Leitsatz (amtlich)
Der Umstand, daß möglicherweise künftig ein Nichterhebungs- bzw. Erstattungsanspruch gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG wegen (noch nicht vollzogener) Wandelung (§ 465 BGB) oder ein Anspruch gemäß § 5 Abs. 4, 5 StAnpG wegen (noch nicht mit Erfolg durchgeführter) Irrtumsanfechtung (§ 119 BGB) entsteht, rechtfertigt es nicht, die Vollziehung eines Grunderwerbsteuerbescheids auszusetzen.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2; GrEStG § 17 Abs. 1 Nr. 2; StAnpG § 5 Abs. 4-5; BGB §§ 119, 465
Tatbestand
Der Beschwerdeführer ist wegen Grundstückserwerbs mit Kaufvertrag vom ... November 1968 zur Grunderwerbsteuer herangezogen worden. Nach erfolglosem Einspruch begehrt der Beschwerdeführer mit der Klage, über die das FG noch nicht entschieden hat, Freistellung von der angeforderten Grunderwerbsteuer. Gleichzeitig beantragte er, die Vollziehung der Steuerbescheide auszusetzen, da er von den Veräußerern mit Schreiben vom ... Januar 1969 Rückgängigmachung (Wandelung) des Kaufvertrags verlangt, hilfsweise diesen wegen Irrtums angefochten habe.
Das FG wies den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Der Beschwerde half es nicht ab.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Die Entscheidung des FG erweist sich im Ergebnis als zutreffend.
1. Nach der Beschwerdeerwiderung des Beschwerdegegners hat der Beschwerdeführer die Steuerschuld zwar zwischenzeitlich getilgt, nachdem der Beschwerdegegner ihn mit Schreiben vom ... Juli 1969 aufgefordert hatte, die in den mit Leistungsgebot versehenen Steuerbescheiden aufgeführten Steuerbeträge "umgehend zu bezahlen, da" er sich anderenfalls zu seinem Bedauern "gezwungen sehe, weitere Beitreibungsmaßnahmen einzuleiten". Unter diesen Umständen stünde die Tilgung der Steuerschuld einer Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 69 FGO nicht entgegen (vgl. Beschlüsse des BFH II B 41/67 vom 14. Mai 1968, BFH 92, 179, BStBl II 1968, 503; II B 21/68 vom 4. März 1969, BFH 94, 571, BStBl II 1969, 264).
2. Die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 FGO setzt voraus, daß ernstliche Zweifel an der "Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes" bestehen. Angefochten in diesem Sinne sind aber die beiden Steuerbescheide vom ... Dezember 1968 in der Fassung der diese Steuerbescheide betreffenden Einspruchsentscheidung vom ... April 1969. Die Einwendungen des Beschwerdeführers richten sich nicht gegen die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung an sich nach Grund und Höhe; der Beschwerdeführer räumt auch ein, daß die Meinung des FG, wonach in Fällen der vorliegenden Art § 69 FGO nicht eingreife, den Wortlaut des § 69 FGO für sich habe, jedoch formalistisch sei, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes selbst bereits dann bejaht werden müßten, wenn dargetan sei, daß mit Wahrscheinlichkeit ein Anspruch gemäß § 17 GrEStG entstehen werde.
Der Anspruch auf Nichterhebung (Erstattung) aus § 17 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG ensteht in den Fällen der Wandelung erst, wenn die Wandelung vollzogen ist, sich also der Verkäufer mit ihr einverstanden erklärt hat (§ 465 BGB) bzw. dementsprechend verurteilt worden ist (für den Fall der Minderung vgl. BFH-Urteil II 155, 156/64 vom 12. Juni 1968, BFH 93, 121, 124, BStBl II 1968, 749, 751 linke Spalte). Ein Berichtigungs- und Erstattungsanspruch auf Grund der hilfsweise geltend gemachten Irrtumsanfechtung (§ 119 BGB) ist erst erwachsen, wenn die Anfechtung mit Erfolg durchgeführt worden ist (§ 5 Abs. 4, 5 StAnpG). Diese Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt des Ergehens des Steuerbescheids und der Einspruchsentscheidung - den maßgeblichen angefochtenen Verwaltungsakten - unstreitig nicht vor; die vom Beschwerdeführer auf die Einrede der Wandelung, hilfsweise auf Irrtumsanfechtung gestützte Klage schwebt nach dem derzeit erkennbaren Sachverhalt noch beim Landgericht. An der Rechtmäßigkeit der Steuerbescheide und der Einspruchsentscheidung (die zudem erst ergangen ist, nachdem der Beschwerdeführer seinen Einspruch trotz Erinnerung nicht begründet hatte) können somit keine ernstlichen Zweifel bestehen. Die Klage, mit der der Beschwerdeführer Aufhebung der Steuerbescheide in der Fassung der Einspruchsentscheidung beantragt, ohne jedoch die Steuerfestsetzung an sich nach Grund und Höhe anzugreifen, läßt somit ebenfalls keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte aufkommen. Die Rechtmäßigkeit einer Steueranforderung wird im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt ein Nichterhebungs- bzw. Erstattungsanspruch entsteht, wonach die angeforderte Steuer nicht mehr erhoben werden darf bzw. die bereits entrichtete Steuer zu erstatten ist.
