revisionsinstanz― von Amts wegen zu prüfen.
- Die wegen fehlender einheitlicher Beantwortung einer Rechtsfrage in der höchstrichterlichen Rechtsprechung behauptete grundsätzliche Bedeutung, ob eine durch Attest bestätigte Krankheit die Fähigkeit vor Gericht zu stehen, aufhebe, fehlt, wenn sich die Frage in dem Wiederaufnahmeverfahren vor dem FG gar nicht gestellt hatte.
- Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung und im Schrifttum wird die Frage, ob eine nachträglich, nach der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz, erstellte private Urkunde ―hier ein privatärztliches Attest― die Voraussetzungen des § 580 Nr. 7b ZPO erfüllt, im Grundsatz verneint.
- Eine Frage ist in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, wenn der Kläger mit der Wiederaufnahmeklage einen derartigen Wiederaufnahmegrund vor dem FG nicht schlüssig gerügt hatte.
- Die Nichtanwendbarkeit des besonderen Wiederaufnahmegrundes aus § 641i ZPO im finanzgerichtlichen Verfahren ergibt sich ohne weiteres aus dem Wortlaut sowie aus Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Im Steuerprozeß geht es allein um die Frage, ob im Zusammenhang mit dem Statusverfahren angefallene Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind, nicht aber um die von dieser Vorschrift angesprochene Abstammungsfrage selbst.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, Abs. 3 S. 3, §§ 134, 155; ZPO § 579 Abs. 1 Nr. 4, § 580 Nr. 7b, §§ 582, 591, 641i
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie war deshalb durch Beschluß zu verwerfen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Das Rechtsmittel der Beschwerde gegen das die Revision nicht zulassende Urteil des Finanzgerichts (FG), mit dem dieses die Wiederaufnahmeklage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) abgewiesen hat, ist statthaft (§ 591 der Zivilprozeßordnung ―ZPO― i.V.m. § 134 FGO).
2. Die Prozeßfähigkeit einer Partei ist als Sachentscheidungsvoraussetzung und zugleich Prozeßhandlungsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens ―auch in der Revisionsinstanz― von Amts wegen zu prüfen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 3. Dezember 1971 III R 44/68, BFHE 105, 230, BStBl II 1972, 541 unter Ziff. 1 der Gründe).
Die Beschwerde behauptet jedoch selber nicht, der Kläger sei während des Wiederaufnahmeverfahrens (noch) zumindest partiell prozeßunfähig gewesen. Hierfür ist im übrigen auch den Akten kein greifbarer Anhaltspunkt zu entnehmen. Insbesondere gibt das am 8. Mai 1998 erstellte Attest des Herrn Dr. X, wonach der Kläger bei ihm im Jahr 1992 ständig in ambulanter Behandlung und vom 10. Juli bis 13. Juli 1992 sowie am 11. November 1998 und danach krank gewesen sei, zu derartigen Zweifeln, denen der Senat im Wege eigener Tatsachenfeststellungen nachzugehen gehalten wäre, keinen Anlaß.
3. Die Beschwerde legt im übrigen keine Zulassungsgründe entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dar (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).
a) aa) Die Beschwerde behauptet, der Frage, ob eine durch Attest bestätigte Krankheit die Fähigkeit, vor Gericht zu stehen, aufhebe, sei höchstrichterlich nicht einheitlich geklärt. Deshalb komme ihr grundsätzliche Bedeutung zu, weil sich derartige Fragen in finanzgerichtlichen Prozessen, in denen Steuerpflichtige ohne Prozeßvertreter persönlich aufträten, immer wieder stellten.
Die von der Beschwerde mit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage der Prozeßfähigkeit des Klägers hat sich indes im Wiederaufnahmeverfahren vor dem FG gar nicht gestellt. Vielmehr hat der Kläger im Hinblick auf seine Erkrankung im Jahr 1992 vorgetragen, er sei an einem fristwahrenden Einspruch gegen die Einkommensteueränderungsbescheide für 1981 und 1982 vom 12. Mai 1992 gehindert gewesen und infolgedessen hätte ihm spätestens im Klageverfahren … Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist gewährt werden müssen.
bb) Darüber hinaus wird die Frage, ob eine nachträglich erstellte private Urkunde die Voraussetzungen des § 580 Nr. 7 b ZPO erfüllt, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und im Schrifttum verneint. Unter den Begriff einer "anderen Urkunde" im Sinne dieser Vorschrift fallen solche Urkunden nicht, die lediglich neue Bekundungen eines Sachverständigen enthalten (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts ―BVerwG― vom 7. Juli 1994 11 B 87/94, nicht veröffentlicht, unter Hinweis auf den Beschluß des BVerwG vom 21. Januar 1982 7 B 13/82, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 153 VwGO Nr. 18 und Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1984, 75; Urteil des BVerwG vom 4. November 1971 III C 96.69, BVerwGE 39, 41, m.w.N.; ferner Beschlüsse des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 14. November 1974 VII ZB 25/74, Versicherungsrecht ―VersR― 1975, 260; vom 23. November 1983 IVb ZB 6/82, BGHZ 89, 114, 119, und Urteil des BGH vom 28. November 1975 V ZR 127/74, BGHZ 65, 300, 303).
