Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung zwischen Unterschrift und Paraphe
Leitsatz (NV)
1. Zu den Anforderungen an die eigenhändige Unterschrift unter einem bestimmenden Schriftsatz.
2. Das Prozeßgrundrecht auf ein faires Verfahren ist nicht verletzt, wenn ein Spruchkörper die Unterschrift eines Verfahrensbeteiligten beanstandet, ohne diese bisher geduldet zu haben.
Normenkette
FGO § 64 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) stattgegeben und in seinem mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehenen Urteil die Revision zugelassen.
Die fristgerecht eingereichte Revisions- und Revisionsbegründungsschrift des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) hat dessen Vertreter abschließend über der maschinengeschriebenen Namensangabe (,,W H . . .") mit einem etwa 2 cm hohen und ungefähr 1 cm breiten Schriftzeichen signiert. Dieses ähnelt der linken Hälfte eines stilisierten Tannenbaums, bei dem der untere und größere der beiden leicht durchhängenden Zweige mit einem flach nach oben rechts gezogenen, andeutungsweise s-förmigen Aufstrich verläuft.
Das FA ist durch Verfügung des Vorsitzenden darauf hingewiesen worden, daß Zweifel bestünden, ob die Revisionsschrift eine Unterschrift im Rechtssinne (§ 64 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) enthält. Das FA hat hierzu vorgetragen, daß das Zeichen einen individuell gestalteten Schriftzug mit charakteristischen Merkmalen aufweise, der die Identität des Unterzeichnenden ausreichend klarstelle; dieser Schriftsatz ist - über der maschinenschriftlichen Unterschrift ,,W H . . ." - mit einem Zeichen versehen, das einem schräggestellten ,,W" ähnelt und das mit dem beschriebenen Aufstrich ausläuft.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig, weil sie nicht in der vorgeschriebenen Form eingelegt worden ist.
Die Revision muß - wie auch aus der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ersichtlich ist - gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO innerhalb der dort genannten Fristen schriftlich eingelegt und begründet werden. Die Schriftform erfordert nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und der anderen Obersten Bundesgerichte grundsätzlich - von den Ausnahmen der Übermittlung durch Telegramm und Telekopie abgesehen - eigenhändige (handschriftliche) Unterzeichnung des in Frage stehenden Schriftstückes oder zumindest von Anlagen hierzu (vgl. z. B. BFH-Entscheidungen vom 5. November 1973 GrS 2/72, BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242; vom 3. Oktober 1986 III R 207/81, BFHE 148, 205, BStBl II 1987, 131). Die Unterschrift erfordert einen die Identität des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzug, der einmalig ist, entsprechende charakteristische Merkmale aufweist und deshalb von Dritten nicht ohne weiteres nachgeahmt werden kann. Es müssen einzelne oder zumindest ein Buchstabe andeutungsweise erkennbar sein; die Unterzeichnung mit einer Paraphe reicht zur Erfüllung der Schriftform nicht aus (vgl. Senatsurteil vom 28. September 1988 X R 32-34/88, BFH/NV 1989, 505, unter 2., m. w. N.).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt: Als Buchstabe erkennbar ist nicht einmal der erste Buchstabe ,,H". Wollte man den ersten und größten Teil des Zeichens als verschliffenes ,,H" anerkennen, könnte bei dem sich anschließenden Aufstrich von einem die übrigen neun Buchstaben des Namens repräsentierenden ,,Schriftzug" nicht mehr gesprochen werden, weil seine Entstehung aus der ursprünglichen Schrift in Buchstaben nicht einmal andeutungsweise zu erkennen ist. Nach dem Gesamteindruck handelt es sich um die Abkürzung des Namens, eine Paraphe, die den zuvor genannten Anforderungen an die Schriftlichkeit eines bestimmten Schriftsatzes nicht genügt (BFH-Beschluß vom 14. Januar 1972 III R 88/70, BFHE 104, 497, BStBl II 1972, 427; Senatsurteil vom 26. Juli 1988 X R 45/87, BFH/NV 1989, 238; Entscheidungen des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 29. Oktober 1986 IV a ZR 13/86, Versicherungsrecht 1987, 386, und vom 27. Oktober 1987 VI ZR 268/86, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1988, 713).
Der Hinweis des Vorstehers des FA, seine Unterschrift sei ,,bisher unbeanstandet in der gleichen Weise geleistet" worden, ist unbeachtlich, da der erkennende Senat keinen Anlaß für eine Berufung auf den Vertrauensgrundsatz gegeben hat. Das Prozeßgrundrecht auf ein faires Verfahren, insbesondere das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, ist nicht verletzt, wenn ein Spruchkörper die Unterschrift eines Verfahrensbeteiligten oder Prozeßbevollmächtigten beanstandet, ohne diese bisher geduldet zu haben, selbst wenn andere Spruchkörper desselben Gerichts diese langjährig unbeanstandet gelassen haben (Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Beschluß vom 18. September 1989 2 BvR 270/89, nicht veröffentlicht).
Das BVerfG hat in seiner oben genannten Entscheidung des weiteren ausgeführt, daß die verfassungsrechtliche Garantie des Rechtsschutzes und des rechtlichen Gehörs nicht verletzt sind, wenn eine Wiedereinsetzung bei Versäumung der Revisionsfrist versagt wird, weil die Verwendung einer den Anforderungen des § 64 Abs. 1 FGO nicht genügenden ,,Unterschrift" als schuldhaft angesehen wird (vgl. BGH-Urteil vom 20. November 1986 III ZR 18/86, NJW 1987, 957).
Fundstellen
Haufe-Index 417992 |
BFH/NV 1992, 50 |