Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung
Leitsatz (NV)
1. Das Rechtsschutzinteresse für eine Beschwerde gegen eine erfolglose Richterablehnung entfällt nicht allein deswegen, weil in der Hauptsache bereits ein Urteil ergangen ist.
2. Ein Richterablehnungsgesuch ist mißbräuchlich, wenn alle Richter eines Spruchkörpers ohne Benennung und ohne Konkretisierung des Ablehnungsgesuchs abgelehnt werden. In diesem Fall entscheiden die abgelehnten Richter selbst über das Ablehnungsgesuch.
Normenkette
FGO § 51; ZPO § 45 ff.
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) gegen den Beklagten und Beschwerdegegner (Beklagter) wegen Kirchensteuer als unzulässig abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen. Das Urteil wurde dem Kläger am 26. Mai 1997 zugestellt. Er legte am 30. Mai 1997 beim FG Beschwerde ein.
Der als Rechtsanwalt tätige Kläger gehörte der römisch-katholischen Kirche an. Er erklärte am 9. April 1996 beim Amtsgericht X den Austritt aus der römisch-katholischen Kirche.
Am 12. November 1996 erhob der Kläger Klage, mit der er die Erstattung der von ihm gezahlten römisch-katholischen Kirchensteuer in Höhe von 3000 DM verlangte. Außerdem forderte er eine Abrechnung für die Zeit mindestens ab dem 1. Januar 1990 und die Feststellung, daß er zur Mitwirkung an der Kirchensteuerabrechnung nicht verpflichtet sei. Aus der Klagebegründung ergibt sich, daß der Kläger von der Rückwirkung seiner Austrittserklärung auf den Beginn seiner Kirchenmitgliedschaft ausgeht.
Der Berichterstatter des zuständigen Senats des FG setzte dem Kläger durch Verfügung vom 14. November 1996 eine Ausschlußfrist bis zum 5. Dezember 1996, um den angefochtenen Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf sowie die Person des Beklagten zu bezeichnen. Erst mit Schriftsatz vom 6. Januar 1997 teilte der Kläger mit, daß seine Klage sich "gegen die wie aus der Verwaltungsakte der Beklagten ersichtlichen Veranlagungen" richte. Das FG behandelte darauf hin das Bistum ... als Beklagten.
Der Vorsitzende des zuständigen Senats des FG erließ am 20. Februar 1997 einen Gerichtsbescheid, durch den die Klage als unzulässig abgewiesen wurde. Der Kläger beantragte rechtzeitig mündliche Verhandlung. Gleichzeitig erhob er gegen den Vorsitzenden Richter den Vorwurf der Befangenheit. Der Vorwurf wurde nicht näher begründet.
Der Senat beraumte am 27. Februar 1997 mündliche Verhandlung auf den 14. März 1997 an, ohne zuvor über den Befangenheitsantrag zu entscheiden. Dabei wurde die Ladungsfrist auf eine Woche abgekürzt. Der Antrag des Klägers, den Termin aufzuheben, wurde zunächst am 7. März 1997 abgelehnt. Dem Antrag wurde jedoch am 12. März 1997 stattgegeben, nachdem der Kläger seine Verhinderung durch ein ärztliches Attest nachgewiesen hatte. Der Kläger gab an, in einen Auffahrunfall verwickelt gewesen zu sein. Der Arzt bescheinigte ihm ein Schleudertrauma und Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 10. bis 17. März 1997. Das FG bestimmte neuen Termin auf den 5. Mai 1997.
Schon vorher hatte der Kläger mit einem Telefax vom 8. März 1997 den Richter am Finanzgericht S wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil dieser vertretungshalber über den Aufhebungsantrag negativ entschieden hatte. Als Begründung wurde "Überheblichkeit, Willkür und Mißachtung des §227 ZPO" angeführt. Eine weitergehende Begründung wurde mit Schriftsatz vom 30. April 1997 eingereicht.
Mit Schreiben vom 14. März 1997 beantragte der Kläger auch die Aufhebung des Termins vom 5. Mai 1997, weil derselbe "bereits umfangreich ausgebucht" sei. Den Antrag lehnte das FG am 2. Mai 1997 per Telefax ab, weil erhebliche Gründe i. S. von §155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. §227 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht dargetan worden seien. Der Kläger lehnte noch mit Telefax vom 2. Mai 1997 " ... " (Sitz des FG) als befangen ab. Die Verweigerung der Terminsverlegung und die Behandlung der Befangenheitsanträge seien willkürlich. Mit Schriftsatz vom 4. Mai 1997 drang der Kläger noch einmal darauf, vor Durchführung der mündlichen Verhandlung die Befangenheitsrügen zu bescheiden. Außerdem machte er Arbeitsüberlastung geltend.