Die vom FG verneinte, vom Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf den Kommentar von Boruttau-Klein, Grunderwerbsteuergesetz, 8. Aufl., § 17 Tz. 177 bejahte Frage, ob ein Antrag gemäß § 17 GrEStG im schwebenden Rechtsbehelfsverfahren erledigt werden könne (vgl. für den Fall einer während des laufenden Verwaltungsverfahrens vollzogenen Minderung BFH-Urteil II 155, 156/64, a. a. O.), ist für den vorliegenden Fall und in diesem Aussetzungsverfahren nicht zu vertiefen, da - wie aus dem bereits Ausgeführten erkennbar - bei hier anders gelagertem Sachverhalt ein Nichterhebungs- bzw. Erstattungsanspruch zweifelsfrei (noch) nicht entstanden ist. Damit erübrigt es sich auch, auf die von den Parteien vorgetragenen eventuell weiteren Rechtsfolgerungen einzugehen. Im übrigen ist im Falle des § 17 GrEStG die Steuerfestsetzung selbst zu Recht erfolgt (vgl. BFH-Urteil II 73/62 vom 11. Mai 1966, BFH 86, 308, BStBl III 1966, 491); der einmal entstandene Steueranspruch als solcher wird durch den späteren Nichterhebungs- bzw. Erstattungsanspruch des § 17 GrEStG unberührt gelassen (vgl. BFH-Urteil II 87/64 vom 6. Mai 1969, BFH 96, 197, 200, BStBl II 1969, 556, 557 linke Spalte). Das zeigt sich auch in folgendem: Macht der Steuerpflichtige vor Unanfechtbarkeit (Rechtskraft) der Steuerfestsetzung von seinem bereits zu Recht bestehenden Antragsrecht aus § 17 GrEStG - aus welchem Grunde auch immer - keinen Gebrauch, so kann er zwar in dem rechtzeitig (§ 153 AO) eingeleiteten besonderen Nichterhebungs-(Erstattungs-) Verfahren keine Einwendungen mehr gegen Grund und Höhe der Steuerfestsetzung selbst geltend machen (vgl. BFH-Urteil II 141/64 vom 6. Mai 1969, BFH 96, 326, BStBl II 1969, 630, 631 linke Spalte), der Nichterhebungs-(Erstattungs-) Anspruch wird aber umgekehrt durch die Unanfechtbarkeit (Rechtskraft) des Steuerbescheids ebenfalls nicht berührt.
Bestehen offensichtlich keine - und somit auch keine ernstlichen - Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, so scheidet auch eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO aus, die ohnehin nicht aus allgemeinen Billigkeitsgründen, sondern nur dann in Betracht käme, wenn gerade die Vollziehung selbst vor Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes unbillig wäre. Das ist - abgesehen davon, daß die Steuerschuld nach der Erklärung des Beschwerdegegners zwischenzeitlich getilgt worden ist - nicht ersichtlich, zumal auch das Vorliegen einer unbilligen Härte wiederum nur mit dem Zweifel an der "materiellen Rechtmäßigkeit" der Steuerbescheide behauptet wird (vgl. außer den bereits vom FG zitierten BFH-Beschlüssen noch Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., FGO § 69 Anm. 2b (6); Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 2.-3. Aufl., FGO § 69 Tz. 6).
Ob in Fällen der vorliegenden Art, für die der vorläufige Rechtsschutz des § 69 FGO nicht eingreift, in anderer Weise abgeholfen werden kann, etwa durch die Finanzverwaltung nach § 127 AO (Stundung) oder nach § 333 AO (bei Unbilligkeit der Zwangsvollstreckung) oder ob ein vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz durch eine einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) in Betracht kommt, war im vorliegenden Verfahren, in dem der Beschwerdeführer eindeutig einen Antrag gemäß § 69 FGO gestellt hat, nicht zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 68720 |
BStBl II 1970, 132 |
BFHE 1970, 296 |