Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnungsgesuch gegen gesamten Spruchkörper
Leitsatz (NV)
1. Werden alle Mitglieder eines Spruchkörpers im Hinblick auf konkrete Anhaltspunkte in einer Kollegialentscheidung wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so liegt ein Mißbrauch des Ablehnungsrechts nur vor, wenn der Antrag gar nicht oder nur mit Umständen begründet wird, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Ablehnung rechtfertigen könnten.
2. Unrichtige Rechtsansichten und Ver fahrensverstöße sind kein Grund für die Besorgnis der Befangenheit, wenn nicht zugleich Anhaltspunkte für unsachliche Erwägungen vorliegen.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2
Tatbestand
In der Hauptsache streiten die Beteiligten darüber, ob Betriebsausgaben im Hinblick auf eine nicht ausreichende Benennung des Empfängers gemäß § 160 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vom Abzug ausgeschlossen sind.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine jetzt in Liquidation befindliche GmbH & Co. KG, erbrachte in den Streitjahren 1979 bis 1981 Dienstleistungen auf dem Gebiet der Buchhaltung und Unternehmensberatung. Im Rahmen einer Außenprüfung wurde festgestellt, daß in der Gewinnermittlung erfaßte Aufwendungen in Zusammenhang mit einer in Liechtenstein ansässigen Firma X standen.
Der Prüfer ging davon aus, daß die X eine Domizilgesellschaft ohne eigene wirtschaftliche Tätigkeit sei. Mit ihr in Zusammenhang stehende Aufwendungen seien nach § 160 AO 1977 nicht abzugsfähig, da nicht offengelegt worden sei, wer hinter dieser Gesellschaft stehe.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) folgte dieser Auffassung und erließ entsprechend geänderte Gewinnfeststellungsbescheide. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, weil die Klägerin dem Verlangen nicht entsprochen habe, die hinter der X stehenden Personen zu benennen. Die Klägerin sei ihrer Mitwirkungspflicht bei der Informationsbeschaffung aus dem Ausland nicht nachgekommen. Nachdem es dem Prüfer über Monate hinweg nicht gelungen sei, von dem Vertreter der Klägerin Aufklärung über die konkrete Tätigkeit der X und die hinter ihr stehenden Personen zu bekommen, sei es nicht Sache des Senats, "die vom Vertreter der Klägerin angebotenen Waschkörbe voller Unterlagen zu sichten und zu ermitteln, ob nicht doch eine betriebliche Veranlassung gegeben ist". Im Protokoll über die mündliche Verhandlung sind Äußerungen der Prozeßbeteiligten mit Ausnahme der gestellten Anträge nicht festgehalten.
Nach Zustellung des schriftlichen Urteils hat die Klägerin neben einem Antrag auf Tatbestandsberichtigung und einer Nichtzulassungsbeschwerde -- über beide hat das FG noch nicht entschieden -- den Antrag gestellt, die namentlich benannten an dem Urteil beteiligten Berufsrichter und ehrenamtlichen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Zur Begründung ihres Ablehnungsgesuchs machte die Klägerin geltend, die vom Gericht verwendete Formulierung zu den "waschkörbeweise" angebotenen Belegen zeige, daß der Senat sich entweder für berechtigt halte, Beweismittel der Klägerin wegen ihrer Vielzahl abzulehnen, oder daß er davon ausgehe, die Klägerin hätte beabsichtigt, Beweismittel in prozeßordnungswidriger Weise vorzulegen. Aus einem gerichtsbekannten Vermerk über ein Gespräch mit dem FA hätte sich ergeben, daß das FA in Anbetracht der zahlreichen Belege von einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit der X überzeugt gewesen sei. Daß das FA in der mündlichen Verhandlung diesen Punkt doch wieder streitig gestellt habe, sei nicht vorhersehbar gewesen. Vor einem etwaigen Vortrag der Klägerin hätten die Richter sich willkürlich verschlossen, was nur mit Befangenheit erklärt werden könne. Diese Besorgnis werde dadurch verstärkt, daß ein Überraschungsurteil gefällt worden sei, weil unangekündigt von der bisherigen Tatsachenauffassung des FA abgewichen worden sei, ohne der Klägerin Gelegenheit zu geben, den für diesen Fall vorsorglich angebotenen Vortrag im Wege eines Auflagenbeschlusses abzurufen.
Der Ablehnungsantrag richte sich gegen alle fünf Richter. Die Berufsrichter hätten die im Urteil enthaltene Weigerung, in Aussicht gestellte Beweismittel zur Kenntnis zu nehmen, unterschrieben. Da anzunehmen sei, daß das Urteil das Ergebnis der Beratung wiedergebe, müsse auch von einer Zustimmung der ehrenamtlichen Richter ausgegangen werden, die ebenfalls vor Beweisen nicht vorsätzlich die Augen verschließen dürften.
Die Berufsrichter haben sich in dienstlichen Äußerungen für nicht befangen erklärt und verweisen übereinstimmend darauf, daß die streitige Formulierung lediglich wörtlich wiedergebe, was der Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geäußert habe. Ein konkretes Beweisangebot sei damit nicht verbunden gewesen; die Würdigung des Zitats beruhe auf Überlegungen des Gerichts zu den Grenzen richterlicher Aufklärungspflicht.
Das FG hat den Antrag ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, der das FG nicht abgeholfen hat.
Die Klägerin beantragt sinngemäß Aufhebung und Zurückverweisung der Entscheidung über den Ablehnungsantrag.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Das FG hat die Ablehnungsgesuche zu Recht zurückgewiesen.