Das FG führte die mündliche Verhandlung am 5. Mai 1997 durch, ohne daß der Kläger erschienen bzw. vertreten war. Es lehnte nach Eintritt in die mündliche Verhandlung in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung vorab sowohl die Befangenheitsanträge als auch den Antrag auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung ab. Anschließend verhandelte das FG zur Sache. Nach Schluß der mündlichen Verhandlung und Beratung wurde ein Urteil verkündet, durch das die Klage als unzulässig abgewiesen wurde.
Der Kläger hat "unter Rüge der krassen Verletzung materiellen und formellen Rechts in Bestimmung der unzuständigen Entscheidungsträger R, S und D" Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, über die in einem anderen Verfahren zu entscheiden ist. Außerdem hat er "außerordentlichen Rechtsbehelf, Gegenvorstellung und Beschwerde" wegen der Zurückweisung des Befangenheitsgesuches eingelegt.
Im einzelnen macht der Kläger geltend, für eine Vertagung der mündlichen Verhandlung hätten gewichtige Gründe i. S. des §227 ZPO vorgelegen. Die vorinstanzlichen Richter hätten sich einem rechtlichen Dialog verschlossen und unrechtens Erklärungsfristen und Verfahren verweigert. Sie hätten sich geweigert, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Kirchenaustritt kanonisches Recht zum Inhalt habe. Es sei ein Mißbrauch der eigenen Amts- und Autoritätsgewalt, daß die vorinstanzlichen Richter trotz Befangenheitsrügen selbst entschieden hätten. Es wird sodann mangelnde Sachaufklärung gerügt.
Das Bistum hat sich in dem Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Nach allgemeiner Auffassung ist die Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrages, Richter für befangen zu erklären, gemäß §51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. §46 Abs. 2 ZPO statthaft (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §51 Rz. 59). Der Kläger ist als Beteiligter beschwerdebefugt. Das Rechtsschutzinteresse ist nicht infolge der Hauptsacheentscheidung entfallen (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217, 220, 221; BFH-Beschlüsse vom 28. September 1994 VIII B 79/94, BFH/NV 1995, 686, und vom 15. Januar 1996 IX R 32/95, BFH/NV 1996, 490).
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
a) Gemäß §51 Abs. 1 Satz 1 FGO richtet sich die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nach §§45, 47 ZPO. Danach wirkt der abgelehnte Richter an der Entscheidung grundsätzlich nicht mit. Von diesem Grundsatz gilt jedoch in allen Gerichtszweigen eine Ausnahme für den Fall, daß die Ablehnung mißbräuchlich ist (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 1960 2 BvR 36/60, BVerfGE 11, 1, 3; vom 11. Februar 1960 2 BvR 473/60, BVerfGE 11, 343, 348, und vom 19. Oktober 1977 2 BvR 3/77, BVerfGE 46, 200; BFH-Urteil vom 2. Juli 1976 III R 24/74, BFHE 119, 227, BStBl II 1976, 627; BFH-Beschlüsse vom 30. Juni 1989 VIII B 86/88, BFH/NV 1990, 175; vom 2. Februar 1989 X B 22/88, BFH/NV 1990, 508; vom 20. November 1990 VII B 32/90, BFH/NV 1991, 755; vom 21. Mai 1992 V B 235/91, BFH/NV 1993, 731; vom 30. Juli 1993 I B 55, 56/93, BFH/NV 1994, 325; vom 14. März 1994 X B 50/93, BFH/NV 1995, 122; vom 10. Januar 1996 VII B 122/95, BFH/NV 1996, 489; vom 4. April 1996 IV R 55/94, BFH/NV 1996, 801; vom 29. April 1996 V B 121, 124/95, BFH/NV 1997, 33, 34). Ein mißbräuchliches Ablehnungsgesuch wird angenommen, wenn alle Richter eines Spruchkörpers ohne Benennung und ohne Konkretisierung des Ablehnungsgrundes abgelehnt werden (BFH-Urteil vom 25. Oktober 1973 IV R 80/72, BFHE 110, 479, BStBl II 1974, 142; BFH-Beschlüsse vom 6. Februar 1986 V B 47/85, BFH/NV 1987, 719; vom 13. Juni 1991 VII B 246/90, BFH/NV 1992, 253; vom 13. Dezember 1991 V B 181/91, BFH/NV 1992, 674; vom 21. Mai 1992 V B 234/91, BFH/NV 1993, 661; vom 16. April 1993 I B 156/92, BFH/NV 1994, 180; vom 23. Februar 1994 IV B 85/93, BFH/NV 1995, 33) oder wenn Gründe vorgetragen werden, die eine Richterablehnung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können. So ist auch der Streitfall gelagert.
b) Der Kläger hat den Richter R mit Schriftsatz vom 25. Februar 1997 abgelehnt, weil dieser unter dem 20. Februar 1997 einen die Klage abweisenden Gerichtsbescheid erlassen hatte. Der Schriftsatz des Klägers vom 25. Februar 1997 enthält kein einziges Argument, das dessen Ablehnungsgesuch zumindest andeutungsweise zu begründen geeignet wäre.