Grundsätzlich handelt es sich nämlich insoweit nur um Urkunden, die schon vor der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz errichtet waren und dort hätten verwertet werden können. Eine Ausnahme wird lediglich bei Geburtsurkunden gemacht (vgl. Urteil des BGH vom 14. Dezember 1966 IV ZR 241/65, BGHZ 46, 300).
cc) Sollte die Beschwerde nicht nur das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes wegen Versäumung der Einspruchsfrist, sondern mit den Ausführungen zur partiellen Prozeßunfähigkeit des Klägers nunmehr auch die verfahrensfehlerhafte Nichtberücksichtigung dieser Sachentscheidungsvoraussetzung im Verfahren … rügen, so wäre diese Rüge mit der Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zu verfolgen. Insoweit fehlte es an der Klärungsfähigkeit in einem künftigen Revisionsverfahren. Die schlüssige Behauptung eines nach §§ 579, 580 ZPO erheblichen Wiederaufnahmegrundes gehört nämlich zur Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage (vgl. BFH-Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252 unter Ziff. 3. der Gründe, m.w.N.).
Der Kläger hat nach den nicht angefochtenen und deshalb bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) keinen solchen Wiederaufnahmegrund schlüssig dargetan.
b) Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob die hilfsweise erhobene Divergenzrüge überhaupt den gesetzlichen Anforderungen nach § 115 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht (vgl. zu den Rügeanforderungen insoweit BFH-Beschluß vom 31. August 1995 VIII B 71/93, BFHE 178, 379, BStBl II 1995, 890 unter I. der Gründe).
Das FG hat die Unerheblichkeit dieses Vorbringens nämlich kumulativ begründet. Es hat zusätzlich in entscheidungserheblicher Weise darauf abgestellt, daß der Kläger diesen Vortrag bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gegen das Urteil … nach § 582 ZPO hätte geltend machen müssen.
Die Beschwerde hätte insoweit hinsichtlich jeder Begründung einen Zulassungsgrund vortragen müssen (vgl. BFH-Beschluß vom 2. Mai 1974 IV B 3/74, BFHE 112, 337, BStBl II 1974, 524).
c) Eine grundsätzliche Bedeutung hat die Beschwerde schließlich ebensowenig hinsichtlich der aufgeworfenen Frage entsprechend den gesetzlichen Anforderungen nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO dargetan, ob der besondere Wiederaufnahmegrund nach § 641i ZPO über die generelle Verweisungsnorm in § 155 FGO auch im finanzgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbar ist.
Der Umstand allein, daß hierzu noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung des BFH vorliegt, verleiht der Frage noch keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. BFH-Beschluß vom 22. Oktober 1994 V B 40/94, BFH/NV 1995, 610 unter Ziff. 1. der Gründe).
Die Beschwerde ist zudem in keiner Weise auf die entscheidungserhebliche Frage eingegangen, ob und ggf. in welchem Rahmen nach Auffassung der Rechtsprechung und dem Schrifttum im Falle einer Restitutionsklage überhaupt eine Analogie in Betracht kommen kann (vgl. hierzu BFH-Beschluß vom 27. September 1977 VII K 1/76, BFHE 123, 310, BStBl II 1978, 21; ablehnend Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 134 FGO Tz. 30).
Die Nichtanwendbarkeit dieses besonderen Wiederaufnahmegrundes im finanzgerichtlichen Verfahren ergibt sich ohne weiteres aus dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 641i ZPO. Danach findet die Restitutionsklage gegen ein rechtskräftiges Urteil, in dem über die Vaterschaft entschieden ist, außer in den Fällen des § 580 ZPO statt, wenn die Partei ein neues Gutachten über die Vaterschaft vorlegt, das allein oder in Verbindung mit den in dem früheren Verfahren erhobenen Beweisen eine andere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Im zivilprozessualen Schrifttum wird deshalb eine Anwendung auf Urteile in Rechtsstreitigkeiten, in denen die Abstammungsfrage nur Vorfrage ist, wie z.B. im Erbschaftsstreit oder in einem Schadensersatzprozeß gegen den Rechtsanwalt wegen mangelhafter Prozeßführung in einem Statusverfahren, verneint (vgl. Philippi in Zöller, Zivilprozeßordnung, 21. Aufl., § 641i Rz. 3; ferner BGH-Urteil vom 2. März 1994 XII ZR 207/92, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1994, 694).
Im Steuerprozeß geht es allein um die Frage, ob im Zusammenhang mit dem Statusverfahren angefallene Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes berücksichtigungsfähig sind. Über die Statusfrage hat das FG auch nicht im Rahmen der Vorfragenkompetenz zu entscheiden. Bei dieser verfahrensrechtlichen Situation ist keinerlei Klärungsbedarf der aufgeworfenen Frage in einem künftigen Revisionsverfahren erkennbar.
Einer weiteren Begründung bedarf der Beschluß nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs nicht.
Fundstellen