1. Soweit mit dem Gesuch begehrt wird, die ehrenamtlichen Richter von der weiteren Mitwirkung auszuschließen, ist es unzulässig, denn es fehlt insoweit an einem Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin. Eine Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter wäre im weiteren Verfahren nur denkbar, wenn über den Antrag auf Tatbestandsberichtigung ausnahmsweise aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden werden würde. Werden in dieser Situation aber alle Richter eines Senats abgelehnt, kann eine Tatbestandsberichtigung nicht mehr erfolgen, denn an ihr dürfen nur die Richter teilnehmen, die auch an dem Urteil beteiligt waren (§ 108 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Der Bundesfinanzhof (BFH) hat deshalb entschieden, daß in einem solchen Fall das Rechtsschutzinteresse für das Ablehnungsgesuch fehlt (Beschluß vom 17. August 1989 VII B 70/89, BFHE 157, 494, BStBl II 1989, 899, m. w. N.). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.
Zutreffend ist das FG demgemäß von der Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs in bezug auf die ehrenamtlichen Richter ausgegangen und hat diesbezüglich keine Sachentscheidung getroffen. Soweit sich die Ausführungen in der Vorentscheidung zur Begründetheit des Antrags auch auf die ehrenamtlichen Richter beziehen, ist hieran ein Verfahrensfehler nicht zu erblicken, denn es handelt sich dabei erkennbar lediglich um Hilfserwägungen.
2. Das gegen die Berufsrichter gerichtete Ablehnungsgesuch ist zulässig. Ob dies auch hinsichtlich der angestrebten Tatbestandsberichtigung der Fall ist (dazu BFH in BFHE 157, 494, BStBl II 1989, 899) kann offenbleiben. Jedenfalls besteht ein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der ausstehenden Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde.
Das Ablehnungsgesuch ist auch nicht als rechtsmißbräuchlich anzusehen. Zwar ist Unzulässigkeit wegen Rechtsmißbrauchs anzunehmen, wenn die Ablehnung einen Spruchkörper oder alle Berufsrichter pauschal betrifft, ohne daß ernstliche Gründe in der Person der jeweiligen einzelnen Richter geltend gemacht werden (BFH-Beschluß vom 30. Juni 1989 VIII B 86/88, BFH/NV 1990, 175). Das gilt jedoch nicht, wenn alle Mitglieder eines Spruchkörpers wegen Besorgnis der Befangenheit im Hinblick auf konkrete Anhaltspunkte in einer Kollegialentscheidung abgelehnt werden. In einem solchen Fall liegt ein Mißbrauch des Ablehnungsrechts vor, wenn der Antrag gar nicht oder nur mit Umständen begründet wird, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Ablehnung rechtfertigen könnten (BFH-Beschlüsse vom 23. Februar 1994 IV B 85/93, BFH/NV 1995, 33; vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112, m. w. N.). Im Streitfall wäre nicht aus geschlossen, daß die von der Klägerin an gezogenen Passagen im Urteil des FG bei Hinzutreten weiterer Umstände Besorgnis der Befangenheit begründen könnten.
3. Indessen ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls kein Anlaß für eine Besorgnis der Befangenheit gegeben; der Antrag der Klägerin ist unbegründet.
Nach § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. § 51 FGO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden wird. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabs Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (BFH- Beschlüsse vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, und in BFH/NV 1990, 175).
Im Streitfall kann unter objektiven Gesichtspunkten nicht angenommen werden, die Richter des Spruchkörpers würden zukünftig voreingenommen entscheiden. Die von der Klägerin angeführte feindliche Gesinnung ist den Entscheidungsgründen des FG-Urteils nicht zu entnehmen. Die beanstandete Passage erscheint vielmehr als Versuch, das Vorbringen der Klägerin in Zitatform besonders plastisch erscheinen zu lassen. Da die Menge der Unterlagen offenbar während des ganzen Verfahrens nicht genauer bezeichnet werden konnte, sollte sie mit dem von der Klägerin selbst verwendeten Begriff beschrieben werden. Die Wortwahl hat auch in Zitatform keinerlei negativen Anstrich, der auf die behauptete negative Einstellung gegenüber der Klägerin schließen lassen könnte.
Auch im Kontext des Urteils lassen sich unsachliche Tendenzen dieser Passage nicht erkennen. Es mag zwar sein, daß das Zitat selbst keine Wahrscheinlichkeitsbeurteilung enthält, wie die Vorentscheidung angenommen hat. Insgesamt betrachtet liegt eine solche Beurteilung allerdings nahe. Das FG ist zu dem Ergebnis gekommen, von einer Sichtung der Unterlagen seien entscheidungsrelevante Feststellungen nicht zu erwarten, und hielt sich deshalb nicht für verpflichtet, insoweit für weitere Sachaufklärung zu sorgen. Diese Sichtweise ergibt sich auch aus der dienstlichen Äußerung des Richters am Finanzgericht X. Ob diese Handhabung rechtens war, ob die Äußerung des Vertreters der Klägerin als Beweisantrag verstanden werden mußte und ob ein solcher Beweisantrag mit der vom FG gegebenen Begründung hätte abgelehnt werden dürfen, ist hier nicht zu prüfen. Denn unrichtige Rechtsansichten und Verfahrensverstöße sind kein Grund für die Besorgnis der Befangenheit, wenn nicht zugleich Anhaltspunkte für unsachliche Erwägungen vorliegen (vgl. BFH in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, und Beschluß vom 22. Juni 1995 IV B 37/95, BFH/NV 1996, 145).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO, die Streitwertentscheidung aus §§ 13 Abs. 1, 25 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird für jeden abgelehnten Richter auf je 10 v. H. des Streitwerts in der Hauptsache bemessen (vgl. Senatsbeschluß vom 18. April 1986 IV E 7/85, BFH/NV 1988, 516).
Fundstellen
Haufe-Index 421784 |
BFH/NV 1997, 243 |