Der Kläger hat sodann Richter S durch Telefax vom 8. März 1997 als befangen abgelehnt, weil er glaubte, ihm Überheblichkeit, Willkür und Mißachtung des §227 ZPO vorwerfen zu müssen. Auch dieses Telefax wurde zunächst nicht näher begründet. Der Antrag erledigte sich in der Hauptsache, weil das FG den auf den 14. März 1997 anberaumten Termin aufhob.
Der Kläger hat sodann mit Telefax vom 30. April 1997 seine "Besorgnisrüge gegen die namentlich bekannten Senatsmitglieder wiederholt". Zur Begründung führte er aus, der erlassene Gerichtsbescheid habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Er "offenbare klare Befangenheitsstrukturen der einzelnen Kammermitglieder". Diese Begründung kann die begehrte Richterablehnung schon deshalb offensichtlich nicht rechtfertigen, weil einerseits der Gerichtsbescheid nur von dem Vorsitzenden des zuständigen Senats erlassen wurde und andererseits eine (insoweit unterstellte) Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht automatisch die Befangenheit des entscheidenden Richters nach sich zieht. Dies gilt im Streitfall um so mehr, als der Kläger nach §90 a Abs. 2 Nr. 2 FGO Antrag auf mündliche Verhandlung stellen konnte und gestellt hat, womit seinem Anspruch auf rechtliches Gehör hinreichend Rechnung getragen wurde. Er wurde auf diese Möglichkeit im Gerichtsbescheid hingewiesen, weshalb sich aus dessen Erlaß kein Hinweis auf eine mögliche Befangenheit des betroffenen Richters ergibt.
Der Kläger lehnte sodann mit Telefax vom 2. Mai 1997 " ... " (Sitz des FG) wegen Befangenheit ab. Als Gründe wurden die am gleichen Tag von dem Richter D verfügte und per Fax bekanntgegebene Ablehnung einer erneuten Terminsverlegung sowie die Nichtbescheidung der zuvor gestellten Ablehnungsanträge genannt. Daraus leitete der Kläger ein selbstherrliches, autoritätstrotziges Verhalten der Richter ab. Jedoch folgt aus der Entscheidung eines Richters über einen Vertagungsantrag nicht die Befangenheit der an dieser Entscheidung nicht beteiligten übrigen Richter des Spruchkörpers. Auch muß die Entscheidung vom 2. Mai 1997 und damit der Ablehnungsantrag desselben Tages vor dem Hintergrund gesehen werden, daß der Kläger schon mit Schreiben vom 28. Februar und vom 7. März 1997 zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert worden war, aus denen sich ergibt, daß er an der Wahrnehmung eines vom FG bestimmten Termins verhindert war. Tatsächlich hatte der Kläger seine Verhinderung nur für die Zeit bis zum 17. März 1997 einschließlich durch Vorlage eines ärztlichen Attestes nachgewiesen. Im übrigen hatte er nicht einmal geltend gemacht, am 5. Mai 1997 einen weiteren Termin wahrnehmen zu müssen. Vor diesem Hintergrund ist der Vorwurf des Klägers, die Ablehnung der Terminsverlegung sei willkürlich und kompetenzmißbräuchlich aus der Luft gegriffen. Er hat einen Befangenheitsgrund nicht einmal andeutungsweise schlüssig dargelegt. Sein Antrag war von vornherein unter allen denkbaren Gesichtspunkten offensichtlich unbegründet. Damit konnte das FG mangels ausreichender Darlegung von Ablehnungsgründen über die Ablehnungsanträge unter Mitwirkung der abgelehnten Richter entscheiden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. März 1972 VI B 141/70, BFHE 105, 316, BStBl II 1972, 570; vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112; vom 22. März 1994 X B 81/93, BFH/NV 1994, 498; vom 19. Dezember 1995 III B 134/93, BFH/NV 1996, 611; vom 29. Mai 1996 III B 61/95, BFH/NV 1997, 38; Bundesverwaltungsgericht vom 5. Dezember 1975 VI C 129.74, BVerwGE 50, 36, 37). Dies gilt nicht nur dann, wenn über das Ablehnungsgesuch innerhalb der Hauptsacheentscheidung entschieden wird, sondern ebenso dann, wenn das FG einen gesonderten Beschluß erläßt.
c) Durfte aber das FG unter Mitwirkung der abgelehnten Richter über die Befangenheitsanträge entscheiden, so ist ihre Ablehnung beschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
Fundstellen
Haufe-Index 66913 |
BFH/NV 1998, 475 |