Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfolglosigkeit einer auf alle drei Zulassungsgründe gestützten NZB
Leitsatz (NV)
1. Bei kummulativer Begründung des angefochtenen Urteils kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund vorliegt.
2. Ein nach Ablauf der Beschwerdefrist geltend gemachter Zulassungsgrund erfüllt nicht die formellen Voraussetzungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO.
3. Mit der Rüge, das FG habe in Beziehung auf die Einlegung des Einspruchs die Verweigerung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch das FA gebilligt, wird ein materiell-rechtlicher Fehler, nicht ein Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend gemacht.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, Abs. 3 Sätze 1, 3
Tatbestand
Im Anschluß an eine bei der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) durchgeführte Außenprüfung bestätigte deren Prozeßbevollmächtigter das Ergebnis der Schlußbesprechung mit einem am 18. April 1985 beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) eingegangenen Schreiben wie folgt:"
Auf Einspruch und entsprechende Anträge unsererseits wird das Finanzamt die Vollziehung gemäß § 361 AO sowie das Verfahren gemäß § 383 AO ... aussetzen ... Auch die von Ihnen zusätzlich zu der Besprechungs liste angekündigte gewerbesteuerliche Hinzurechnung der Zinsen für das Girokonto wird im Hinblick auf die beim BFH anhängigen Musterverfahren durch Einspruch und Aussetzung offengehalten werden ... "
Am 22. August 1985 gab das FA auf der Grundlage des Ergebnisses der steuerlichen Außenprüfung geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre (1977 bis 1980) bekannt. Mit Schreiben vom 18. Oktober 1985 teilte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin dem FA mit, daß er die geänderten Bescheide aufgrund seines Schreibens vom 18. April 1985 als bereits angefochten betrachte. Hilfsweise stellte er den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Das FA sah das Schreiben vom 18. Oktober 1985 als Einspruch an und verwarf diesen als unzulässig. Den hilfsweise gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lehnte das FA ab.
Die Klage blieb erfolglos. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) aus, die Klägerin habe nicht bereits durch das Schreiben ihres Prozeßbevollmächtigten vom 18. April 1985 wirksam Einspruch eingelegt, weil in dem Schreiben nicht zum Ausdruck gekommen sei, daß sich die Klägerin durch einen Verwaltungsakt beschwert fühle und dessen Nachprüfung begehre. Der Inhalt dieses Schreibens habe vielmehr das von dem Prozeßbevollmächtigten in Aussicht genommene Verfahren bezeichnet und für die Zukunft bestimmte Willenserklärungen angekündigt. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Erklärung. Darüber hinaus wäre ein bereits am 18. April 1985 eingegangener Einspruch auch nicht wirksam gewesen, weil ein Rechtsbehelf gemäß § 355 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts eingelegt werden müsse.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, die sie auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) und Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) stützt.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unbegründet.
1. Auf die von der Klägerin herausgehobene Rechtsfrage, ob ein Rechtsbehelf bereits vor Bekanntgabe des Verwaltungsaktes eingelegt werden kann, kommt es im vorliegenden Verfahren nicht an. Denn das FG hat seine Entscheidung nicht nur auf den entsprechenden Grund gestützt (kumulative Urteilsbegründung). Es hat die Klage in erster Linie mit der Erwägung abgewiesen, daß das Schreiben der Klägerin vom 18. April 1985 nicht als wirksamer Einspruch, sondern lediglich als Ankündigung eines solchen auszulegen sei. Hinsichtlich dessen sind von der Klägerin keine zulässigen und begründeten Zulassungsgründe i. S. von § 115 Abs. 2 FGO geltend gemacht worden. Hat die Klägerin jedoch mit ihrem Schreiben vom 18. April 1985 keinen wirksamen Einspruch eingelegt, so kommt es nicht mehr darauf an, ob ein Rechtsbehelf bereits vor Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zulässig wäre.
In einem derartigen Fall kann die Revision nicht zugelassen werden; denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundes finanzhofs (BFH) muß hinsichtlich einer jeden Begründung ein Zulassungsgrund vorliegen, wenn das Urteil des FG auf mehrere Gründe gestützt ist (BFH-Beschlüsse vom 2. Mai 1974 IV B 3/74, BFHE 112, 337, BStBl II 1974, 524; vom 13. November 1991 II B 69/91, BFH/NV 1992, 260; vgl. auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 115 Rz. 11, 23 und 34 m. w. N.).
2. Soweit die Klägerin mit ihrem Schriftsatz vom 13. Januar 1994 gerügt hat, daß das FG die Verweigerung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch das FA gebilligt habe, ist dieses Vorbringen verspätet (§ 115 Abs. 3 Sätze 1 und 2 FGO). Außerdem hat die Klägerin übersehen, daß ein diesbezüglicher Fehler des FG nach der Rechtsprechung des BFH einen materiell- rechtlichen Mangel, nicht einen Verfahrensmangel darstellen würde (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 25 und 26).
Fundstellen
Haufe-Index 419745 |
BFH/NV 1995, 602 |